Diskussionsrunde

Aufbruch statt Stillstand

Ein neuer Gesundheitsminister, eine streitbare SPD, eine an der Pflege interessierte Öffentlichkeit – vieles spricht für eine spannende Legislatur. Wie sich die Qualität der Versorgung erhöhen lässt, diskutierten Experten in Stuttgart. Von Ines Körver

Vorbei die Zeiten

geräuschlosen Abarbeitens von Koalitionsverträgen, jetzt wird wieder gerungen und gestritten. Auch in der Gesundheitspolitik und über Themen, die im Koalitionsvertrag nicht vorkommen. Mit dieser Prognose warteten Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und Prof. Dr. Karl Lauterbach, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, bei der jüngsten Diskussionsrunde der AOK Baden-Württemberg in der Staatsgalerie Stuttgart auf. Die Veranstaltung „AOK im Dialog“ widmete sich Mitte April der Frage: „Fahrplan für das Gesundheitswesen – wohin steuert die neue Bundesregierung?“ 

Politik macht sich ans Gesetzeswerk.

Es sei gut, dass mit Jens Spahn jemand Gesundheitsminister geworden sei, der die Aufmerksamkeit auf sich lenke, zeigte sich Maag zufrieden. Die Öffentlichkeit interessiere sich wieder für Themen wie Gesundheit und Pflege. Lauterbach sagte, es komme jetzt darauf an, den gut ausgehandelten gesundheitspolitischen Teil des Koalitionsvertrages in handwerklich saubere Gesetze zu überführen – seiner Ansicht nach werden es wohl 15 in den nächsten gut drei Jahren. Die SPD habe in der vergangenen Legislaturperiode Fehler gemacht, die sie nun vermeiden wolle. So werde sie versuchen, der Bürgerversicherung den Weg zu bahnen, auch wenn diese im Koalitionsvertrag nicht genannt sei. „Wir können uns als SPD nicht leisten, über zentrale Themen vier Jahre lang zu schweigen und dann im Wahlkampf wie Kai aus der Kiste wieder damit zu kommen“, sagte er.

Wie auch immer die SPD ihre Ziele umsetzen will, die AOK Baden-Württemberg hat bereits Prüfsteine für den Erfolg der Großen Koalition aufgestellt. „Zentrale Punkte sind: Wie schafft es die Politik, die Qualität der Versorgung zu verbessern? Stimmen die Rahmenbedingungen? Wie wird die Digitalisierung ausgestaltet und wie die Pflege?“, erklärte der Vorstands-Vize der AOK Baden-Württemberg, Siegmar Nesch.

Die Digitalisierung kann Engpässe im ländlichen Raum abmildern.

Entschlackung empfohlen.

Für den Vorstandsvorsitzenden der Gesundheitskasse, Dr. Christopher Hermann, ist klar: „Wir brauchen nicht mehr Geld im System, wir brauchen im Interesse der Versicherten mehr Fokus auf Qualitätswettbewerb, Effizienz und Vernetzung. Es kann außerdem nicht darum gehen, immer neue Gesetze zu machen, wir müssen das Regelwerk auch entschlacken.“ Das gelte auch für das ärztliche Vergütungssystem. Im Rahmen der Haus- und Facharztverträge der AOK Baden-Württemberg gelte eine bedarfsgerechte Vergütung, die zudem die richtigen Impulse für mehr sprechende Medizin und eine gute Versorgung chronisch kranker Menschen setze. Diese sei eine Blaupause für eine Überarbeitung der Gebührenordnung der niedergelassenen Ärzte.

Aus Arbeitgebersicht sei es wichtig, auch die Finanzen im Blick zu behalten, sagte Peer-Michael Dick, alternierender Verwaltungsratsvorsitzender der baden-württembergischen Gesundheitskasse. Beim Mindestlohn, bei den Renten und beim Thema Gesundheit drohten Kostensteigerungen, so Dick. Lauterbach konkretisierte das: „Insbesondere in der Pflege und bei neuen Medikamenten gegen Autoimmunkrankheiten.“

Neue Kräfte für die Pflege.

Alle Diskutanten begrüßten, dass Spahn Verbesserungen in der Pflege einen hohen Stellenwert zuschreibt. „Wir brauchen mehr Menschen am Bett“, fasste Martin Gross, Landesvorsitzender von Verdi in Baden-Württemberg, diese Haltung zusammen. Ihm bereitet Sorge, dass so viele passionierte Pfleger aus dem Dienst ausscheiden oder ihre Arbeitszeiten verkürzen, weil der Beruf zu anstrengend ist. Es sei dringend geboten, die Attraktivität der Pflege zu steigern. „Dabei kann auch die Akademisierung des Berufs helfen“, zeigte sich Hermann zuversichtlich. Allerdings sei die Regierung vielleicht zu optimistisch, 8.000 neue Fachkraftstellen schaffen zu wollen – schließlich gebe es zurzeit 17.000 unbesetzte Stellen.

Maag und Lauterbach bekannten sich zur elektronischen Patientenakte. Aus Sicht von Lauterbach muss diese nicht für alle Krankenkassen gleich sein, sondern die Varianten der einzelnen Kassen müssen lediglich kompatibel sein, sodass etwa beim Kassenwechsel keine Daten verloren gehen. Hermann mahnte, die Digitalisierung auch beim Thema Pflege zu nutzen. Das könne etwa im ländlichen Raum viele Probleme abmildern. 

Ines Körver ist Redakteurin beim KomPart-Verlag.