Qualität

Pflege-Report deckt Mängel auf

Ob Druckgeschwüre, Psychopharmaka oder Einweisungen ins Krankenhaus: Deutschlands Pflegeheime unterscheiden sich in punkto Qualität ganz erheblich voneinander. Das belegt eine aktuelle Analyse. Von Thomas Hommel

Die etwa 11.000 Pflegeheime

in Deutschland weisen große Qualitätsunterschiede hinsichtlich der Versorgung ihrer Bewohner auf. Das geht aus einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor. Sie ist Teil des Pflege-Reports 2018. Grundlage sind Abrechnungsdaten von AOK-versicherten Pflegebedürftigen aus rund 5.600 Heimen.

Das WIdO hat erstmals auch Versorgungsbereiche ausgewertet, die bislang nicht Bestandteil der gesetzlich vorgesehenen Qualitätssicherung sind, da sie über das Sozialgesetzbuch XI hinaus­gehen. „Wichtig ist, dass wir auch die uns bekannten Probleme bei der gesundheit­lichen Versorgung von Pflegeheimbe­wohnern aufgreifen und nicht nur die Pflege im engeren Sinne beleuchten“, betonte Dr. Antje Schwinger, Leiterin des Forschungsbereichs Pflege im WIdO und Mitherausgeberin des Pflege-Reports.

Heimleitung, Pflegekraft und Arzt müssen gemeinsam Verantwortung für mehr Qualität tragen.

Laut Report treten je 100 Heimbewohner im Schnitt 8,5 neue Dekubitus-Fälle pro Jahr auf. Das auffälligste Viertel der Heime mit zwölf oder mehr Fällen wies dreimal so viele Fälle auf wie das Viertel der Einrichtungen mit den niedrigsten Raten. „Zwar ist die unterschiedliche Risikostruktur der Bewohner zu berücksichtigen“, so Schwinger. Allerdings gebe es bewährte Standards in der Dekubitusprophylaxe. So gehen Experten davon aus, dass sich ein Dekubitus bei entsprechend fachgerechter Pflege in der Regel verhindern lässt. „So gesehen sind die großen Unterschiede auch in den noch nicht-risikoadjustierten Raten sehr auffällig.“ Heime mit mehr Risikopatienten müssten verstärkt Schritte zur Dekubitus-Vermeidung einleiten, so Schwinger.

Auffällig ist auch, dass 41 Prozent der Demenzkranken im Pflegeheim mindestens einmal im Quartal ein Antipsychotikum verabreicht bekommt, obwohl die dauerhafte Gabe dieser Medikamente an Demenzkranke gegen Leitlinien verstößt. Genauso wie die Häufigkeit von Dekubitus-Fällen ist auch die Zahl der Antipsychotika-Verordnungen ein wichtiger Indikator, um die Qualität der Versorgung in einem Heim zu bewerten.

Im auffälligsten Viertel der Heime sind es so viele, dass statistisch gesehen jeder Bewohner mit Demenz in zwei Quartalen eine Antipsychotika-Verordnung erhält. Damit liegt diese Rate um das 1,5-fache höher als beim Viertel der Heime mit den niedrigsten Werten.

Viele Klinikeinweisungen vermeidbar.

Problematisch erscheinen auch Kenn­zahlen, die die Schnittstelle Pflegeheim/Krankenhaus beleuchten. Klinikaufenthalte können sich für die zumeist hochbetagten, kognitiv eingeschränkten Menschen im Pflegeheim selbst zum Gesundheitsrisiko auswachsen. Die WIdO-Analysen zeigen, dass jeder fünfte Bewohner innerhalb eines Quartals in die Klinik eingewiesen wird. Gleichzeitig gelten aber 40 Prozent dieser Einweisungen in Fachkreisen als potenziell vermeidbar. Bei einer besseren ambulant-ärztlichen Versorgung wären sie zum Teil unnötig. Schwinger: „Selbst wenn nicht alle Fälle von Klinikeinweisungen tatsächlich vermeidbar sind – die breite Ergebnisspanne zwischen den Pflegeheimen wirft auch hier Fragen auf.“ Pro Jahr summieren sich die ambulant-sensitiven, also vermeid­baren Krankenhausfälle durchschnittlich auf 32 je 100 Bewohner. Die fünf Prozent der Heime, die am auffälligsten sind, haben doppelt so hohe Raten wie der Durchschnitt. Das heißt: Dort sind es 63 Fälle pro 100 Bewohner.

Routinedaten nutzen.

Um die Defizite abzustellen, ist aus Sicht von WIdO-Ex­per­tin Schwinger mehr Transparenz über das tatsächliche Versorgungsgeschehen erforderlich. Dadurch gewonnene Kennzahlen zur Pflegequalität könnten helfen, den Erfolg von Interventionen wie etwa eine regelmäßige Überprüfung der Medi­kation zu messen und zu bewerten. Alle an der Versorgung Beteiligten – Pflegekräfte, Heimleitung oder aber Ärzte – sollten durch mehr Transparenz befähigt werden, gemeinsam entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Entscheidend sei, dass der Qualitätssprung bei den Heimbewohnern ankomme.

Schwinger unterstrich zugleich die wachsende Bedeutung der sektorenübergreifenden Qualitätssicherung in der Pflege. „Es ist gut, dass jetzt der Pflege-TÜV völlig neu aufgestellt wird. Aber die gesundheitliche Versorgung der Pflegebedürftigen wird er weiterhin nicht abbilden.“ Analog zum Krankenhaus, wo die sektorenübergreifende Qualitäts­sicherung über Routinedaten längst etabliert sei, sollten auch im Pflegebereich Abrechnungsdaten für ein Mehr an Versorgungstransparenz genutzt werden.

Der Pflege-Report 2018 zum Download

Thomas Hommel führte das Gespräch. Er ist Chefreporter der G+G.
Bildnachweis: Foto Startseite iStock/SilviaJansensen