G+G-Studienreise

Pflege auf Augenhöhe

Eigenständig, selbstbewusst und verdammt gut organisiert: Pflegeprofis in Dänemark, Schweden und Norwegen haben ihren Kollegen in Deutschland einiges voraus. Doch Nachwuchssorgen und der Ruf nach schneller und billiger Pflege machen den Berufsfunktionären im Norden Europas zunehmend zu schaffen, wie die Teilnehmer der G+G-Studienreise nach Skandinavien erfahren konnten. Von Thomas Hommel

Ywa Dougaard begrüßt uns mit einem freundlichen „Hej“: Die Distriktpflegerin der Erstversorgungsklinik Lund erinnert äußerlich sehr an Schwedens berühmteste Kinderbuchautorin Astrid Lindgren: grau-braune Haare, blaue Augen, weiche Wangen. Ywa trägt Ringelsocken und Ledersandalen an den Füßen – die Hände hat sie tief in den Taschen ihres weißen Kittels vergraben. Ein großes Namensschild prangt neben der mit Kugelschreibern und Zetteln gefüllten Brusttasche.

In nahezu perfektem Englisch erklärt Ywa ihre Aufgaben in der Klinik. Die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der von G+G in Kooperation mit Pflegeverbänden aus Schweden, Dänemark und Norwegen sowie mit Unterstützung des Deutschen Pflegerates organisierten Studienreise haben es sich in einem der Behandlungszimmer bequem gemacht und hören der Pflegerin aufmerksam zu. Sie alle haben in Deutschland beruflich mit Pflege zu tun – bei Krankenkassen, in Kliniken, Unternehmen, bei Verbänden oder in Gemeinden.

Wie eine Spinne im Versorgungsnetz.

Die Erstversorgungsklinik Lund, erzählt Ywa, sei eine Art Krankenhaus-Ambulanz. Die könne jeder – auch ohne vorherige Anmeldung – aufsuchen, der gesundheitliche Beschwerden oder kleinere Verletzungen habe.

Als Distrikpflegerin sei sie für den Erstkontakt mit den Patienten zuständig. Je nach Schwere der Erkrankung reihe sie die Besucher zur ambulanten Versorgung in die Warteschlange eines der Dienst habenden Ärzte ein oder schicke sie in eine der Klinikabteilungen. Sei eine Akutbehandlung unnötig, verweise sie den Patienten an das regionale Gesundheitszentrum. Bei Unklarheiten ziehe sie einen Arzt zu Rate. „Im Grunde bin ich so etwas wie die Spinne im Netz“, sagt Ywa. „Bei mir laufen alle Fäden zusammen.“

In Deutschland kämen solche Sätze wohl selbst einem gestandenen Pflegeprofi nur schwer über die Lippen. Anders in Schweden. Entsprechend ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger sind dort – wie in anderen Ländern Skandinaviens – nicht nur erste Anlaufstelle für Patienten, die bei Beschwerden eines der ambulanten Versorgungszentren aufsuchen. Auch die Arbeitsteilung ist eine andere.

So erledigen Pflegeprofis im Norden Europas Aufgaben, die in Deutschland in der Regel Ärzten vorbehalten sind: Sie besuchen kranke, ältere Menschen zu Hause, lotsen die Patienten an Haus- und Fachärzte oder an Kliniken und Gesundheitszentren weiter, beraten und schulen chronisch Kranke und verordnen mitunter selbstständig Medikamente – etwa bei Scharlach oder bestimmten Darminfektionen.

Studium legt den Grundstein.

Auf ein hohes Maß an Eigenständigkeit wird bereits in der Pflegeausbildung gesetzt. Diese findet in Skandinavien überwiegend an Hochschulen statt. Der Abschluss, der zur geschützten Berufsbezeichnung „Registrierte/r Krankenschwester/Krankenpfleger“ führt, ist in Schweden, Norwegen und Dänemark der Bachelor. Die Studienlänge variiert von Land zu Land. In Dänemark dauert das Pflegestudium – inklusive Praxisphasen – 3,5 Jahre, in Norwegen und Schweden drei Jahre. Teilweise spezialisieren sich die Absolventen schon während des Studiums. Die Zulassung zur Berufsausübung erfolgt mit Aufnahme in entsprechende staatliche Register.

Unabhängig bedeutet selbstständig.

In Schweden wurde die akademische Pflegeausbildung bereits 1977 eingeführt. Eine Unterteilung in Kranken- und Altenpflege gibt es nicht. Norwegen zog 1983 mit der Akademisierung nach – Dänemark 1990. Damit ist in allen drei Ländern schon lange Realität, was in Deutschland bis heute Gegenstand kontrovers geführter Debatten ist.

„Pflegefachpersonen in Skandinavien sind Akademiker – das ist auch ein Grund für die Eigenständigkeit der Berufsgruppe“, sagt Monica Rat, Vorstandsmitglied des schwedischen Verbandes der Gesundheitsberufe Vardförbundet mit Sitz in Malmö. Gut 114.000 Mitglieder gehören der gewerkschaftsähnlichen Vereinigung an. Neben Pflegern vertritt der Verband auch Hebammen und Röntgenassistenten. Die Verbandsvorderen kümmern sich um berufliche Inhalte, wachen über die Fort- und Weiterbildung und kooperieren dabei eng mit anderen Organisationen.

In Schweden bestimmt das einschlägige Gesetz zur Ausbildung von Krankenpflegern, dass Angehörigen der Berufsgruppe „Kenntnisse und Fertigkeiten (vermittelt werden sollen), die erforderlich sind, um unabhängig im Gesundheitswesen zu arbeiten“. Ein weiteres Ziel der Ausbildung ist es, den Absolventen „Kenntnisse für die Planung, das Führen und die Koordination der Versorgung“ zu vermitteln. Ähnliches gilt für Dänemark und Norwegen.

Klarer Zuschnitt der Aufgaben.

Eine Umschreibung von Pflege als „Heilhilfsberuf“ würden Pflegeprofis in Skandinavien denn auch weit von sich weisen. Die Zuordnung würde ihrem Zuständigkeitsbereich nicht gerecht. Denn professionell Pflegende dort bilden eine eigenständige Säule der Gesundheitsversorgung, die gleich hoch hinaus ragt wie die der Mediziner. „Wir agieren hier auf Augenhöhe“, betont Monica Rat.

In ihrem Land sei das nicht viel anders, pflichtet Edel Marie Thomson bei. Das Aufgabenspektrum von Pflegern und Ärzten, sagt die Direktorin des Bereiches Krankenpflege am süddänischen Universitäts-College Sygeplejerskeuddannelsen, sei in den Ländern Skandinaviens klar umrissen. „Professionell Pflegende und Ärzte kooperieren eng miteinander, doch jeder hat seinen eigenen Zuständigkeitsbereich.“

Die starke Stellung der Pflege in Skandinavien begründen Experten aber nicht bloß mit der Akademisierung des Berufszweiges. Ein weiterer Grund sei, dass Ärzte in Nordeuropa traditionell knapp und teuer sind. So werden in den überwiegend staatlich organisierten und vor allem mit Steuermitteln finanzierten Gesundheitssystemen Skandinaviens Mediziner nur in der Zahl ausgebildet, die der zuvor berechnete Bedarf vorgibt. Das wirkt sich auch auf das zahlenmäßige Verhältnis von Medizinern und Pflegenden aus, wie ein Blick in eine Statistik der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD Health Statistics) von 2017 zeigt. Danach ist die Anzahl der Pflegeprofis in Dänemark und Finnland viermal so groß wie die der Ärzte – auf einen Doktor kommen dort knapp fünf Pfleger. In Norwegen sind es vier Pflegeprofis je Arzt. In Schweden ist das Verhältnis – ähnlich wie in Deutschland – mit drei zu eins etwas ausgeglichener.

Dass die Pflege in Skandinavien eine starke Stellung einnimmt, hängt aber auch mit der hohen fachlichen Wertschätzung in der Gesellschaft zusammen. Sich in die Obhut einer Distrikpflegerin wie Ywa Dougaard zu begeben, ist nahezu selbstverständlich für einen Schweden. Kaum jemand würde auf die Idee kommen, ihren Rat auszuschlagen und sofort nach einem Arzt zu rufen. „Das Vertrauen in die Pflegeprofession ist groß“, weiß Monica Rat vom schwedischen Pflegeverband.

Informieren, beraten, schulen.

Ein Befund, der sich auch beim Besuch des „Amager Gesundheitscenters“ in Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen bestätigt. Fünf solcher Zentren für chronisch Kranke gibt es landesweit. Geleitet werden die Einrichtungen, die an Freizeitclubs mit gemütlichen Besprechungsecken, bunten Kickertischen und Fitnessgeräten erinnern, von spezialisierten Pflegerinnen und Pfegern. Nach Ärzten sucht man hier vergebens. In Einzelgesprächen und Gruppensitzungen beraten die Pflegeprofis Patienten, die an Diabetes, Übergewicht, Atemwegserkrankungen (COPD) oder anderen chronischen Erkrankungen laborieren. Die meisten der Patienten kommen per Überweisung aus nahegelegenen Kliniken und Praxen hierher.

In einem Aufnahmegespräch, das etwa eineinhalb Stunden dauert, wird die persönliche Krankengeschichte besprochen. Anschließend sollen Therapien verstetigt und Kompetenzen der Patienten im Umgang mit ihrer Erkrankung geschult werden. Zudem gibt es Seminare für gesunde Bewegung im Alltag oder ausgewogene Ernährung. Wer vom Rauchen loskommen will, nimmt an einem der vielen Entwöhnungskurse teil. Das alles geschieht freiwillig – ähnlich wie bei den Disease-Management-Programmen in Deutschland. Nur mit dem Unterschied, dass hier Pflegeprofis und nicht Ärzte den Hut aufhaben.

Pflegekräfte in Skandinavien erledigen Aufgaben, die in Deutschland in der Regel den Ärzten vorbehalten sind.

Anleitung zu mehr Gesundheitskompetenz.

„Die Politik im Land will die Eigenverantwortung der Menschen stärken. Sie sollen Koproduzenten ihrer eigenen Gesundheit werden und lernen, mit Erkrankungen besser umzugehen“, sagt Anni Pilgaard, Vize-Präsidentin der Dänischen Pflegeorganisation (DSR) in Kopenhagen. Professionell Pflegende spielten dabei eine wichtige Rolle. Sie könnten die Patienten durch das Gesundheitssystem lotsen und ihnen zu größerer Gesundheitskompetenz verhelfen. Angesichts einer wachsenden Zahl chronischer Erkrankungen würden derartige Aufgaben immer wichtiger, zeigt sich Pilgaard überzeugt.

Gemeinsam für ein würdevolles Sterben.

Am Rigshospitalet – Kopenhagens größtem Krankenhaus, das nur einen Steinwurf entfernt vom Amager Gesundheitscenter liegt – arbeiten derweil Ärzte und Pflegekräfte an einem nationalen Qualitätsprojekt zur palliativmedizinischen Versorgung krebskranker Menschen. Ziel der groß angelegten Studie ist es, die Situation der Patienten zu verbessern und ihnen ein Sterben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Multidisziplinäre Teams aus Medizinern und Pflegenden stellten dabei die Betreuung der Patienten sicher – „unter enger Einbeziehung der Angehörigen“, berichtet Berit Johnsen, leitende Krankenschwester am Rigshospitalet und Vize-Präsidentin des dänischen Verbandes für Palliativpflege. Nicht selten werde das Wohnzimmer dann zum Krankenlager. Technisch sei das heute kein Problem mehr – aber es müsse eben auch in Würde geschehen, betont Johnson.

Knapp 60 Prozent der Dänen würden in Kliniken versterben, berichtet Professor Henrik Larsen, verantwortlicher Arzt für das Qualitätsprojekt und Vorstandsmitglied der Organisation für die multidisziplinäre Versorgung von Krebspatienten. „Wir wollen erreichen, dass mehr schwerkranke Menschen zu Hause sterben können.“ In Kürze will Larsen erste Studienergebnisse veröffentlichen. Schon jetzt ist er sich sicher, dass sich Palliativmedizin und Palliativpflege in Dänemark mit dem Projekt nachhaltig verändern – und schiebt ein dickes Lob an alle Beteiligten hinterher. Dass ein ranghoher Arzt wie selbstverständlich Medizin und Pflege in einem Atemzug erwähnt – auch das ist ein Stück weit gelebte Normalität im Norden Europas.

Für Erstdiagnosen wählen die Schweden „1177“.

Ortswechsel. April Malmborn telefoniert mal wieder – und das stundenlang. Im Telemedizin-Zentrum für telefonische Erstdiagnosen im Herzen von Malmö gibt die Pflegerin ihren Anrufern geduldig Auskunft. Unter der schwedenweit gleichen Nummer „1177“ kann jeder anrufen, der Beratung und erste Hilfe bei Krankheit einholen möchte. Für sich, sein Kind oder einen nahen Angehörigen. Die Leitungen sind rund um die Uhr geschaltet – die ganze Woche über.

Fieber und Übelkeit, starker Kopfschmerz, Schwindel, Taubheit – die Anliegen der Anrufer sind vielfältig. Ihren Laptop hat April Malmborn dabei ständig im Blick. Darin enthalten ist auch ein Programm mit einem standardisierten Frage- und Dokumentationsbogen, in dem die Pflegerin einträgt, was sie vom Anrufer über dessen gesundheitliches Problem oder – im Falle eines Elternteils – über das des Kindes erfährt. „Wir erstellen hier aber keine ärztlichen Diagnosen, sondern versuchen herauszufinden, was der Anrufer hat und wie die weiteren Schritte aussehen“, sagt Malmborn. Sie spricht von einer „Lotsenfunktion“ – auch um zu verhindern, dass ihre Landsleute wegen Bagatellen gleich zum Arzt rennen statt selbst für Linderung zu sorgen. Handele es sich dagegen um ein ernstes gesundheitliches Problem, verweise sie den Anrufer an einen Arzt oder Krankenhaus. Ewig dürfe ein Telefonat nicht dauern, sagt Malmborn. „Sechs bis acht Anrufer pro Stunde muss ich abarbeiten – das ist meine Agenda.“

Oft ließen sich Symptome schon dadurch lindern, dass man darüber spreche und die Pflegerin vorsichtig Entwarnung gebe. Mitunter können sich die Anrufer auch ein paar Stunden oder Tage später wieder melden und berichten, wie es ihnen geht. „Ist dann immer noch keine Besserung eingetreten, können wir neu entscheiden, was zu tun ist.“ Ein Effekt des Angebotes: Die Zahl der Arztkontakte hat sich zuletzt reduziert. So zählt Schweden im Schnitt nur 2,9 Arztkontakte je Einwohner und Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland suchen Erwachsene im Alter zwischen 18 und 79 Jahren laut Robert Koch-Institut im Schnitt 9,2-mal pro Jahr einen Doktor auf.

Pflegeprofis managen Notfall-Triage.

Petra Naess sitzt nicht nur am Telefon. Sie wacht auch über große Monitore, an denen grüne und rote Lampen wie wild aufblinken. Die gelernte Pflegerin ist stellvertretende Leiterin des Notfallzentrums Malmö Stad Larmcentral. Das 2016 gegründete, volldigitalisierte Zentrum hört auf die Rufnummer „112“ und ist als Rettungsleitstelle für den Großraum Malmö und die umliegende Provinz Skåne in Südschweden zuständig.

Die in der Leitstelle eingehenden Notfälle werden nach einem Prioritätensystem bearbeitet. Das Prinzip dahinter: Je schwerer der Notfall ist, desto schneller muss der Rettungswagen am Unfallort eintreffen – in 15, 30 oder spätestens 60 Minuten. Das Interessante daran: Die sogenannte Triage – also die Ersteinschätzung der Schwere des Notfalls – übernehmen nicht Ärzte, sondern Pflegeinnen wie Petra Naess. „Wir alle verfügen über eine große Fachkompetenz“, sagt sie – und fügt schmunzelnd hinzu: „Einen kühlen Kopf braucht es natürlich auch.“ Eine Pflegerin, die über schnelle Hilfe im medizinischen Notfall entscheidet? In Schweden ist das normal und akzeptiert.

Viele Stellen sind unbesetzt.

Natürlich ist auch in den Gesundheitssystemen Nordeuropas nicht alles Gold, was glänzt. Zu den weniger rosigen Seiten gehören lange Wartezeiten, hohe Selbstbeteiligungen und ein sich verschärfender Mangel an Ärzten – und Pflegern. Jarle Grumstad, leitender Mitarbeiter des norwegischen Verbandes für Pflegeberufe (NNO), nennt vorsichtige Schätzungen für die Pflegezunft in seinem Land: Derzeit seien rund 6.000 Pflegestellen unbesetzt, im Jahr 2035 könnten es 30.000 und mehr sein. Auch das Thema „Berufsflucht“ beschäftige die Verbandsfunktionäre, berichtet Grumstad. So steige in Norwegen innerhalb von zehn Jahren einer von fünf Pflegeprofis aus dem Job aus. Eine Teilzeitquote von 50 Prozent verschärfe das Problem zusätzlich, da für einen wachsenden Bedarf an Pflege nicht genügend Personal zur Verfügung stehe.

Schnell und billig?

Ole Toftdahl Sorensen, Leiter der Geschäftsstelle der Dänischen Pflegeorganisation in Kopenhagen, hat ebenfalls Sorgenfalten auf der Stirn. „Berufsflucht ist auch bei uns ein Thema“, sagt er. Viele der jüngereren Kolleginnen und Kollegen wünschten sich eine bessere Work-Life-Balance. In einem Beruf im Schichtdienst-Takt sei dieses Bedürfnis nicht immer leicht zu befriedigen. Bleibe es dauerhaft unerfüllt, dann kehrten die Leute dem Pflegeberuf den Rücken zu.

Nachdenklich stimmt Sorensen aber noch etwas anderes. Er beschreibt es als Fast-Food-Mentalität: „Pflege soll möglichst schnell und billig sein.“ Dieses Prinzip, das in Teilen der Gesellschaft immer stärker um sich greife, gehe jedoch nicht auf, „wenn Pflege zugleich gut und hochkompetent sein soll“.

Im Übrigen suche auch Dänemarks Pflege händeringend nach jungen Talenten, sagt Sorensen. „Wir gehen deshalb verstärkt in die Schulen und werben für den Pflegeberuf.“

Das könnte wirken. Denn Skandinaviens Pflegeverbände haben großen Einfluss in der Gesellschaft, was nicht zuletzt am hohen Organisationsgrad der Branche liegt: So sind in Dänemark und Norwegen rund 80 Prozent der Pflegenden Mitglied im Berufsverband, in Schweden sind es 86 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland engagieren sich gerade einmal zehn Prozent aller Pflegefachpersonen in Berufsorganisationen.

Masse allein löse natürlich noch kein Problem, sagt der Norweger Grumstad. „Aber es ist hilfreich, starke Muskeln zu haben.“ 170 hauptamtliche Vertreter und mehr als 3.200 ehrenamtliche „Repräsentanten“ zählt der 1912 gegründete norwegische Pflegeverband NNO. Knapp 115.000 Pflegende sind heute im Besitz eines Mitgliedsausweises des Verbandes.

Stetig neue Kompetenzen angeeignet.

Das dickste Pfund, mit dem die Pflegeprofession im Norden Europas wuchern kann, dürfte indes ihr Selbstbewusstsein sein. Das imponiert sogar ausländischen Beobachtern wie dem Präsidenten des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner: „Was mich beeindruckt, das ist der Stolz, mit dem Pflegende in Skandinavien ihrem Beruf nachgehen. Das hängt auch damit zusammen, dass sie eine hohe fachliche Wertschätzung erfahren.“ (Siehe Interview „Eine dicke Scheibe abschneiden“).

Freilich: Solche Anerkennung fällt nicht einfach vom Himmel. Sie ist mühsam erkämpft. Charakteristisch für die Pflege in Skandinavien sei eben, dass sie ihre Belange stets selber in die Hand genommen und ihre Kompetenzen über viele Jahrzehnte hinweg stetig vermehrt habe, bringt es die Dänin Edel Marie Thomson zum Abschluss der G+G-Studienreise auf den Punkt. „Wir Pflegenden haben den Menschen gezeigt, dass wir das alles nicht nur wollen, sondern dass wir das alles auch sehr gut können.“

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
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