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Kommentar

Notlösung für die Pflege

Monatelang stritten Kliniken und Krankenkassen über Pflege-Personaluntergrenzen. Jetzt hat die Politik konkrete Vorgaben gemacht. Aber sie bergen Gefahren, meint Bettina Markmeyer.

Die Regelung stand schon in der Kritik,

bevor sie in Kraft trat: Unter dem Bandwurm-Namen „Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung“ werden allen Kliniken im kommenden Jahr Mindestvorgaben für die Zahl der Pflegekräfte gemacht. Die Regelungen gelten für Intensivstationen, in der Unfallmedizin, Kardiologie und in der Geriatrie. „Wirkungslos“ bis „schädlich“ urteilen die Interessenverbände im Gesundheitswesen. „Unerwünschtes Minimum“, warnt die Vereinigung der Intensiv- und Notfallmedizin. „Weit weg von einer guten Patientenversorgung“, kritisiert die Gewerkschaft ver.di. Allein die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) findet die Mindestvorgaben zu hoch.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Verordnung erlassen, nachdem die DKG und der GKV-Spitzenverband sich ewig nicht hatten verständigen können. Sein Vorgehen war richtig. Es muss Folgen haben für die Akteure im Gesundheitswesen, wenn sie auf Kosten der Beitragszahler Ping Pong spielen, statt ihre Arbeit zu machen. Selbstverwaltung heißt nicht Selbstunterhaltung.

Kein Krankenhaus überlebt auf Dauer, wenn es Personal verschleißt.

Gemessen an den Bedürfnissen der Patienten und dem Anspruch der Krankenschwestern und Krankenpfleger an ihren Beruf sind die Untergrenzen aber bestenfalls ein erster Schritt, wie der Deutsche Pflegerat meint – oder sogar ein Rückschritt, wie die Notfall- und Unfallmediziner warnen. Denn die Grenzwerte orientieren sich am unteren Viertel der Krankenhäuser, die am wenigsten Personal einsetzen. Die Verlockung für besser ausgestattete Kliniken, ihr Pflegepersonal zumindest vorübergehend auf die Mindestvorgaben zu reduzieren, sei groß, warnen die Notfallmediziner. Das gelte insbesondere mit Blick auf die Nachtschichten, für die die Vorgaben nochmal gesenkt wurden. ver.di und Pflegerat sehen die Gefahr, dass die Klinikleitungen woanders Personal abziehen könnten, um die Vorgaben in den pflegeintensiven Abteilungen zu erfüllen.

Diese Gefahren bestehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass getrickst wird. Die Verordnung ist daher nur eine Notlösung auf dem Weg zu einer vernünftigen Personalbemessung. Untergrenzen sind nichts anderes als der gesetzliche Mindestlohn im Vergleich zu Tariflöhnen. Niemand kann von 1.500 Euro eine Familie versorgen. Und kein Krankenhaus überlebt auf Dauer, wenn es Personal verschleißt und Patienten in Gefahr bringt.

Bettina Markmeyer ist Hauptstadt-Korrespondentin beim Evangelischen Pressedienst.
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