Arzthaftung

Patient muss Befund erhalten

Tauschen sich ein Krankenhaus und ein niedergelassener Arzt über bedrohliche Befunde und Therapieempfehlungen aus, muss er dem Patienten die Informationen weitergeben. Macht er dies nicht, liegt ein grober Behandlungsfehler vor. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Von Anja Mertens

Urteil vom 26. Juni 2018
– VI ZR 285/17 –

Bundesgerichtshof

Kommunikation

und Informationsaustausch zwischen Arzt, Patient, Klinik, Therapeut und Pflegekraft ist ein wesentliches Element für die Qualität der medizinischen Versorgung. Funktioniert dies nicht, kann es zu Behandlungsfehlern und gravierenden Gesundheitsschäden kommen. Welche rechtlichen Konsequenzen es hat, wenn ein Arzt seinen Informationspflichten gegenüber seinem Patienten nicht nachkommt, hat kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) deutlich gemacht.

Geschwulst diagnostiziert und entfernt.

Geklagt hatte ein Mann gegen seine langjährige Hausärztin. Wegen Schmerzen im linken Bein und Fuß war er im Juli 2008 in ihre Sprechstunde gekommen. Die Hausärztin überwies ihn in fachärztliche Behandlung. In einem Krankenhaus wurde bei einer Magnetresonanztomografie eine etwa ein Zentimeter große Geschwulst in der linken Kniekehle festgestellt und am 30. Oktober in einer anderen Klinik entfernt.

Diese informierte Anfang November 2008 die Hausärztin mit Arztbrief, nachrichtlich die Fachärztin und das zunächst behandelnde Krankenhaus darüber, dass der histologische Befund noch nicht vorliege. In einem ausschließlich an die Hausärztin gerichteten zweiten Arztbrief vom 9. Januar 2009 teilte die Klinik mit, dass es sich um einen bösartigen Tumor handele, und empfahl die Weiterbehandlung in einem onkologischen Spezialzentrum.

Die Hausärztin informierte den Patienten jedoch nicht über den Krebsbefund und die Therapieempfehlung der Klinik. Erst eineinhalb Jahre später erfuhr der Mann zufällig von dem Befund, als er die Hausärztin im Mai 2010 in einer anderen Sache aufsuchte. Inzwischen hatte sich ein neuer Tumor in der Kniekehle gebildet. Weitere Operationen folgten.

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Der Patient verklagte die Hausärztin auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Diese habe es behandlungsfehlerhaft unterlassen, ihn über Diagnose und Therapieempfehlung zu unterrichten.

Das Landgericht gab seiner Klage teilweise statt. Das Oberlandesgericht (OLG) wies sie aber ab. Selbst wenn ein Aufklärungsfehler anzunehmen wäre, habe der Patient nicht bewiesen, dass der Fehler ursächlich für den weiteren Verlauf der Erkrankung gewesen sei. Es liege kein grober Fehler vor. Der Sachverständige habe dargelegt, dass die Ärztin nachvollziehbar in der gegebenen Situation untätig geblieben sei. Sie habe den Patienten in fachärztliche Behandlung überwiesen und ihn zuletzt im August 2008 gesehen. Es hätte sich ihr nicht aufdrängen müssen, dass sie von der Klinik fehlerhaft als maßgebliche Behandelnde angesehen worden sei.

Informationspflicht verletzt.

Der Patient legte Revision beim BGH ein. Dieser hob das vorinstanzliche Urteil auf und wies den Fall an das OLG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Es sei behandlungsfehlerhaft, Patienten über einen bedrohlichen Befund, der Anlass zur umgehenden ärztlichen Behandlung gibt, nicht zu informieren.

Auch nach einer Überweisung an einen Kollegen haben Ärzte eine nachwirkende Schutz- und Fürsorgepflicht, so die obersten Zivilrichter.

Zwar gehe durch eine Überweisung die Behandlungsverantwortung grundsätzlich auf die Weiterbehandelnden über. Das gelte aber nicht uneingeschränkt. Habe beispielsweise ein Hausarzt gewichtige Bedenken gegen Diagnose und Therapie von Facharztkollegen, müsse er dies mit seinem Patienten besprechen. Auch dürfe kein Arzt, der es besser weiß, sehenden Auges eine Gefährdung seines Patienten hinnehmen, wenn ein anderer Mediziner seiner Ansicht nach etwas falsch gemacht hat oder er den Verdacht habe, es könne ein Fehler passiert sein. Das gebiete der Schutz des Patienten. Zwar sei im vorliegenden Fall die Verantwortung für die Behandlung zunächst an die Fachärztin und in der Folge an die Krankenhäuser übergegangen. Gleichwohl sei die Ärztin verpflichtet gewesen, den Patienten zu informieren.

Letzter Arztkontakt spielt keine Rolle.

Ein Behandlungsfehler sei dann als grob zu bewerten, wenn ein Arzt eindeutig gegen bewährte Therapieregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoße und einen Fehler begangen habe, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt einfach nicht unterlaufen dürfe.

Das OLG habe den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt. Bei der Beurteilung, ob ein grober Behandlungsfehler ausscheide, komme es nicht darauf an, ob ein solcher Fehler im Praxisalltag passieren könne. Auch der Zeitpunkt des letzten Behandlungskontakts – der Patient war zum Zeitpunkt der Übersendung des zweiten Arztbriefes seit fünf Monaten nicht mehr bei der Hausärztin gewesen – sei nicht von Belang.

Hausärzte sind Koordinatoren.

Der BGH folgte auch nicht der Auffassung der Vorinstanz, dass sich der Hausärztin nicht hätte aufdrängen müssen, dass sie von der Klinik als behandelnde Ärztin angesehen wurde. Dies ergebe sich bereits unmittelbar aus dem zweiten, nur an sie gerichteten Arztbrief. Auch habe das OLG die Ausführungen des Sachverständigen außer Acht gelassen, nach denen weitere Arztbriefe oder mündliche Informationen an die eigentlich weiterbehandelnden Ärzte „völlig untypisch“ seien.

Unberücksichtigt geblieben sei zudem, dass der Patient seit vielen Jahren bei der Hausärztin in Behandlung war. Gerade ein in der Langzeitbetreuung und damit auch interdisziplinären Koordination tätiger Hausarzt müsse damit rechnen, dass ihn seine Patienten im Rahmen einer Krankenhausbehandlung als Ansprechpartner angeben, urteilte der BGH.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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