Pflegemarkt

So lässt sich die Fachkraft-Lücke füllen

Heime und ambulante Dienste suchen oft vergeblich nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Um Nachwuchs zu gewinnen, empfiehlt Personalexperte Prof. Dr. Klaus Watzka, beispielsweise in Vietnam Pflegefachkräfte nach deutschen Standards auszubilden.

Wie lange wollen wir noch warten?

Die Zahlen sind eindeutig. Schon heute gehören Pflegefachkräfte zu den absoluten Mangelberufen. Demografiebedingt wird die Zahl pflegebedürftiger Menschen deutlich ansteigen, und gleichzeitig gehen viele Pflegekräfte in den Ruhestand. Für das Jahr 2030 prognostizieren Studien eine Pflegekraftlücke zwischen 213.000 und 479.000.

Dieses Problem ist von Dimension und sozialer Brisanz her viel zu ernst, als es mit einer Strategie des Durchwurstelns anzugehen. Wir brauchen Lösungen, die dem deutschen Arbeitsmarkt gut planbar Pflegefachkräfte in substanziellem Umfang zuführen. Oder wollen wir wirklich riskieren, im Jahr 2030 vor einem Heer pflegerisch unversorgter Menschen zu stehen?

Branchen konkurrieren um Fachkräfte.

Die im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz geplanten 13.000 neuen Stellen hören sich gut an – aber woher sollen die Arbeitskräfte dafür kommen? Verbesserte Vergütungs- und Arbeitsbedingungen zur Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufs sind sicher sinnvoll. Aber genau das wird in allen anderen Branchen mit Fachkräftemangel auch versucht. Im Ergebnis haben wir ein Nullsummenspiel, bei dem ein Wirtschaftssektor dem anderen die benötigten Arbeitskräfte entzieht. Anreizstrukturen und Personalkosten schaukeln sich nach oben und am Ende besteht wieder ein Wettbewerbsgleichgewicht auf höherem Niveau. So also nicht!

Potenziale im Ausland heben.

Es braucht eine Vergrößerung des verfügbaren Arbeitskräftepotenzials. Bei annähernder Vollbeschäftigung geht der Blick schnell auf bislang ungehobene Arbeitsmarktpotenziale: Menschen ohne Schulabschluss, Langzeitarbeitslose, Stille Reserve, Frauenerwerbstätigkeit, Qualifizierung von Pflegehilfskräften. Aus unterschiedlichsten Gründen (dazu gehören fehlende Qualifikationen, mangelnde Bereitschaft zur Erwerbstätigkeit) wird man so kaum die erforderliche Anzahl an Fachkräften gewinnen. Bleibt also nur die Orientierung Richtung Ausland. Und dort sind in unterschiedlichsten Ländern die unterschiedlichsten Akteure, wie beispielsweise Arbeitsagentur, Personaldienstleister, einzelne Kliniken und Altenheimbetreiber, mit den unterschiedlichsten Ansätzen zwecks Rekrutierung aktiv.

Laut Studien werden im Jahr 2030 mindestens 213.000 Pflegekräfte fehlen.

Aber ist diese Strategie ökonomisch rational und hinreichend ergiebig, wenn viele Akteure quer über den Globus parallel versuchen, auf eigene Faust und unabgestimmt zu agieren? Im Ergebnis löst das zunächst eine aufwendige Anerkennungsbürokratie für die Qualifikationen der angeworbenen Menschen aus. Sie kommen zudem aus unterschiedlichsten Nationen, Sprachräumen und Kulturen, was zu Integrations- und Führungsproblemen in den Einrichtungen führen kann. Dieser Weg ist also zu kleinteilig, zu unsystematisch und zufallsabhängig. Wie also anders?

Ausbildung nach deutschen Standards.

Vorschlag: Auf der Basis eines staatlichen Rahmenvertrags errichten wir in einem geeigneten anderen Land eine Pflegefachschule mit hinreichend großer Kapazität (mindestens 10.000 Schülerinnen und Schüler), rekrutieren vor Ort die Auszubildenden und bilden sie nach deutschen Standards direkt im Ausland aus, wo sie auch intensive Sprachtrainings durchlaufen. Alle Anerkennungsprobleme für die Qualifikationen haben sich damit erledigt. Der Zustrom neuer Pflegekräfte ist relativ gut planbar.

Bei diesem Ansatz muss man nur mit einem einzigen Staat verhandeln und bewegt sich hinsichtlich aller erforderlichen Aktivitäten nur in einem Sprach-, Rechts- und Kulturraum. Ein solch fokussiertes Vorgehen erleichtert die spätere gesellschaftliche und betriebliche Integration der angeworbenen Pflegekräfte. Alle notwendigen Konzepte, Prozesse und schriftlichen Materialien können professionell aus einer Hand entwickelt und den einstellenden Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden.

Als potenziell geeigneter Partnerstaat soll hier Vietnam zur Diskussion gestellt werden. Das Land verfügt mit 95 Millionen Einwohnern über einen hinreichend großen Arbeitsmarkt. Die Bevölkerung ist jung und gut gebildet. Lernen und Bildung gelten traditionell als hohe Güter. Die politische Situation ist stabil, die Beziehung zu Deutschland ist eng (wichtigster Handelspartner in der Europäischen Union, viele Vietnamesen an deutschen Hochschulen, ehemalige Vertragsarbeiter in der DDR) und überwiegend spannungsfrei. Kulturell besteht eine starke Dienstleistungsorientierung und eine hohe Wertschätzung für das Alter – für die Pflege also ideal.

Klaus Watzka ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaft und Personalwirtschaft an der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena.
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