Kongress

Balsam auf die Seele

Beim Pflegetag gelingt dem neuen Gesundheitsminister Jens Spahn mit der Berufung des ehemaligen Pflegerats-Präsidenten Andreas Westerfellhaus zum Pflegebevollmächtigten ein Überraschungscoup. Es ist ein klares Signal an die Profession. Von Thomas Hommel

Es hört sich wie die

übliche Politikerrede an. 23 Minuten lang stellt sich der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn den Besuchern des 5. Deutschen Pflegetages in der Berliner „Station“ vor. Zugewandt, freundlich, die großen Hände zum Dialog ausgestreckt. Die Halle ist gut gefüllt. Der vom Deutschen Pflegerat und der Schlüterschen Verlagsgesellschaft veranstaltete Kongress ist mit 8.000 Besuchern nahezu ausgebucht. Die AOK ist Gründungspartner der Tagung.

„Ich will Ihnen heute das Angebot zur Zusammenarbeit machen“, sagt Spahn und gibt sich staatsmännisch. „Pflege wird eines der ganz großen Themen der nächsten Jahre.“ Deshalb gehe es jetzt darum, Lösungen zu finden. Welche die richtigen sind, darüber wolle er mit den Anwesenden „ringen“. Wenn nötig, auch mal laut. Wer ihn kenne, wisse, dass er Kontroversen schätze. „Sonst springt meine Kiste da oben nicht an“, sagt Spahn und zeigt mit dem Finger auf den Kopf.

Viele Emotionen im Spiel.

Pflege bewege jeden in Deutschland, sagt Spahn, „weil es da immer auch um Emotionen geht“. Außerdem zeige sich im Pflegealltag, was gut und was nicht so gut funktioniert im Gesundheitswesen.

Hermann Gröhe, Spahns Vorgänger im Amt, hätte es besser nicht formulieren können. Die ersten Journalisten packen Stift und Notizblock ein und wollen gehen. Dann, in Minute 24 seiner Rede, gelingt Spahn doch noch die Überraschung. Weil er auf den Sachverstand seiner Mitar­beiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium setze, habe er sich entschieden, dem Bundeskabinett den ehemaligen Pflegerats-Präsidenten Andreas Westerfellhaus für das Amt des Pflegebevollmächtigten vorzuschlagen. Die Halle tobt. Es gibt stehende Ovationen.

„Das ist gut für die Pflege“, kommentiert wenig später der amtierende Ratspräsident Franz Wagner die Personalie. Spahn genießt derweil die Zustimmung. Er weiß: Den gelernten Krankenpfleger und beherzten Berufspolitiker Westerfellhaus zum Pflegebevollmächtigten zu machen, ist ein klares Signal an die Pflegeprofession: Ja, wir schenken euch künftig deutlich mehr Gehör (siehe auch Interview mit Andreas Westerfellhaus "Manchmal werde ich Rammbock sein müssen").

Schon heute dauert es im Schnitt 167 Tage, eine Pflegestelle nachzubesetzen.

Masterplan für die Pflege.

Für Deutschlands rund eine Million Pflegeprofis ist das wie Balsam auf die Seele. „Noch immer entscheiden andere über Pflege, nur nicht wir selbst“, sagt Pflegerats-Chef Wagner. Damit müsse Schluss sein. Die neue Bundesregierung müsse der Pflegepolitik „höchste Priorität einräumen“.

In der vergangenen Legislaturperiode seien in der Pflege viele „wichtige und richtige Reformen“ umgesetzt worden. „Die Lage beruflich Pflegender wurde allerdings stark vernachlässigt.“ Besonders dringlich sei es, Antworten auf den Personalmangel zu finden. Kein leichtes Unterfangen, meint Wagner. „Pflege als Beruf ist durchaus attraktiv. Eine Berufstätigkeit in der Pflege ist es nicht.“

Mit ihrem Sofortprogramm Pflege, das 8.000 neue Fachstellen in Pflegeeinrichtungen vorsieht, sowie einer Konzertierten Aktion Pflege habe die Große Koalition ein „umfangreiches Paket“ geschnürt, das die Personalausstattung in den Einrichtungen verbessern könnte, sagt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Jedoch wisse derzeit niemand, wo die 8.000 neuen Pflegekräfte „mal eben herkommen sollen“. Schon heute dauere es im Schnitt 167 Tage, eine Pflegestelle nachzubesetzen.

Faire Bezahlung für die Beschäftigten.

Attrak­tivität und Zukunftsfähigkeit des Pflegeberufes hängen laut Litsch auch von „angemessener Bezahlung“ ab. Die AOK habe sich daher früh dafür eingesetzt, dass die Träger von Pflegeeinrichtungen nachweisen müssten, dass höhere Vergütungen der Pflegekassen auch bei den Pflegekräften ankämen. Allerdings verlaufe der Prozess, mit den Pflegeanbietern Einzelheiten der Nachweispflichten zu vereinbaren, schleppend. Die Nachweispflichten seien deshalb per Rechtsverordnung festzulegen. Dies könnte durch die Vorlage anonymisierter Gehaltslisten geschehen.

Dass der Fachkräftemangel vielen Pflegeeinrichtungen zu schaffen macht, zeigen derweil Zahlen aus dem Pflege-Thermometer 2018 des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung. 17.000 Stellen in den bundesweit rund 13.500 Pflegeeinrichtungen können danach aktuell nicht besetzt werden. Die repräsentative Befragung von Heim- und Pflegeleitungen bestätigt zudem, dass Pflegekräfte unter weiter steigendem Druck arbeiten. Gut die Hälfte der Beschäftigten gibt an, die Belastungen seien seit 2015 in allen Bereichen gestiegen.

Weitere Informationen:

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.