Gesundheitspolitik

Mehr als vereinbart

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn drückt aufs Tempo: Der Entwurf für ein Versicherten-Entlastungsgesetz (GKV-VEG) geht weit über den Koalitionsvertrag hinaus – nicht alle Punkte überzeugen. Von Hans-Bernhard Henkel-Hoving

Aus Sicht des

AOK-Bundesverbandes sind einige der Gesetzesvorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium durchaus zu begrüßen. So setzt Jens Spahn mit der Rückkehr zur paritätischen Finanzierung des kassenindividuellen Zusatzbeitrages ab dem 1. Januar 2019 einen wesentlichen Punkt des Koalitionsvertrages um. Die Versicherten werden dadurch um mehr als sieben Milliarden Euro jährlich entlastet, weil die Arbeitgeber künftig die Hälfte des Zusatzbeitrages übernehmen müssen.

Ebenfalls auf ein positives Echo stößt im AOK-System die Absenkung der Mindestbeiträge für Selbstständige. Bisher ist der Beitrag auf der Basis eines fiktiven Mindesteinkommens von knapp 2.300 Euro monatlich berechnet worden. Viele kleine Selbstständige verdienen jedoch deutlich weniger und „verzichten“ deshalb auf die Versicherung. Das GKV-VEG sieht nun vor, das fiktive Mindesteinkommen auf 1.150 Euro monatlich abzusenken. Der AOK-Bundesverband schlägt in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf allerdings vor, den Betrag auf 1.015 Euro festzulegen. Das würde den Verwaltungsaufwand reduzieren, weil dann für Selbstständige und andere freiwillig Versicherte eine einheitliche Bemessungsgrundlage hergestellt wäre.

Aktienquote erhöht.

Auf Zustimmung trifft bei der Gesundheitskasse zudem eine Änderung bei der Alterssicherung für Beschäftigte der gesetzlichen Krankenkassen. Bisher dürfen die Kassen nur zehn Prozent ihrer Anlagen für Pensionen in Aktien investieren. In Zeiten der Niedrigzinspolitik führe das zu erheblichen Ertragseinschränkungen, die nur durch höhere Aktienanteile kompensiert werden könnten. Die vorgesehene Anhebung auf 20 Prozent sei deshalb überfällig.

Aber es gibt auch deutliche Kritik am Referentenentwurf aus dem Hause Spahn. So regelt der Entwurf für ein GKV-VEG nun die sogenannte obligatorische Anschlussversicherung (OAV) neu: Für Versicherte, die im Rahmen einer OAV mit ihrer Krankenkasse nicht kooperieren, entfällt künftig der Versicherungsschutz. Das sorgt für Rechtsklarheit. Nicht akzeptabel aus Sicht der AOK ist jedoch, diese Regelung auf die Vergangenheit anzuwenden. Eine rückwirkende Bereinigung bis zum Jahr 2013 einschließlich sei ein rechtlich unzu­lässiger Eingriff in abgeschlossene Geschäftsjahre und mit erheblichen Durchführungsrisiken verbunden. „Die AOK hat das geltende Recht umgesetzt, die Aufsichten haben die Haushalte ge­nehmigt und auch das Bundesversicherungsamt hat die Risikostrukturausgleichsjahre bis 2016 einschließlich abgeschlossen. Ein neues Gesetz kann altes Recht nicht einfach außer Kraft setzen“, betont Martin Litsch, Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes.

Minister Spahn sollte den Koalitionsvertrag nicht ohne Not ausdehnen.

Schon heute führt die Versicherungspflicht zu erheblichem Verwaltungsaufwand bei den Krankenkassen und zu großen „virtuellen“ Beitragsrückständen. Auch wenn ein Versicherter seine Bei­träge nicht mehr zahlt, muss die Kasse im Rahmen der OAV ein Versicherungsverhältnis aufrechterhalten. Die Folge sind hohe Beitragsschulden, die faktisch aber niemals beglichen werden können. Das Versicherungsverhältnis darf heute selbst dann nicht gelöscht werden, wenn Ver­sicherte mehrfach angeschrieben und gemahnt wurden. Ärgerlich aus Sicht der AOK: In der Öffentlichkeit wird immer wieder behauptet, bei diesen Versicherten handele es sich um Saisonarbeiter (Ernte­helfer). Doch das Gegenteil ist der Fall: Saisonarbeiter und ihre Arbeitgeber sind im Verwaltungsverfahren der Kassen be­sonders gekennzeichnet, eine OAV wird für sie nicht eröffnet. OAV-Versicherte sind vielmehr Menschen ohne Einkommen, Wohnungslose, ehemalige Straf­gefangene und andere Personengruppen.

Reserven bewahren.

Auf Kritik stößt auch das Vorhaben, die Rücklagen der Krankenkassen auf maximal eine Monats­ausgabe zu begrenzen und die Reserven entsprechend abzuschmelzen. Anders als die Arbeitgeberverbände stehen sowohl der GKV-Spitzenverband als auch Teile der Regierungsfraktionen, Gewerkschaftsvertreter sowie Gesundheitsökonomen diesem Vorstoß ablehnend gegenüber. Quantitativ würde der erzwungene Abbau der Rücklagen keine relevanten Beitragssenkungen nach sich ziehen, so der AOK-Bundesverband. Schätzungen gehen von einem Volumen von circa 0,6 Milliarden Euro pro Jahr aus. Gleichzeitig stünden große finanzielle Herausforderungen an, etwa im Bereich Pflege und Krankenhaus. Martin Litsch: „Eine seriöse mittelfristige Finanzplanung stabilisiert die Weiterentwicklung unseres Gesundheitssystems besser als kurzfristige Beitragssatzsprünge. Wir sollten in guten Zeiten vorsorgen für die Herausforderungen von morgen. Die Selbstverwaltung hat hier immer im Einklang mit den Aufsichten verantwortlich gehandelt. Es braucht hierzu keine neue Rechtsnorm. Der Gesundheitsminister sollte in diesem Punkt den Rahmen des Koalitionsvertrages nicht ohne Not ausdehnen.“

Hans-Bernhard Henkel-Hoving ist Chefredakteur der G+G.
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