Einwurf

Gesundheit ohne Barrieren

Menschen mit Behinderungen haben Nachteile in der Gesundheitsversorgung, sagt Ulla Schmidt. Sie fordert, den Zugang zu verbessern – mit barrierefreien Praxen, leicht verständlichen Informationen und Spezialambulanzen.

Portrait Ulla Schmidt

Behinderung ist keine Krankheit.

Trotzdem sind Menschen mit Behinderung häufig pflegebedürftig und haben ein erhöhtes Krankheitsrisiko, zum Beispiel durch Begleit- und Folgeerkrankungen ihrer Behinderung. Deshalb brauchen sie gute Pflege und eine umfassende Gesundheitsversorgung, damit sie gut leben und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können.

Der Bundestag hat schon im Jahr 2009 die UN-Behindertenkonvention ratifiziert. Damit hat sich Deutschland verpflichtet, die Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung umzusetzen. Dazu gehört, dass sie Zugang zu einer guten allgemeinen Gesundheitsversorgung und zu Gesundheitsleistungen haben müssen, die „von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderung benötigt werden“. Außerdem brauchen sie Möglichkeiten der (Re-)Habilitation, um „ein Höchstmaß an Unabhängigkeit“ und die „volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens“ zu erreichen und zu bewahren. Die Krankenversicherung darf Menschen mit Behinderung nicht diskriminieren.

Hier gibt es einiges zu tun: Unser allgemeines Gesundheitssystem ist an vielen Stellen nicht für alle zugänglich. Barrierefrei erreichbare Praxen sind eine Seltenheit, genauso wie gynäkologische Untersuchungsstühle für Frauen, die einen Rollstuhl nutzen. Über Krankheiten, Untersuchungen oder Behandlungen wollen alle Menschen gern Bescheid wissen. Dafür ist ganz einfaches Informationsmaterial wichtig, das auch Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung verstehen. Nachholbedarf hat zudem das medizinische Fachpersonal: Ärztinnen und Ärzte wissen häufig wenig zu spezifischen Risiken und den Besonderheiten im Auftreten und Verlauf von Krankheiten bei Menschen mit Behinderung. Hierzu sind Aus- und Fortbildung wichtig. Zentral für eine gute Behandlung ist das Gespräch zwischen Arzt und Patient. Auch daran hapert es häufig: Ärztinnen und Ärzte haben zu wenig Zeit und sprechen zu wenig verständlich.

Unser Gesundheitssystem ist an vielen Stellen nicht für alle zugänglich.

Ein großer Erfolg war die Einführung medizinischer Behandlungszentren für erwachsene Menschen mit Behinderung: Endlich gibt es verbesserte Möglichkeiten für eine Diagnostik und Behandlung in schwierigen Situationen. Und trotzdem fehlen noch spezialisierte Angebote für erwachsene Menschen mit angeborenen Behinderungen oder Erkrankungen, wie zum Beispiel mit offenem Rücken, mit der Stoffwechselstörung Mukoviszidose oder der Cerebralparese als angeborener Lähmung. Hier müssen wir die Entwicklung vorantreiben, um nicht mehr Erwachsene in Spezialambulanzen für Kinder zu behandeln.

Eine besondere Diskriminierung findet sich in der Pflegeversicherung. Das Sozialgesetzbuch XI lässt es zu, dass Menschen mit Behinderung aus der Pflegeversicherung je nach ihrem Wohnort unterschiedliche Leistungen erhalten: Wohnen sie in einer eigenen Wohnung oder werden ambulant betreut, erhalten sie Leistungen der häuslichen Pflege. Leben sie aber  in einer Wohnstätte für Menschen mit Behinderung, also in einer gemeinschaftlichen Wohnform, erhalten sie nur einen pauschalen Betrag von gerade mal 266 Euro im Monat – unabhängig vom Grad ihrer Pflegebedürftigkeit. Das ist eine nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung. Das Wunsch- und Wahlrecht ist im Bundesteilhabegesetz verankert. Das muss auch fürs Wohnen gelten, ohne dass Menschen dann mit geringeren Leistungen bestraft werden.

Daher freue ich mich über einen Abschnitt im Koalitionsvertrag, mit dem die Bundesregierung Besserung ankündigt: „Kranke, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen müssen auf die Solidarität der Gesellschaft vertrauen können. Wir werden sicherstellen, dass alle auch zukünftig eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung von Beginn bis zum Ende ihres Lebens erhalten, unabhängig von ihrem Einkommen und Wohnort.“ Das wären ein echter Gewinn und wichtiger Schritt zur Erfüllung der UN-Behindertenrechtskonvention!

Ulla Schmidt ist seit 2012 Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.
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