Pay for Performance

Klinikqualität made in USA

Hierzulande ist die qualitätsorientierte Vergütung von Krankenhäusern noch Theorie. Nicht so in den USA. Dort sind entsprechende Programme längst in die Praxis umgesetzt – mit durchschlagendem Erfolg. Von Prof. Dr. Nikolas Matthes

Seit dem Inkrafttreten des Krankenhausstrukturgesetzes Anfang 2016 können deutsche Krankenkassen mit einzelnen Krankenhausträgern befristete Qualitätsverträge abschließen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat dafür vier Leistungsbereiche festgelegt. Der GKV-Spitzenverband und die Deutsche Krankenhausgesellschaft sollen bis zum 31. Juli 2018 die verbindlichen Rahmenvorgaben festlegen. Während Deutschland damit Neuland betritt, sammelt das US-amerikanische Gesundheitswesen bereits seit Jahren positive Erfahrungen mit der qualitätsbasierten Vergütung.

Die USA leisten sich mit über 18 Prozent des Bruttosozialproduktes das mit Abstand teuerste Gesundheitswesen der Welt. Doch im internationalen Vergleich sind die Ergebnisse nicht wirklich überzeugend. Einer der Gründe hierfür ist die Tatsache, dass die US-Kostenträger für Gesundheitsleistungen in der Vergangenheit hauptsächlich nach dem Prinzip Fee-for-Service gezahlt haben, bei dem die Leistungsanbieter jede erbrachte Leistung einzeln in Rechnung stellen. Ein solches Vergütungssystem aber setzt prinzipiell den Fehlanreiz, die Leistungs­menge immer stärker auszuweiten. Die Folge: stetig steigende Ausgaben unabhängig von der Qualität der erbrachten Leistungen.

Doch in der jüngeren Vergangenheit hat sich in den USA einiges getan. Change is in the Air: Das US-amerikanische Gesundheitswesen befindet sich mitten in einem Umbau zu einem Versorgungssystem mit immer mehr qualitätsbasierten Komponenten. Die Bezahlung von Leistungen wird dabei an das Erreichen von vorgegebenen Qualitätsergebnissen geknüpft.

Den ersten Schritt machte das Center for Medicare und Medicaid Services (CMS), welches das Medicare System verwaltet. Das CMS versorgt rund 55 Millionen staatlich krankenversicherte US-Amerikaner ab 65 Jahren. Das sind rund 17 Prozent der gesamten Bevölkerung, die etwa 40 Prozent aller Krankenhausaufenthalte verursachen. CMS ist somit im US-Gesundheitssystem ein Big Player. 2015 kündigte das Medicare-Zentrum an, innerhalb von vier Jahren 90 Prozent aller Medicare-Zahlungen qualitätsbasiert leisten zu wollen – der bisherige Fortschritt lässt dieses Ziel realistisch erscheinen. In der Zwischenzeit haben nun auch verschiedene Privatversicherer mit­geteilt, ihre Vergütung entsprechend umstellen zu wollen.

Bundled Payments: Vergütungsmodell von mehreren Leistungs­erbringern (zum Beispiel Krankenhäusern und ambulanten Leistungsanbietern) auf der Grundlage der zu erwartenden gemeinsamen Kosten für einen vorab definierten Behandlungszeitraum je Patient.


Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS): Eine dem US-Gesundheitsministerium unterstellte Behörde, welche die staatlichen Krankenversicherungsprogramme Medicare für alle Amerikaner über 65 Jahre und Medicaid für Einkommensschwache verwaltet.


Fee-for-Service (Vergütung pro Leistung): Ein Vergütungsmodell, bei dem jede einzelne Leistung separat bezahlt wird. Danach bestimmt die Leistungsmenge und nicht die Versorgungsqualität die Höhe der Vergütung.


Hospital Readmission Reduction Program (HRRP): Qualitäts­basiertes Vergütungsprogramm, das für Wiederaufnahmen bei Herz­infarkt, Pneumonie, Herzversagen, COPD, Knie- und Hüftgelenksersatz und Koronarem Bypass oberhalb einer festgelegten Grenze Abschläge beinhaltet.


Hospital-Acquired Condition Reduction Program (HACRP): Qualitätsbasiertes Vergütungsprogramm, das Abzüge für im Krankenhaus entstandene Komplikationen vorsieht  insbesondere bei Krankenhausinfektionen und Komplikationen vor, während oder nach einem operativen Eingriff.


Inpatient Quality Reporting (IQR): Verbindliches Indikatorenset für Krankenhäuser. Bei Nichtteilnahme oder inakkuraten Daten wird ein Viertel der jährlichen Inflationsanpassung, des Annual Payment Updates, einbehalten.


Qualitätsbasiertes Vergütungssystem: Die Vergütung der Leistungserbringer hängt von der Ergebnisqualität der jerbrachten Leistung ab. Die gewünschten Qualitätsparameter werden anhand von verbindlich festgelegten Indikatoren erfasst.


Value-based Purchasing (VBP): Vergütungsprogramm, bei dem ein bestimmter Prozentsatz der DRG-Basisvergütung für Krankenhäuser von CMS einbehalten und auf der Basis von Leistung umverteilt wird.

Zahl der Qualitätsindikatoren gestiegen.

Basis der neuen qualitätsbasierten Vergütungsmodelle für US-Krankenhäuser sind Qualitätsindikatoren, die eine valide und solide Qualitäts­messung überhaupt erst möglich machen. Landesweit standardisierte klinische Indikatoren, mit denen sich die Prozessqualität in Krankenhäusern abbilden lässt, sind bereits 2002 verbindlich eingeführt worden. Schon zwei Jahre später verlangte das CMS im Rahmen der Inpatient Quality Reporting (IQR) Initiative von den Kliniken die Veröffentlichung der entsprechenden Indikatorenergebnisse. Seitdem ist die Zahl der Qualitätsindikatoren massiv gestiegen, heute sind es bereits mehr als 60. Die Indikatoren umfassen dabei beispielsweise die Komplika­tionsrate nach Operationen, die Patientenzufriedenheit, auf administrativen Daten basierende Ergebnisindikatoren, von Krankenakten manuell abstrahierte Prozessindikatoren und neuerdings auch Indikatoren, die direkt aus der elektronischen Krankenakte gewonnen werden. Neue Indikatoren kommen ständig hinzu. Ein Jahr, nachdem Kliniken einen neuen Indikator erhoben und die Ergebnisse veröffentlicht haben, kann das Center for Medicare und Medicaid Services diesen Parameter bereits in seine qualitätsbasierten Vergütungsprogramme einbeziehen.

Noch in der Regierungszeit von Barack Obama rief das Medicare-Zentrum das Center for Medicare und Medicaid Innovation (CMMI) ins Leben. Hier kann das CMS neue Vergütungs- und Versorgungsmodelle unter realistischen Bedingungen testen. Nach erfolgreich beendeter Testphase kann es diese Modelle dann direkt verbindlich einführen und braucht dafür nicht mehr, wie zuvor, die Zustimmung des Repräsentantenhauses und des Senates. Während vorher neue Modelle häufig der politischen Auseinandersetzung zum Opfer fielen, ist der Prozess seit der Etablierung des CMMI deutlich ent­politisiert und stärker technisch orientiert.

Gute Häuser bekommen mehr Geld.

2012 führte CMS das erste qualitätsbasierte Programm ein: Beim Value-based Purchasing (VBP; siehe Glossar) werden verschiedene Indikatoren auf der Basis von Exzellenz- und Verbesserungsleistung einzeln evaluiert. Punktet ein Krankenhaus nicht mit Exzellenz im Vergleich zu anderen Kliniken, kann es auch bei niedrigerem Leistungsniveau noch Verbesserungspunkte erwerben, wenn sich zumindest die eigene Leistung im historischen Vergleich deutlich verbessert hat. CMS behält zur Finanzierung des Programms pauschal von allen Krankenhäusern zwei Prozent der gesamten DRG-Basisvergütung ein – diese Summe wird dann im Rahmen des VBP-Programms umverteilt. Krankenhäuser mit hoher Punktzahl erhalten zusätzliche Vergütungsanteile, solche mit niedrigerer Punktzahl büßen Teile der Vergütung ein. Das Programm ist hoch flexibel, jedes Jahr kommen neue Indikatoren hinzu, andere werden herausgenommen. Auch die Gewichtung der einzelnen Indikatoren kann sich ändern. Das gibt dem CMS die Möglichkeit, für Hospitäler neue Anreize zu schaffen, die Qualität in verschiedenen Bereichen zu verbessern.

Schlechte Kliniken müssen bluten.

Zwei weitere Vergütungsprogramme, die die DRG-Basisvergütung betreffen, basieren allein auf finanziellen Abzügen. Das 2013 eingeführte Programm Hospital Readmissions Reduction Program (HRRP) zur Reduzierung von Wiederaufnahmen sieht Vergütungsverluste von bis zu drei Prozent der DRG-Basisvergütung vor, wenn eine Klinik mehr als die nach Risikoadjustierung zu erwartende Anzahl an Wiederaufnahmen aufweist. Kritiker bemängeln allerdings, dass Kliniken hier finanziell belangt werden, obwohl viele der Wiederaufnahme-Ursachen außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Besonders kontrovers wurde diskutiert, dass bei Wiederaufnahmen auch solche zur Abwertung führten, die in keinerlei Verbindung zum ersten Krankenhausaufenthalt standen. Beim Programm Hospital Acquired Conditions (HAC) zur Reduzierung von Komplikationen können Kliniken seit 2015 Jahr zusätzlich ein Prozent ihrer DRG-Basisvergütung verlieren, wenn sich ihre Komplikationsrate im oberen Viertel aller Krankenhäuser befindet.

In der Summe stehen also durch die drei genannten qualitätsbasierten Programme bis zu sechs Prozent der DRG-Basis­vergütung auf dem Spiel. Bei den gängigen Profitmargen von Krankenhäusern bedeutet das in der Regel den Unterschied zwischen Profitabilität und roten Zahlen.

Grafik Gewichtung der Bewertungsfaktoren

Im Laufe der Jahre hat sich in den USA die Gewichtung der Bewertungsfaktoren für die Kranken­hausvergütung verschoben. 2012 spielte die Prozess­qualität mit einem Anteil von 70 Prozent die entscheidende Rolle. Fünf Jahre später liegt der Schwerpunkt auf der Ergebnisqualität (Anteil: 50 Prozent). Der Anteil der weiteren Bewertungsfaktoren Patientenzufriedenheit und Kosteneffizienz ist weitgehend konstant geblieben. Aber nicht nur die Indikatoren werden jährlich angepasst. Auch der Anteil der einbehaltenen DRG-Entgelte stieg von einem Prozent im Jahr 2012 kontinuierlich um 0,25 Prozent bis auf zwei Prozent im Jahr 2017. Die Steigerung ist gesetzlich ver­ankert.

Quelle: Johns Hopkins University Baltimore, 2017

Verschiebung hin zu Komplexpauschalen.

Das neueste, 2017 eingeführte Comprehensive Joint Replacement-Programm (CJR) bei Hüft- und Kniegelenksersatz ist das erste einer Reihe geplanter Bundled Payments, bei denen die Vergütung für bestimmte Fallpauschalen auf Qualitätsergebnissen basiert. Weitere solcher Komplexpauschalen sind bereits angekündigt. Bundled payments vergüten ambulante Leistungsanbieter und Krankenhäuser gemeinsam pauschal für eine bestimmte Zeit (episode of care), wobei Qualitätsstandards durch mehrere Indikatoren gewährleistet werden.

So umfasst das CJR-Programm bei Hüft- und Kniegelenksersatz nicht nur den Klinikaufenthalt selbst, sondern auch alle ambulanten und stationären Versorgungsleistungen von der Aufnahme bis 90 Tage nach Entlassung. Das CMS rechnet zwar zunächst nach dem Fee-for-Service-Prinzip mit den Leistungsanbietern jede einzelne erbrachte Leistung ab. Am Ende der 90-Tage-Frist allerdings erhalten diejenigen Kliniken einen Bonus, deren Patienten besonders niedrige Kosten verursacht haben. Kliniken mit überdurchschnittlichen Kosten müssen hingegen Ausgleichszahlungen an das Medicare-Zentrum ­leisten. Die Höhe der Boni und Ausgleichszahlungen wird auf der Basis von drei Qualitätsindikatoren gewichtet: Patientenzufriedenheit (40 Prozent), Komplikationen nach Knie- oder Hüftgelenks­ersatz (50 Prozent) und funktionaler Status nach Knie- oder Hüft­gelenksersatz (zehn Prozent). Es liegt in der Verantwortung der Kliniken, die Boni oder Ausgleichszahlungen zwischen den verschiedenen Leistungsanbietern, also Krankenhaus, Physiotherapie und orthopädischer Arztpraxis, aufzuteilen.

Andere Vergütungsmodelle sehen vor, dass ambulante und stationäre Leistungsanbieter gemeinsam die Verantwortung für eine gesamte Patientenpopulation übernehmen – eine Aus­weitung des Konzepts der Bundled Payments. Eine deutliche Verschiebung der Vergütungsmodelle in diese Richtung ist in den USA in den nächsten Jahren zu erwarten.

Qualitätsdaten im Internet frei zugänglich.

Und was haben die Patienten von der Entwicklung hin zu einer qualitätsbasierten Versorgung? Sie profitieren von mehr Patientensicherheit. Solide Daten zur Krankenhausqualität sind für jedes einzelne Hospital im Internet frei zugänglich. Die Kliniken veröffentlichen auch ihre Daten zur Patientenzu­friedenheit, heruntergebrochen auf jeden einzelnen Klinikarzt. Außerdem schulen die Krankenhäuser ihre Ärzte in Patientenkommunikation und bauen ihre gesamte Versorgung patientenzentriert um.

Der Erfolg ist nicht zu übersehen. So ist beispielsweise die Zahl von Krankenhausinfektionen deutlich zurückgegangen. Katheter-assoziierte Blutinfektionen sind zwischen 2008 und 2014 um 50 Prozent gesunken und Wundinfektionen im gleichen Zeitraum um 17 Prozent. Zwischen 2011 und 2014 sind Krankenhausinfektionen mit dem Bakterium Clostridium – sie können die Folge der Einnahme von Antibiotika über einen längeren Zeitraum sein und eine Darmentzündung mit schweren Durchfällen verursachen – um acht Prozent gesunken. Infektionen mit multiresistenten Keimen (MRSA) gingen um 13 Prozent zurück. Auch die Wiederaufnahmen in Kliniken sind gesunken (siehe Grafik „Weniger stationäre Wiederaufnahmen”): bei Herzinfarkten um 13 Prozent, bei Herzinsuffizienz und COPD um sieben Prozent und bei Pneumonie um sechs Prozent.

Grafik weniger stationäre Aufenthalte

Ob Herzinfarkt, Schlaganfall oder andere schwerwiegende Erkrankungen — in den USA hat sich die qualitätsbasierte Krankenhausvergütung positiv auf die Entwicklung der stationären Wiederaufnahmen ausgewirkt. Sie sind seit dem Jahr 2011 landesweit zurückgegangen.
Quelle: Johns Hopkins University Baltimore, 2017

Insgesamt hat es also viele patientenrelevante Verbesserungen gegeben – wenn auch nicht immer klar zu unterscheiden ist, inwieweit diese im Einzelnen neuen Vergütungsmodellen, der Veröffentlichung von Daten oder nationalen und regionalen Qualitätsinitiativen zuzuschreiben sind.

Kritik kommt von Klinik- und Ärzteverbänden.

Für Krankenhäuser war die Einführung der neuen Vergütungsmodelle ein entscheidender Wendepunkt. Qualität wurde über Nacht zur Chefsache: Viele Krankenhäuser stellten dem Geschäftsführer direkt unterstellte Chief Quality Officers ein, um Qualitätsverbesserungen effektiv voranzutreiben, bürokratische Barrieren zu beseitigen, Ärzte einzubeziehen und so letztendlich finanzielle Risiken zu minimieren. Hospitäler und Krankenhausverbände, wie die American Hospital Association, haben die Initiativen bekämpft und versucht, ihre Einführung zu verhindern oder wenigstens zu verzögern  aus ihrer Sicht durchaus verständlich, wenn man bedenkt, dass das Value-based Purchasing-Programm eine Umverteilung bedeutet und vor allem die Aspekte Wiederaufnahme und Krankenhauskomplikation potenziell mit finanziellen Verlusten verbunden sind und bei guter Performance keine zusätzlichen Gewinne generiert werden können.

Auch die Ärzteverbände reagierten ablehnend auf die Ver­gütungsmodelle. Denn die Ärzte sind vom Übergang zu einer qualitätsbasierten Vergütung nachhaltig betroffen. Die qualitätsbasierte Vergütung hat das finanzielle Risiko der Kliniken erhöht und dafür gesorgt, dass diese den Druck an die Ärzte weitergeben. Ein gutes Beispiel dafür ist die Ärztekommunikation, die Bestandteil der Bewertungsdimension „Patientenzufriedenheit“ im Value-based Purchasing-Programm ist. Wie gut Ärzte mit ihren Patienten kommunizieren, beeinflusst direkt die Vergütung von Krankenhäusern. Diese verlangen zunehmend von Ärzten, ihre Kommunikationsfähigkeit zu verbessern und an entsprechenden Schulungen teilzunehmen. Insofern hat die Arbeitslast und der Optimierungsdruck auf Ärzte mit der Einführung der Programme unmittelbar zugenommen.

Erst die Kliniken, dann die Ärzte: Die Vergütung nach Qualität zieht in den USA Kreise.

Einführung nicht übers Knie gebrochen.

Neben den technischen und operativen Faktoren gibt es weitere, die den Erfolg der qualitätsbasierten Vergütungsprogramme sichern. So war die langsame, schrittweise Einführung einer qualitätsbasierten Vergütung beispielsweise ein wichtiger Grund für den Erfolg. Mit der Einführung standardisierter Qualitätsindikatoren im Jahr 2002 wurden zunächst nur die Ergebnisse der Qualitätsmessungen veröffentlicht, ohne dass damit die Vergütung an die Leistung gebunden war. Damit in der Einführungsphase alle Krankenhäuser für die verschiedenen Indikatoren die entsprechenden Daten lieferten und diese Daten auch vollständig und akkurat waren, koppelte das CMS die Datenlieferung an das Annual Payment Update (APU).

Das APU ist ein jährlicher Inflationsausgleich, den das CMS an Krankenhäuser zahlt. Ein Viertel dieser Zahlung ist an die vollständige und akkurate Lieferung von Daten gebunden. Zur Kontrolle der gelieferten Daten wählt das CMS jedes Jahr nach dem Zufalls­prinzip Krankenhäuser aus, die ihre Krankenakten an sogenannte Clinical Data Abstraction Centers (CDAC) schicken müssen. Die von diesen Centern ausgerechneten Daten werden dann mit denen vom Krankenhaus gemeldeten Daten verglichen. Bereits kleinste Diskrepanzen können zum Verlust des jährlichen Inflationsausgleichs APU führen.

Die vollständige und akkurate Datenlieferung an den jährlichen Inflationsausgleich zu koppeln, bedeutete zunächst nur Pay for Reporting. Erst ein Jahrzehnt später wurde eine qualitätsbasierte Vergütung eingeführt – und auch das wiederum schrittweise. Im ersten Jahr war nur ein Prozent der DRG-Basisvergütung an das Value-based Purchasing-Programm gebunden. Dieser Prozentsatz wurde jährlich um ein Viertel Prozent angehoben, bis zwei Prozent erreicht waren. Gleichermaßen wurde das Modell zu Wiederaufnahmen mit nur einprozentigem Risiko eingeführt und in den folgenden zwei Jahren um je ein Prozent erhöht.

Öffentlichkeit eingebunden.

Ein weiterer Erfolgsfaktor besteht darin, dass die Entwicklung aller Ver­gütungsmodelle wissenschaftlich betreut und zugleich sehr transparent ist. Bevor das CMS neue Vergütungsmodelle implementieren kann, haben die Öffentlichkeit und Interessensvertreter die Möglichkeit, die vorgeschlagene Methodologie zu prüfen und zu kommentieren. Alle von der Öffentlichkeit eingereichten Kommentare sind vom Medicare-Zentrum in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. In der Final Rule werden dann die eingereichten Kommentare diskutiert. Von der geplanten bis zur rechtsgültigen Verordnung sind also durchaus noch deutliche Veränderungen möglich.

Ebenfalls bedeutend ist die Tatsache, dass die Indikatoren von Beginn an bei Patienten zu mehr Transparenz führten. So sind die Ergebnisse der Qualitäts­messung mithilfe der Qualitätsindikatoren von Beginn an ins Internet gestellt worden. Darüber hinaus bietet das CMS die Qualitätsdaten im Netz zum Download an – somit haben alle Interessierten die Möglichkeit, die Daten zu verwenden. Zum Beispiel benutzt Comsumer Reports, die gemeinnützige US-Version von Stiftung Warentest, die Daten, um über Krankenhausqualität zu berichten und den Hospitälern Noten zu geben.

Mut zu kontroversen Entscheidungen.

Das CMS zeigte in der Einführungsphase den Mut, auch kontroverse Entscheidungen zu fällen. So schrieb es etwa bei den Wiederaufnahmen die volle Verantwortung den Krankenhäusern zu, auch wenn andere Leistungsanbieter oder Patientenfaktoren für hohe Wieder­aufnahmeraten mitverantwortlich waren. Bei Krankenhaus­infektionen schreckte das CMS nicht davor zurück, eine Null-Toleranz-Strategie zu verfolgen. Das CMS hatte also den Handlungswillen, auch gegen Widerstände der Ärzte- und Krankenhausverbände Modelle zu implementieren – obwohl sie nicht perfekt waren.

Qualitätsmessung auch bei niedergelassenen Ärzten.

Parallel dazu ist in den Vereinigten Staaten aber auch eine breit ange­legte Initiative zur Vergütungsreform im ambulanten Bereich im Gange. Das Merit-based Incentive Program (MIPS) bindet die Vergütung von niedergelassenen Ärzten künftig an vier Komponenten: Qualität, den Austausch von Patienteninformationen, Aktivitäten zur Qualitätsverbesserung und Kosten. Dieses Programm wird zurzeit schrittweise eingeführt und kann nach voller Implementierung im Jahr 2022 für die einzelne Arzt­praxis ein Plus oder Minus in Höhe von 18 Prozent der Vergütung bedeuten.

Insgesamt betrifft die Weiterentwicklung der Vergütungs­modelle künftig immer mehr Leistungsanbieter und soll gewährleisten, dass schon in Kürze der Löwenanteil der Vergütung an die Qualität der erbrachten Leistungen gebunden ist. Auch die Privatversicherer folgen diesem Trend und orientieren sich mittlerweile weitgehend an den CMS-Vergütungsmodellen. Sicherlich kann Deutschland die US-Modelle nicht eins zu eins übernehmen – manches aber lässt sich abschauen.

Interview
„Wir verlieren den Anschluss“

Zu langsam und zu wenig — wenn es um Konsequenzen aus der Qualitätsmessung in der stationären Versorgung geht, hinkt Deutschland der Entwicklung in den USA hinterher, sagt Thomas Mansky im Interview mit Otmar Müller.

Herr Mansky, die USA treiben den Umbau zu einem qualitätsbasierten Vergütungssystem voran. Ein Vorbild für Deutschland?

Thomas Mansky: Im US-Vergütungssystem gibt es Zuschläge, wenn eine Klinik besser ist als der Durchschnitt oder wenn sie sich gegenüber ihren früheren Messwerten verbessert hat. Hinzu kommen Abschläge, beispielsweise bei erhöhten nosokomialen Infektionsraten. Diese Vergütungstechniken ließen sich problemlos auf das deutsche Gesundheitssystem übertragen. Bei den verwendeten Qualitätsindikatoren ist zu differenzieren: Die Mehrzahl der US-Indikatoren ist sehr sinnvoll gewählt. Ihre Anwendung wäre auch bei uns überfällig wie beispielsweise im Falle der Herzinfarktsterblichkeit. Andere sind sehr spezifisch auf das US-Gesundheitssystem zugeschnitten und eignen sich nicht für den Einsatz in unserem System.

Prof. Thomas Mansky ist Leiter des Fachgebiets Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen an der TU Berlin.

Wie weit sind wir denn in Deutschland damit, Qualität anhand von Indikatoren zu messen?

Mansky: Das bisherige System, die Qualität der Kliniken mithilfe bestimmter Indikatoren der gesetzlichen Qualitätssicherung zu messen, ist unzureichend. Viele dieser Indikatoren sind zu speziell und zu wenig umfassend für Vergütungszwecke. Neuentwicklungen dauern viel zu lange. Mit den stationären Routinedaten, die im Alltagsgeschäft der Krankenkassen anfallen, ließen sich rasch und ohne zusätzlichen Aufwand neue, wenig manipulationsanfällige Indikatoren entwickeln. Leider sind nicht alle Krankenkassen gleichermaßen interessiert daran, die eigenen Routinedaten in einem dafür erforderlichen bundesweiten Pool zusammenzuführen. Hier gibt es erhebliche Blockaden. Es gibt auch einige Bereiche, die sich durch Routinedaten alleine nicht abbilden lassen. Geht es um das Messen von medizinischer Qualität, bewegen wir uns in der Selbstverwaltung viel zu langsam und hinken in vielen Bereichen der internationalen Entwicklung hinterher. Wir verlieren den Anschluss.

Welche Auswirkungen hätte die Einführung einer qualitäts­basierten Vergütung in Deutschland? 

Mansky: Ein solches System ist eine notwendige Ergänzung der DRG-Vergütung, setzt Anreize zur Verbesserung und zwingt die Kliniken, hier zu investieren. Das unterstützt die Medizin. Ähnlich wie in den USA würde ich auch in Deutschland einen Rückgang von Krankenhausinfektionen erwarten. Auch die Wiederaufnahmeraten oder die Versorgung von Beatmungs­patienten könnten sich verbessern. Es gibt aber auch Herausforderungen, die sich durch eine qualitätsabhängige Vergütung nicht lösen lassen. Ich spreche hier von strukturellen Problemen, etwa der mangelhaften Einweisungssteuerung von Herzinfarktpatienten oder einer unzureichenden Mindestmengenregelung für komplexe Operationen. Um die Qualität nach vorne zu bringen, müssen verschiedene, sich ergänzende Instrumente zum Einsatz kommen.

Der GBA soll ein Konzept für die qualitätsbasierte stationäre Vergütung erarbeiten. Welche Erwartungen haben Sie daran?

Mansky: Setzt der GBA das künftige System auf Basis der bisherigen Qualitätsindikatoren auf, wäre die Wirkung fraglich. Trotz einiger sicherlich richtiger Ansätze wäre das Konzept nicht umfassend genug. Wir kommen nicht darum herum, neue Indikatoren zu definieren und diese verbindlich einzuführen.

Nikolas Matthes ist Assistant Professor an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, Baltimore/USA.
Oliver Weiss ist Illustrator und lebt in Berlin und New York.
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