Debatte

Ernährungsprofis verdienen Respekt

Immer mehr Menschen in Deutschland wiegen zu viel und gefährden damit ihre Gesundheit, sagt Prof. Dr. Stephan Martin. Der Diabetologe empfiehlt, die Ernährungsberatung ernst zu nehmen und ihre Inhalte zu überdenken.

Ernährung ist ein Thema,

bei dem jeder mitreden kann, denn jeder macht damit täglich Erfahrungen. Dennoch steigt die Rate an Übergewicht und Adipositas kontinuierlich an. Worin liegen die Gründe? Zum einen ist es mit dem Respekt gegenüber der Ernährungsberatung nicht zum Besten bestellt. Das lässt sich an drei Beispielen zeigen.

Nach einem Vorschlag von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller soll ein „Solidarisches Grundeinkommen“ für Bezieher von Arbeitslosengeld II an die Aufnahme einer „gesellschaftlich relevanten“ Erwerbstätigkeit geknüpft werden. In einem Papier des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung beschreiben Stefan Bach und Jürgen Schupp, welche Tätigkeiten dazu gehören könnten: beispielsweise Hausmeister in kommunalen Einrichtungen, Begleit- und Einkaufsdienste für erkrankte Menschen oder Beratung zu gesunder und ausgewogener Ernährung. Ernährungsberaterinnen und -berater absolvieren üblicherweise allerdings eine dreijährige Ausbildung oder ein Hochschulstudium, denn ihre Beratungstätigkeit erfordert einen entsprechenden fachlichen Hintergrund. Oben erwähnter Vorschlag missachtet diese Kompetenzen.

Dem Schulfach Ernährung fehlt es an gesellschaftlicher Akzeptanz.

Von der Lachnummer zum Forschungsgegenstand.

Der Kabarettist Christian Ehring machte sich in seinem aktuellen Programm über Prominente lustig, die Schulfächer wie Geld, Drogenkunde, Emotionen oder Ernährung fordern. Dabei übersieht er, dass Ernährung seit vielen Jahren als Schulfach zwar etabliert ist, jedoch aufgrund der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz kaum noch angeboten wird. Der Kölner Psychiater und Theologe Manfred Lütz macht regelmäßig Reklame für sein Buch mit dem Titel „Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitnesskult“. Dabei scheint er nicht zu erkennen, dass es zwar eine kleine Gruppe von Menschen gibt, für die die Ernährung zur Religion geworden ist und die im Sprechzimmer des Psychiaters häufig, in der Allgemeinbevölkerung dagegen selten anzutreffen sind. Auch sollte sich ein Theologe daran erinnern, dass der menschliche Körper Gottes Schöpfung ist, die es zu bewahren und zu schützen gilt.

Könnte die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz der Ernährungsberatung, wie sie diese Beispiele verdeutlichen, möglicherweise mit ihren Inhalten zusammenhängen? Was eine gesunde Ernährung ist, definiert die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Demnach sollten die Nahrungsfette weniger als 30 Prozent der Gesamtenergiezufuhr, der Kohlenhydratanteil der Nahrung hingegen mindestens 50 Prozent betragen. Die Empfehlung einer Fettreduktion stammt aus dem Jahr 1977 von einer durch den amerikanischen Kongress einberufenen Expertenkommission. Eine Forschergruppe aus Großbritannien hat vor drei Jahren systematisch geprüft, welche Daten dieser Kommission vorlagen (Harcombe Z Open Heart. 2015; 2:e000196). Sie fanden keine wissenschaftliche Evidenz aus randomisierten Studien, die eine so weitreichende Ernährungsempfehlung hätte rechtfertigen können. Das weltweite Ernährungsexperiment wurde also auf Beobachtungsstudien und zu großen Teilen auf Eminenz-basierten Wahrheiten aufgebaut.

Die PREDIMED-Studie, eine randomisierte Endpunktstudie aus Spanien, hat sogar zeigen können, dass unter einer mediterranen Ernährung mit einem erhöhten Anteil – allerdings pflanzlicher – Fette, tödliche kardiovaskuläre Ereignisse, Herzinfarkte und Schlaganfälle seltener auftraten (Estruch et al.: The New England Journal of Medicine 2013, 368: 1279-1290). Vermutlich hatte bei der Entscheidung im Jahr 1977 die Nahrungsmittelindustrie die Finger im Spiel, wie kürzlich aus einem Beitrag im Journal der amerikanischen Medizingesellschaft hervorging (Kearns CE: JAMA Internal Medicine. 2016; 176: 1680-1685). Demnach hatten Wissenschaftler, die eine viel zitierte Übersichtsarbeit im New England Journal of Medicine verfassten und sich auf Nahrungsfette als „Feind“ festlegten, nicht unerhebliche Honorare der Zuckerindustrie erhalten und dies verheimlicht.

Ursachen für Herzinfarkt und Schlaganfall.

Übergewicht und Fettsucht sind die Ursachen für viele Erkrankungen wie Diabetes Typ 2 oder Bluthochdruck, die zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen. Die dramatisch steigenden Zahlen dieser Erkrankungen erfordern zwei wesentliche Dinge: Respekt gegenüber denjenigen, die sich professionell darum kümmern, und Verstand, was als gesunde Ernährung vermittelt werden soll.

Stephan Martin ist Chefarzt für Diabetologie beim Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums.
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