Tagung

Rettungsgasse für den Notfall

Rappelvolle Notaufnahmen, überforderte Behandlungsteams, genervte Patienten: Die Notfallversorgung in Deutschland gilt als angeschlagen. Wie sie sich reformieren ließe, diskutierten Experten beim AOK-Tag in Dortmund. Von Thomas Hommel

Das Problem

beschäftigt Experten schon länger: Viele Notaufnahmen in deutschen Krankenhäusern sind überlastet. Ein Grund: Immer mehr Patienten, bei denen objektiv kein Notfall vorliegt, gehen direkt in die Notaufnahme oder rufen den Rettungsdienst anstelle des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes an.

Lösen ließe sich das Problem mit einem integrierten Notfallkonzept – darüber waren sich die rund 150 Teilnehmer des AOK-Tages der Selbstverwaltung in Dortmund einig. Einigkeit bestand auch darin, dass in den Kliniken ein gemeinsamer Tresen zu nutzen sei, an dem eine „fachlich fundierte Einschätzung“ des jeweiligen Behandlungsbedarfs stattfinde.

Kontrovers diskutiert wurde indes, wo dieser Tresen angesiedelt sein soll, wie viele man braucht davon, wer ihn betreibt und wer ihn bezahlt. Auch gab es unterschiedliche Einschätzungen darüber, wie die „Integrierten Leitstellen“ organisiert sind und ob die Rufnummern 112 und 116 117 unter einer einheitlichen Rufnummer zusammengelegt werden sollen.

Dickes Brett bohren.

„Endlich kommt Bewegung in das Thema, das sogar im Regierungsprogramm der Großen Koalition auf Bundesebene verankert ist“, sagte Johannes Heß, alternierender Verwaltungsratsvorsitzender der AOK NordWest für die Arbeitgeberseite. Es gebe bereits gute Lösungsansätze, die nun mit den unterschiedlichen Interessen der Akteure abzugleichen seien. Freilich, so Heß: „Wenn wir zu einer Notfallversorgung aus einem Guss kommen wollen, gilt es ein dickes Brett zu bohren, in dem auch noch einige versteckte Nägel stecken.“

Professor Dr. Wolfgang Greiner, Mitglied im Gesundheits-Sachverständigenrat, betonte, dass angesichts „verbreiteter Fehlinanspruchnahmen und einer offenbar unzureichenden Steuerung“ etliche Schritte nötig seien, um eine bedarfsgerechte, sektorenübergreifende Notfallversorgung „aus einer Hand“ sicherzustellen.

Integrierte Notfalleinheit.

AOK-Vorstandschef Tom Ackermann argumentierte in die gleiche Richtung: „Mit dem von uns favorisierten Konzept der ‚Integrierten Notfalleinheit‘ sollen Patienten unterstützt werden und eine einheitliche Anlaufstelle im Krankenhaus erhalten.“ Dort entscheide speziell ausgebildetes medizinisches Fachpersonal an einem gemeinsamen Tresen, ob es sich um einen Fall mit oder ohne Lebensgefahr handele und leite die Patienten an die stationären oder ambulanten Notfallstrukturen weiter. Abhängig vom Gesundheitszustand könne der Patient zur Akutbehandlung auch in die reguläre stationäre Versorgung verlegt oder einen niedergelassenen Arzt verwiesen werden.

Auf dem Weg zu „Integrierten Notfallzentren“ sei jetzt Gas zu geben, so Georg Keppeler, alternierender Verwaltungsratsvorsitzender der AOK NordWest für die Versichertenseite. „Es gibt schon reichlich Erfahrungen mit Anlauf- und Portalpraxen.“ Nötig sei eine zeitnahe technische Lösung, um beide telefonischen Anlaufstellen enger zu verzahnen. Auch der Ansatz, den Behandlungsbedarf mithilfe einer strukturierten Abfrage gleich am Telefon besser einzuordnen, sei sinnvoll.

Die Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales im nordrhein-westfälischen Landtag, Heike Gebhard (SPD), sagte, Patienten und Angehörige müssten im Notfall wissen, „wo und wie sie die beste Hilfe erhalten“. Dies gelinge aber nur über Integrierte Notfallzentren. Peter Preuß, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, stufte die Notfallversorgung in NRW grundsätzlich als gut ein. Um echte Notfälle zu identifizieren und diese von unnötiger Inanspruchnahme der Versorgungskapazitäten zu unterscheiden, bedürfe es aber einer konzeptionellen Steuerung mit klaren Regeln“, so Preuß.

Erste Praxiserfahrungen.

Über erste Praxiserfahrungen des Pilotprojekts „Integrierte Leitstelle“ in Ostwestfalen-Lippe berichtete Dr. Gerhard Nordmann, erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Gemeinsam mit den Rettungsleitstellen in Paderborn, Höxter und Lippe würden Erfahrungen gesammelt, inwiefern die Notrufnummer 112 und die Bereitschaftsdienstnummer 116 117 von einer einheitlichen, regionalen Leitstelle gesteuert werden können. „Die ersten Wochen im Praxisbetrieb stimmen uns optimistisch.“

Für den Präsidenten der Landeskrankenhausgesellschaft NRW, Jochen Brink, steht bei der Neuorganisation der Notfallversorgung der konkrete Nutzen für die Patienten im Vordergrund. Zudem sollten dabei regionale Besonderheiten berücksichtigt und „Lösungen vor Ort“ entwickelt werden. Gehe es dort nicht voran, könne das Land regulierend eingreifen, so Brink.

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
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