Mit einem Festakt haben die AOK Baden-Württemberg und ihre Partner das zehnjährige Jubiläum des HausarztProgramms gefeiert. Unter den 1.400 Gästen waren der Minister für Soziales und Integration, Manfred Lucha, sowie der Leiter der HZV-Evaluation Professor Dr. Ferdinand Gerlach (Bild).
Evaluation

Hausarztbindung nutzt Patienten

Weniger unkoordinierte Facharztkontakte, weniger Komplikationen, weniger Klinikaufenthalte: Die Hausarztzentrierte Versorgung der AOK Baden-Württemberg und ihrer ärztlichen Partner ist für viele Patienten besser als die Regelversorgung. Von Thomas Hommel

Dass die Gesundheitspolitiker

in Berlin nicht öfter in den Südwesten reisen, um sich dort ein Bild von der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) zu machen, kann Dr. Christopher Hermann nicht verstehen. Gerade im Südwesten könnten sie doch Anleitungen für eine bessere Versorgung finden, ist der Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg überzeugt. Stattdessen verheddere sich die Gesundheitspolitik im Bund seit Jahren im „Klein-Klein“ und greife mit neuen Gesetzen und Vorgaben wie dem Terminservice- und Versorgungsgesetz immer tiefer in die Regulierungskiste. Hermann: „Das ist nicht unsere Welt. Wir haben längst den schnellen, unkomplizierten Arztzugang, die intensivere Betreuung, bessere Vergütung und die klare Aufwertung der sprechenden Medizin am Netz.“

Erste Hinweise auf Überlebensvorteile.

Belege, dass HZV-Versicherte besser versorgt sind, liefert derweil die vierte Evaluation des Hausarztprogramms durch die Universitäten Frankfurt am Main und Heidelberg. Von der intensiveren Betreuung profitieren demnach vor allem chronisch Kranke. Sie stellen mit 60 Prozent das Gros der 1,6 Millionen freiwilligen HZV-Teilnehmer.

Laut Studie gibt es innerhalb der HZV jährlich allein 1,2 Millionen weniger unkoordinierte Facharztkontakte. Herzpatienten bleiben jedes Jahr rund 46.000 Krankenhaustage erspart. Und Diabetiker werden in einem Zeitraum von vier Jahren vor zirka 4.000 schweren Kompliationen wie Amputationen, Herzinfarkten oder Schlaganfällen bewahrt. „Unsere Analysen zeigen klar, dass bei HZV-Patienten mit Diabetes deutlich weniger und zeitlich später schwerwiegende Komplikationen auftreten“, betont Professor Dr. Ferdinand M. Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

Ein bemerkenswerter Effekt sei auch der signifikante Überlebensvorteil zugunsten der HZV-Versicherten, sagt Professor Dr. Joachim Szecsenyi, Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Uniklinikums Heidelberg. „Wir können zwar noch nicht alle möglichen Einflussfaktoren auf das Überleben von Patienten kontrollieren. Dennoch zeigt sich bei Betrachtung des Fünfjahreszeitraums 2012 bis 2016, dass das Risiko zu versterben, in der HZV geringer ist als in der Regelversorgung.“ Das zugrundeliegende statistische Überlebenszeitmodell weise eine Zahl von knapp 1.700 vermiedenen Todesfällen in der HZV aus, so Szecsenyi.

Gut investiertes Geld.

Investitionen von 618 Millionen Euro im Jahr 2017 in die „Alternative Regelversorgung“ sind laut AOK-Chef Hermann denn auch „hervorragend angelegtes Geld“. Die AOK Baden-Württemberg hätte im gleichen Zeitraum in der Regelversorgung rund 50 Millionen Euro mehr ausgegeben. Und selbstverständlich blieben die Vertragspartner im Südwesten nicht stehen. So würden 2019 für Nephrologie, Pulmologie und HNO weitere Facharztverträge aufgesetzt. Auch die Vernetzung in Richtung Krankenhausversorgung werde im kommenden Jahr im Bereich der Knie- und Hüft-Operationen starten.

Leistungsgerechte Honorierung.

Für den Chef des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg, Dr. Berthold Dietsche, liegt der Erfolg der HZV vor allem darin, dass sie „die richtigen Antworten auf Kernprobleme der ärztlichen Selbstverwaltung gibt“. Dazu zähle eine leistungsgerechte Honorierung ohne Budgetierung sowie eine einfache Abrechnung. Dr. Norbert Smetak, stellvertretender Vorsitzender von MEDI Baden-Württemberg, unterstreicht: „Im Gegensatz zum Kollektivvertrag wird in der HZV jeder Behandlungsfall bezahlt und nicht bei Überschreitung eines Budgets einfach gestrichen und damit nicht bezahlt.“

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
Bildnachweis: AOK/Thomas Kienzle, Foto Startseite iStock/Eva Katalin Kondoros