Kann die Notfallversorgung gerettet werden? Jens Spahn hat Eckpunkte zu ihrer Weiterentwicklung vorgelegt.
Reform

Reanimation der Notfallversorgung

Überfüllte Rettungsstellen, gestresste Ärzte und Pflegerinnen, genervte Patienten: Bundesgesundheitsminister Spahn hat Eckpunkte für eine Reform der Notfallversorgung vorgelegt. Der AOK-Bundesverband erkennt darin Licht und Schatten. Von Thomas Hommel

Jens Spahn gönnt sich

auch im neuen Jahr keine Verschnaufpause. Noch kurz vor Weihnachten hat der Bundesgesundheitsminister Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Notfallversorgung vorgestellt. Schon in Kürze soll ein Referentenentwurf folgen, der die Reformpläne im Einzelnen festzurrt. Diese basieren im Wesentlichen auf den Vorschlägen des Gutachtens des Gesundheits-Sachverständigenrates vom Juli 2018.

Triage in der Leitstelle.

Die Eckpunkte des Ministeriums orientieren sich an drei Schwerpunkten: Zum einen sollen gemeinsame Notfallleitstellen eingerichtet werden. In diesen sollen Anrufe sowohl über die Notfall-Rufnummer 112 als auch die Bereitschaftsdienst-Nummer 116117 einlaufen. In den Leitstellen werden Patienten auf Grundlage einer qualifizierten Ersteinschätzung (Triage) in die richtige Versorgungsebene vermittelt. Das kann der Rettungsdienst, das neu einzurichtende integrierte Notfallzentrum einer Klinik oder während der Sprechstundenzeiten eine vertragsärztliche Praxis sein.

Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) und Krankenhäuser erhalten den Auftrag, in bestimmten Krankenhäusern „Integrierte Notfallzentren“ (INZ) einzurichten und zu betreiben. Sie sind erste Anlaufstelle für alle gehfähigen Notfallpatienten sowie Patienten, die ihnen von der Notfallleitstelle zugewiesen wurden. INZ können auch direkt vom Rettungsdienst angesteuert werden. Bereitschaftsdienst- und Portalpraxen sollen nach und nach vollständig in das INZ überführt werden.

Die INZ überprüfen die Erstentscheidung der Notfallleitstellen und entscheiden, ob der Patient im Rahmen einer Erstversorgung behandelt wird, ob er einer weitergehenden Untersuchung im Krankenhaus bedarf, ob eine unmittelbare stationäre Behandlung erforderlich ist oder ob der Patient an eine Vertragsarztpraxis verwiesen werden kann.

Eigenständiger Leistungsbereich.

Laut Eckpunktepapier des Ministeriums soll der Rettungsdienst ein eigenständiger Leistungsbereich im Fünften Sozialgesetzbuch werden. Damit der Bund die erforderlichen Regelungen zur Organisation der Rettungsleitstellen treffen kann, soll ihm über eine Grundgesetzänderung die entsprechende Gesetzgebungskompetenz eingeräumt werden.

Die Vergütung der künftigen Notfallversorgung in den INZ soll zwischen Kassen, KVen und Krankenhäusern auf Landesebene vereinbart werden. Die Vergütung der INZ-Leistungen soll orts- und betreiberunabhängig sein und sich aus einer Grundpauschale sowie einer Vergütung pro Fall zusammensetzen. Die Leistungen würden dem INZ unmittelbar von den Kassen extrabudgetär vergütet. Die Refinanzierung soll durch Bereinigungen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung und der Klinikbudgets erfolgen. Die Neuregelungen sollen bereits im kommenden Jahr in Kraft treten.

Die Richtung stimmt.

Für den AOK-Bundesverband ist es „konsequent und zwingend erforderlich“, den Umbau der Notfallversorgung nach Inkrafttreten der Notfallstufen für die Kliniken weiter voranzutreiben. Gegenüber G+G sagte Dr. Jürgen Malzahn, Leiter des Krankenhausbereichs des Verbandes: „Die Überschriften der Eckpunkte stimmen. Gemeinsame Leitstellen und das Zusammenlegen unterschiedlicher Rufnummern im Notfall sowie die damit verbundene Schaffung integrierter Leitstellen werden helfen, die Patienten an die richtige Stelle für ihr Anliegen zu steuern.“

Wenig überzeugend sei es hingegen, landesspezifische Vergütungssysteme für die Notfallzentren einzuführen. „Stattdessen sollte ein bundeseinheitliches Vergütungssystem geschaffen werden, das sich bezüglich der Preiskomponenten auf Landesebene anpassen lässt. Bundeseinheitliche Vorgaben für Abrechnungsregeln sowie ein Verfahren für den Datenaustausch mit den Krankenkassen sind zu ergänzen, damit Transparenz und Qualitätssicherung von Beginn an möglich sind.“

Selbstverwaltung gefragt.

Auch bei der Planungsverantwortung sieht Malzahn Nachbesserungsbedarf. „Eine Notfallversorgungsplanung durch die Bundesländer ohne einheitlichen Maßstab ist kritisch zu bewerten. Schon die Krankenhausplanung ist wohl kaum ein Erfolgsmodell.“ Für eine patientenorientierte Notfallversorgungsstruktur sei es erforderlich, dass der Gemeinsame Bundesausschuss wesentliche Strukturmerkmale wie Qualifikation des Personals in den Rettungsstellen, Öffnungszeiten und Kapazitäten entwickele. „In diesem Korridor sollten KVen, Kliniken und Kassen dann unter Rechtsaufsicht der Länder die Notfallversorgung in den Regionen ausgestalten.“

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
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