Mit Freude bei der Arbeit: Dabei hilft ein Betriebliches Gesundheitsmanagement für Pflegekräfte.
Prävention

So stärkt die Pflege ihre Kräfte

Die AOK Niedersachsen unterstützt Pflegeeinrichtungen im Gesundheitsmanagement. Im Projekt BONAS haben die ambulanten Dienste der Caritas Südniedersachsen den Krankenstand gesenkt und bleiben auch nach Ende der Laufzeit am Ball. Von Bärbel Triller

Die Arbeitsbelastung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege ist enorm. Schweres Heben, psychischer Druck und Wechselschichten setzen den Pflegekräften zu. Infolgedessen haben Pflegeeinrichtungen mit hohen Krankenständen und langen Ausfallzeiten zu kämpfen. Oftmals scheiden Pflegekräfte aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen vorzeitig aus dem Berufsleben aus oder sie wechseln die Branche.

Auch eine Mitarbeiterin bei der Caritas Sozialstation Göttingen stand vor dieser Entscheidung. „Vor vier Jahren bemerkte ich, dass mir die tägliche Patientenpflege und der Schicht- und Wochenenddienst zunehmend schwerer fielen“, sagt die 59-Jährige heute. Die Altenpflegerin wollte die Arbeitsbelastung verringern und sprach mit der Pflegedienstleitung. „Mir wurde aber klar, dass es keine andere Möglichkeit gab, als weiterzuarbeiten oder mir eine andere Stelle zu suchen“, sagt sie.

Arbeitsbedingungen verbessern.

Eine neue Arbeit musste sich die Altenpflegerin nicht suchen. Denn ein halbes Jahr nach dem Gespräch startete die Caritas Südniedersachsen das Präventionsprojekt BONAS (Bonusregelung für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen). Die AOK Niedersachsen initiierte das Projekt, das von 2012 bis 2016 lief, vor dem Hintergrund des Pflegepaktes für Niedersachsen. Unter der Lenkung des Sozialministeriums verständigten sich 2011 Pflegekassen, kommunale Spitzenverbände, Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und der privaten Pflegeanbieter darauf, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Gesundheitsförderung für Pflegekräfte zu stärken. Das Ziel des Pflegepaktes ist, die Qualität der Pflege in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu sichern.

Mit BONAS setzte die AOK Niedersachsen, die sich seit über 20 Jahren im Betrieblichen Gesundheitsmanagement engagiert, den Fokus auf die spezifischen Bedingungen in der Pflege. „Die besonderen Belastungsfaktoren in der Pflege schlugen sich in unserer Statistik in auffallend hohen Krankenständen nieder, vor allem im Bereich von Muskel- und Skeletterkrankungen und psychischen Erkrankungen“, sagt Dr. Michael Drupp, Leiter des AOK-Fachprojektes Betriebliche Gesundheitsförderung in der Pflege. An BONAS nahmen 22 Altenpflegeeinrichtungen, davon neun ambulante und 13 stationäre, mit insgesamt 2.200 Mitarbeitern teil. Mit kostenfreien Präventions- und Beratungsleistungen sollten die Einrichtungen in die Lage versetzt werden, ein Betriebliches Gesundheitsmanagement einzurichten und fortzuführen.

Steuerkreis eingerichtet.

„Für uns war es eine Herausforderung, sich auf einen Prozess einzulassen, der auch Zeit und Ressourcen bindet“, sagt Ralf Regenhardt, Vorstandssprecher des Caritasverbandes Südniedersachsen. Mit dem Caritas Centrum Duderstadt und der Sozialstation Göttingen nahmen zwei Einrichtungen des Verbandes an BONAS teil. In Duderstadt sind sechs Pflegeteams im Einsatz, die rund 1.000 Pflegebedürftige zu Hause versorgen, in Göttingen zwei Pflegeteams mit etwa 260 Kunden.

Beate Kracht ist Teamleiterin in der ambulanten Pflege in Duderstadt, Christiane Koch Abteilungsleiterin der Sozialstation in Göttingen. Ihre Aufgabe war es, das Projekt umzusetzen. Als Grundlage diente ein Leitfaden von der AOK. „Der Start war für uns wie ein Sprung ins kalte Wasser“, erinnern sich Koch und Kracht. Die Projektarbeit sei zu Anfang etwas unkoordiniert verlaufen, aber nach kurzer Zeit habe sich alles stabilisiert. „Wir haben von der AOK konkrete Aufgaben erhalten und hatten immer einen Ansprechpartner“, sagt Kracht.

Mithilfe eines für die ambulante Pflege geeigneten Fragebogens hat die Caritas Südniedersachsen erfasst, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewegt. Die Fragebögen waren anonymisiert, die Teilnahme freiwillig. Die Auswertung zeigt, was den Mitarbeitern wichtig war: unter anderem ein verlässlicher Dienstplan, die Ausstattung des Dienstwagens, Kommunikation sowie Führung und Leitung. Alle genannten Themen wurden in Workshops vertieft. Über die Umsetzung entschied ein Steuerkreis, der beim Start des Projektes bei der Caritas eingerichtet und von der AOK moderiert wurde. Teilnehmer waren neben Koch und Kracht sechs Mitarbeiter, die Geschäftsführung und der Betriebsrat.

Dienstplan acht Wochen im Voraus.

Mitunter verbessern kleinere Investitionen die Arbeitssituation. „Eine Klimaanlage, eine Sitzheizung oder ein drehbares Autositzkissen können viel zum Wohlbefinden beitragen“, sagt Koch. Eine wichtige Rolle spielt ein verlässlicher Dienstplan. Für den Göttinger Standort hat ihn die Caritas Südniedersachsen komplett neu organisiert. „Der Plan steht jetzt acht Wochen im Voraus fest, die Wochenenden sind für ein Quartal vergeben“, sagt Koch. Auf familienfreundliche Arbeitszeiten wird geachtet.

Der Einsatz von Hilfsmitteln hat sich durch die Mitarbeiterbefragung als ein zentrales Thema herausgestellt. „Wir nehmen keine Kunden mehr auf, in deren Haushalt kein Pflegebett oder kein Badewannenlifter vorhanden ist“, betont Kracht. Auch die Kommunikationsstrukturen habe man verbessert. Für einen Verband, der an zwei Standorten agiere, seien Transparenz und ein wertschätzender Umgang zwischen Führung, Leitung und Mitarbeitern sehr wichtig.

Mitarbeiter fühlen sich ernst genommen.

Auch wenn nicht alle Wünsche umgesetzt wurden, zeigt sich doch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihre Situation und für ihre Gesundheitsfürsorge sensibilisiert wurden. „Sie haben gemerkt, dass sie ernst genommen werden. Sie fühlen sich in ihren Ansprüchen bestärkt und stellen selbstbewusster Forderungen“, lautet das Fazit der Projektleiterinnen Koch und Kracht.

Die AOK prüfte einmal jährlich per Audit den Erfolg von BONAS. So stellte sie fest, dass der Krankenstand deutlich gesunken ist: Zu Projektbeginn lag er bei 10,5 Prozent. Nach drei Jahren waren es noch 6,5 Prozent. „Ein riesiger Erfolg für alle und eine Bestätigung, dass wir mit BONAS genau den richtigen Weg gewählt haben“, sagt Caritas-Vorstandssprecher Regenhardt. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement sei jetzt fester Bestandteil in der Organisationsstruktur. Die Stabsstelle teilen sich Koch und Kracht. Zudem wurde ein Gesundheitsfonds eingerichtet. „Mit diesen Mitteln fördern wir in unserem Verband Maßnahmen und Vorhaben, die der Gesundheitsprävention aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bereichen Ernährung, Entspannung und Bewegung dienen“, sagt Regenhardt. Die AOK wiederum hält auf der Basis der BONAS-Erfahrungen spezielle Angebote für Pflegeeinrichtungen vor.

Auch die eingangs erwähnte Altenpflegerin der Caritas profitierte vom Projekt. Mittlerweile hat sie eine Leitungsaufgabe im Betreuungsbereich übernommen. Wochenenddienste und körperlich anstrengende Arbeit gehören für sie der Vergangenheit an. „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Pflegealltag ist für mich vollkommen gelungen. Ich gehe immer noch jeden Tag gerne zur Arbeit.“

Bärbel Triller ist freie Journalistin in Hannover.
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