Ob der Dominostein fällt? Auch das Unternehmensrisiko von Pflegeheimen ist nicht immer klar einzuschätzen.
Pflege

Streit ums unternehmerische Risiko

Der Gesetzgeber schreibt eine leistungsgerechte Vergütung stationärer Pflegeeinrichtungen vor. Die Bezahlung soll auch dem Unternehmensrisiko Rechnung tragen. Wie hoch aber das Wagnis einzuschätzen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Von Thomas Hommel

Manche Stelle im Gesetz

klingt recht nüchtern und birgt doch Zündstoff. Ein Beispiel dafür ist Paragraf 84 Abs. 2 Satz 4 im Sozialgesetzbuch XI. Im Zuge des dritten Pflegestärkungsgesetzes hat der Gesetzgeber dort festgeschrieben, dass bei der Vergütung von stationären Pflegeeinrichtungen das Unternehmensrisiko des Trägers „angemessen“ zu berücksichtigen ist. Freilich: Die Definition, was „angemessen“ heißt, bleibt den Akteuren der Selbstverwaltung auf Landesebene sowie den Pflegeanbietern und Kostenträgern im Verhandlungsgeschehen überlassen.

Hier aber liegt der Hase im Pfeffer: Denn bislang sind Pflegeanbieter und Kassen nicht übereingekommen, in welcher Höhe das Unternehmensrisiko „angemessen“ aufzuwiegen ist – zumal der Gesetzgeber beiden Seiten auch die Auflage macht, bei ihren Verhandlungen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität im Auge zu behalten.

Studie sucht nach Lösung.

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, der eigenen Angaben zufolge mehr als 10.000 Pflegeunternehmen vertritt, hat daher eine Studie zum „Unternehmenswagnis in der stationären Pflege“ in Auftrag gegeben. Beauftragt wurde das IEGUS-Institut für europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft und die contec Unternehmensberatung in Berlin.

Ziel der Studie ist es, das pflegerische Unternehmenswagnis zu benennen und das Ergebnis als Orientierungswert in die Pflegesatzverhandlungen mit den Kassen einzuspeisen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird das Unternehmensrisiko von den Studienautoren in „allgemeine unternehmerische Wagnisse“ und „betriebsspezifische Einzelwagnisse“ aufgeteilt. Zur Quantifizierung des branchenunabhängigen Unternehmenswagnisses schlagen die Autoren einen Zuschlag auf das auszuhandelnde Gesamtbudget für Pflegesätze sowie für Beträge für Unterkunft und Verpflegung in Höhe von vier Prozent vor. Dieser Wert erfolge „mit Blick auf die mittlere Umsatzrendite deutscher Unternehmen in einem hinreichend langen, retrospektiv betrachteten Zeitraum“. Grundlage dafür seien repräsentativ gewählte Unternehmensdaten der Deutschen Bank.

Pflegeanbieter und Kassen sind auch dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität verpflichtet.

Um die zweite – also die branchenspezifische – Komponente des Unternehmensrisikos zu berechnen, werden 50 Risiken benannt und in Kategorien wie „Demografische Entwicklung“, „Politische und rechtliche Rahmenbedingungen“ oder „Marktumfeld“ eingeteilt. Auf Basis dieser „Branchenrisiken“ ermitteln die Autoren einen Zuschlag in Höhe von 0,84 bis 1,62 Prozent auf das allgemeine unternehmerische Wagnis, sodass sich zusammengerechnet ein Risikozuschlag in Höhe von 4,84 bis 5,62 Prozent je Pflegeeinrichtung ergebe. Damit sei ein Orientierungswert für die Entgeltverhandlungen genannt, heißt es in der Studie abschließend.

Methodische Fehler.

Gleichwohl müssen sich die Autoren massive Kritik gefallen lassen. So kommt ein vom AOK-Bundesverband beauftragtes Gutachten der Gesundheitswirtschaftsexperten Professor Dr. Peter Michell-Auli und Professorin Dr. Agatha Kalhoff zu dem Ergebnis, dass die IEGUS-Studie einige methodische Fehler aufweise.

In der Untersuchung werde zum Beispiel nicht dargelegt, „wie zur Ermittlung der Einzelrisiken und deren Bewertung konkret vorgegangen wurde“. Es bleibe unklar, wer die Risiken identifiziert und bewertet habe. Auch die zugrundeliegende Datenbasis sei intransparent. Offen bleibe damit auch die Frage, warum Unternehmensrisiken wie Marktzutritt oder Kapitalbeschaffung in der Altenpflege größer einzuschätzen seien als in anderen Wirtschaftszweigen. Zudem wirke die Aufzählung zahlreicher, teils willkürlich gewählter branchenspezifischer Risiken nahezu wie ein „prospektives Selbstkostendeckungsprinzip“. In der Summe bestehe wegen methodischer Mängel und zahlreicher subjektiver Bewertungen die „Gefahr einer vollständigen Fehleinschätzung der tatsächlich bestehenden Risikodisposition in der stationären Altenhilfe im Branchenvergleich mit allen Wirtschaftszweigen“.

Noch nicht das letzte Wort.

Die IEGUS-Forscher haben sich inzwischen gegen die Kritik von Michell-Auli und Kalhoff gewehrt und den beiden Gutachter den vertiefenden Methodenteil ihrer Studie zur Verfügung gestellt. Aber auch dieses zusätzliche Material schaffe, so die Gutachter, nicht die nötige Klarheit, wie die IEGUS-Wissenschaftler zu ihren Berechnungsergebnissen gelangt seien.

Für den AOK-Bundesverband steht derweil fest, dass eine überzeugende Antwort auf die Frage, wie das Unternehmenswagnis in der stationären Altenpflege taxiert sein soll, noch nicht gefunden ist. „Der in der Studie genannte Median von 5,5 Prozent als Zuschlag bildet jedenfalls keine solide Basis für die Verhandlungen mit den Kassen“, so AOK-Pflegeexpertin Christiane Lehmacher-Dubberke.

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
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