Mehr als ein paar Münzen: Wenn Rentner ab 2020 auf Versorgungsbezüge nicht mehr den vollen Beitragssatz zahlen, fehlen den Krankenkassen rund drei Milliarden Euro.
Versorgungsbezüge

Halber Beitrag schwächt die Kassen

Wenn es nach Gesundheitsminister Jens Spahn geht, sollen Betriebsrentner nur noch den halben Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung bezahlen. Doch es ist nicht Aufgabe der Krankenkassen, die betriebliche Altersvorsorge zu fördern, kritisiert Prof. Dr. Klaus Jacobs.

Über die Beiträge

zur gesetzlichen Krankenversicherung auf Versorgungsbezüge von Rentnern wird seit vielen Jahren lebhaft gestritten. Der Ende Januar 2019 veröffentlichte Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium für ein „Gesetz zur Beitragsentlastung der Betriebsrentnerinnen und -rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung“ hat die Diskussion erneut angefacht. Der Entwurf sieht vor, dass ab 2020 auf Versorgungsbezüge nur noch der halbe Krankenkassen-Beitrag gezahlt werden soll. Weil das in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu Mindereinnahmen von rund drei Milliarden Euro führen würde, ist vorgesehen, den steuerfinanzierten Bundeszuschuss zur GKV um 2,5 auf insgesamt 17 Milliarden Euro zu erhöhen. Das soll den Einnahmenverlust weitgehend ausgleichen.

Allerdings hat Gesundheitsminister Jens Spahn die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn sofort kam Widerspruch aus dem Bundesfinanzministerium. Dafür stünden im Bundeshaushalt keine Mittel zur Verfügung. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich ablehnend: Zunächst müssten die im Koalitionsvertrag verabredeten kostenwirksamen Projekte abgearbeitet werden. Ist das Thema damit vom Tisch? Sicher nicht, denn nicht nur in beiden Koalitionsfraktionen gibt es nach wie vor zahlreiche Befürworter für eine Minderung der Beitragsbelastung von Versorgungsbezügen, um die Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge zu erhöhen. Darum erscheint es sinnvoll, das Thema genauer unter die Lupe zu nehmen und zu sortieren, was in der Diskussion häufig miteinander vermengt wird.

Voller Satz ist verfassungsgemäß.

Das gilt zunächst für den Begriff der Doppelverbeitragung, für den es zwei unterschiedliche Lesarten gibt. Zum einen geht es um die Höhe des GKV-Beitrags auf Versorgungsbezüge. Seit 2004 müssen deren Empfänger den vollen Beitragssatz allein entrichten. Das wird kritisiert, weil Rentner auf gesetzliche Renten nur den halben Beitrag zahlen müssten, während die andere Hälfte analog zum Arbeitgeberbeitrag bei Arbeitnehmern von der Rentenversicherung getragen werde.

Das Bundesverfassungsgericht hat hierin 2008 jedoch keine Ungleichbehandlung gesehen. Im Gegenteil: Durch die Erhebung des vollen Beitragssatzes auf Versorgungsbezüge sei eine bis dahin bestehende Ungleichbehandlung beseitigt worden, die Versorgungsbezüge gegenüber gesetzlichen Renten begünstigt hätte. Eine Ungleichbehandlung erführen die Empfänger von Versorgungsbezügen erst auf der Ebene der Beitragslast, weil sie die Beiträge allein zu tragen hätten. Das sei verfassungsrechtlich aber nicht zu beanstanden.

Die Frage der Gleich- oder Ungleichbehandlung ist nicht so einfach zu beantworten.

Offensichtlich ist die Frage der Gleich- oder Ungleichbehandlung gar nicht so einfach zu beantworten. Aus Sicht der GKV geht es bei der Beitragsermittlung zunächst um die beitragspflichtigen Einkommen der Versicherten. Würde der aktuelle Referentenentwurf Gesetz, käme es gemäß Bundesverfassungsgericht wieder zu einer Bevorzugung der Versorgungsbezüge gegenüber gesetzlichen Renten. Das wird auch im Gesetzentwurf folgerichtig als „beitragsrechtliche Privilegierung“ bezeichnet. Das klingt erkennbar anders als die Beseitigung einer Ungerechtigkeit.

Entlastung beim Ansparen.

Die zweite Lesart von Doppelverbeitragung betrifft die Bemessungsgrundlage des GKV-Beitrags. Hier wird argumentiert, dass die Versorgungsbezüge teilweise aus Bruttoentgelt angespart würden, auf das bereits in der Erwerbsphase GKV-Beiträge gezahlt würden. Allerdings ist seit 2002 das Arbeitsentgelt im Rahmen der Entgeltumwandlung im Umfang von bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung für die betriebliche Altersvorsorge steuer- und beitragsfrei. Das beschert der GKV Mindereinnahmen von rund 1,3 Milliarden Euro. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht 2010 klargestellt, dass der steuerrechtliche Grundsatz, Einkommen nur einmal zu versteuern, nicht für die solidarische Finanzierung der GKV gelte. Andernfalls müssten im Übrigen auch die gesetzlichen Renten weitgehend beitragsfrei gestellt werden.

Die Absicht, die betriebliche Säule der Alterssicherung attraktiver zu gestalten, ist legitim. Doch was hat die GKV damit zu tun? Der Staat könnte den Empfängern von Versorgungsbezügen doch einen Zuschuss bezahlen, so wie er die Beitragszahlungen zum Pflege-Bahr bezuschusst, der geförderten privaten Pflegezusatzversicherung. Der stattdessen vorgesehene Umweg verheißt jedenfalls nichts Gutes für die GKV. Das lassen schon die Kontroversen über die Gegenfinanzierung der geplanten Regelung erkennen – soweit daran überhaupt gedacht wird. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält so etwas für unnötig: „Betriebsrentner können aus Überschüssen der Krankenkassen entlastet werden“, twitterte er am 29. Januar nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfs aus dem Hause Spahn.

Generationengerechtigkeit im Blick.

Laut aktuellem Gesetzentwurf ist die Ausweitung der Beitragspflicht auf Versorgungsbezüge ab 2004 wegen erheblicher Finanzierungsprobleme der GKV erfolgt. Dabei lag der durchschnittliche GKV-Beitragssatz 2003 bei 14,3 Prozent, also über einen Prozentpunkt niedriger als heute. Vor dem Hintergrund der Debatte über die Lohnnebenkosten im Kontext der Agenda 2010 galt eine weitere Erhöhung jedoch als undenkbar. Deshalb wurde zum Beispiel auch beschlossen, die Rentner ab April 2004 mit dem vollen Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung zu belasten. Das gilt auch heute noch, ohne als Doppelverbeitragung angeprangert zu werden.

Pflichtversicherte in der Krankenversicherung der Rentner müssen Beiträge auf die gesetzliche Rente sowie auf Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen entrichten. Den Beitrag auf die gesetzliche Rente teilen sich Rentner und Rentenversicherung hälftig: beim allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent und beim kassenindividuellen Zusatzbeitrag von aktuell durchschnittlich 0,9 Prozent.

Den Beitrag auf Versorgungsbezüge, vor allem Betriebsrenten, und auf Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von ebenfalls 15,5 Prozent im Durchschnitt tragen die Rentner dagegen allein, sofern diese Einnahmen monatlich mehr als 155,75 Euro betragen.

Freiwillig versicherte Rentner müssen zusätzlich noch Beiträge auf alle weiteren Einkünfte wie Miet- und Zinseinnahmen entrichten; hier gilt der ermäßigte Beitragssatz von 14,0 Prozent plus Zusatzbeitrag, also im Durchschnitt 14,9 Prozent.

Klaus Jacobs

Die Politik hat diese Maßnahmen auch mit der Lastenverteilung zwischen den Generationen begründet. Es sei „ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht noch höher werden zu lassen“ – so die Gesetzesbegründung 2003 zur Erhöhung der Beiträge auf Versorgungsbezüge.

Eine ähnliche Aussage gibt es von der heutigen Bundesregierung: „Die Beiträge aus Versorgungsbezügen (…) stellen einen wichtigen Bestandteil für eine solidarische und nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und für einen ausgewogenen Ausgleich zwischen der Förderung der betrieblichen Altersvorsorge und der Generationengerechtigkeit der GKV dar.“ Dieses Zitat stammt aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion vom 21. September 2018. Ist das schon wieder Makulatur?

Zuschuss unterliegt Änderungen.

Dass die Förderung der betrieblichen Altersvorsorge und die Bekämpfung von Altersarmut nicht zu den Aufgaben der GKV gehören, ist unstrittig (wobei dahinsteht, ob gerade die betriebliche Altersvorsorge ein wirksames Instrument gegen Altersarmut ist). Wenn der aktuelle Gesetzentwurf diese Aufgaben dennoch den Krankenkassen zuweist und lapidar als „gesamtgesellschaftlich“ deklariert, erscheint dies aus GKV-Sicht selbst bei gleichzeitiger Erhöhung des Bundeszuschusses problematisch. Denn der Zuschuss wird unspezifisch „zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen für versicherungsfremde Leistungen“ gezahlt und kann jederzeit nach Kassenlage geändert werden.

Beitragsbasis verbreitern.

Im Koalitionsvertrag ist nicht die Entlastung der Betriebsrentner, sondern ein anderes beitragsrechtliches Vorhaben vereinbart: die Zahlung kostendeckender GKV-Beiträge für Bezieher von Arbeitslosengeld (ALG) II. Ob die Bundeskanzlerin wohl hieran gedacht hat, als sie darauf hinwies, dass zunächst die im Koalitionsvertrag verabredeten kostenwirksamen Projekte abgearbeitet werden müssten? Jedenfalls könnte ein substanzieller Beitrag für ALG II-Empfänger zu geringeren durchschnittlichen GKV-Beiträgen führen. Davon würden auch die Betriebsrentner profitieren. Alles andere könnte als falsches Signal für die Zukunft verstanden werden.

Wachsende Belastungen in Kranken- und Pflegeversicherung erlauben keine Schwächung ihrer Beitragsbasis, sondern erfordern deren Verbreiterung. Im Beitragsrecht der GKV gibt es viele Inkonsistenzen, etwa zwischen Pflicht- und freiwilligen Versicherten. Eine sinnvolle Harmonisierung wird kaum „nach unten“ erfolgen können, sondern wohl nur „nach oben“. Das ist nicht populär und bedarf der Erklärung. Hierum sollten sich Jens Spahn und Karl Lauterbach kümmern, anstatt die GKV anderen Politikbereichen als Problemlöser anzudienen.

Klaus Jacobs ist Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Bildnachweis: iStock/AndreyPopov