Vorstände gefragt!

„Das ist machtpolitischer Zentralismus“

Unter dem Motto „Lahnstein vollenden“ möchte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Kassenlandschaft durcheinander wirbeln. Seine Forderung nach bundesweiter Öffnung aller Kassen betrifft in erster Linie die elf AOKs. Mit seinen Forderungen hat er bereits die Länder gegen sich aufgebracht. Wie reagieren die Vorstandsspitzen der AOKs und des AOK-Bundesverbandes? Eine Zusammenfassung.

Portrait Martin Litsch

Martin Litsch

Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes

„Der Gesetzentwurf definiert mustergültig, wozu der Kassenwettbewerb gut sein soll – nämlich Leistungen und Qualität der Versorgung zu verbessern sowie Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Versorgung zu erhöhen. Die Vorschläge zur Umsetzung laufen allerdings auf machtpolitischen Zentralismus und finanzielle Gleichmacherei hinaus. Unter dem Deckmantel von Wahlfreiheit setzt der Bundesgesundheitsminister einseitig auf Preiswettbewerb. Aber es ist noch lange nicht fair, einfach nur mehr Wechselmöglichkeiten für diejenigen zu schaffen, die stets die günstigste Kasse suchen. Von solch einem elitären Wettbewerbsverständnis haben Menschen nichts, die in unterversorgten Regionen leben, die chronisch krank sind und eine Krankenkasse als Ansprechpartner vor Ort brauchen. Anstatt endlich den Vertragspartnern vor Ort mehr Handlungsspielraum einzuräumen, will der Minister ausgerechnet die regionalen Krankenkassen als maßgebliche Player schwächen. Sinnvoller wäre es, wenn bundesweite Kassen regionale Zusatzbeiträge nehmen dürften, um den speziellen regionalen Finanzierungsbedürfnissen entsprechen zu können.“

Portrait Irmgard Stippler

Dr. Irmgard Stippler

Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern

 

„Die starke regionale Verankerung der AOK Bayern ermöglicht es, zusammen mit den bayerischen Ärzten, Kliniken und Gesundheitsberufen gute regionale Gesundheitsversorgung für Versicherte und Patienten zu gestalten. Diese regionale Gesundheitsversorgung ist gefährdet durch die vorgeschlagene bundesweite Öffnung und durch den zunehmenden Zentralismus Richtung Berlin bei Vertrags- und Vergütungsverhandlungen. Für den Wettbewerb um die beste Versorgung der Menschen sind mehr regionale Gestaltungsspielräume erforderlich und nicht Gleichmacherei.“

Portrait Rainer Striebel

Rainer Striebel

Vorstandsvorsitzender der AOK Plus (Sachsen und Thüringen)

„Dieser Entwurf geht an den Interessen der Versicherten vorbei. Gute Versorgung wird am besten durch regionale Akteure mit Blick auf die konkreten Herausforderungen vor Ort gestaltet. Das beweist die AOK PLUS mit einer Vielzahl von Themen gemeinsam mit Ärzten, Krankenhäusern, Apothekern, Therapeuten und Pflegediensten in Sachsen und Thüringen. Über 140 Filialen in allen Regionen der beiden Freistaaten, unzählige Kooperationen mit Sportvereinen und Selbsthilfegruppen sind ein Beleg für die regionale Verbundenheit. Der Weg hin zu mehr Zentralismus, den der Minister nicht erst seit diesem Gesetzesvorhaben einschlägt, wird die Versorgungssituation für die Versicherten in Sachsen und Thüringen nicht spürbar verbessern. Vielmehr fördert er die Entfremdung der Bevölkerung von zukünftig nur noch zentral getroffenen Entscheidungen. Und dies ausgerechnet bei dem sehr persönlichen und wichtigen Thema Gesundheit.“

Portrait Christopher Hermann

Dr. Christopher Hermann

Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg

„Um effiziente und qualitativ hochwertige Versorgungsstrukturen aufzusetzen, sind aber regionale Verwurzelung und die Kenntnis der Bedürfnisse der Menschen vor Ort unerlässlich. Das Haus- und Facharztprogramm, das wir gemeinsam mit dem Hausärzteverband und MEDI Baden-Württemberg seit einem Jahrzehnt erfolgreich leben und das wissenschaftlich erwiesen zu besserer Versorgung für die Patienten führt, ist das beste Beispiel dafür, dass regionale Gestaltungsbereitschaft und -kompetenz zwingend sind, um Qualität, Struktur und Vernetzung im Interesse der Versicherten zu verbessern. Als AOK Baden-Württemberg definieren wir uns nicht vor allem über einen Wettbewerb um den niedrigsten Preis, sondern über die bestmögliche Versorgungsqualität. Die Menschen im Land geben uns recht. Herr Spahn will elf AOKs in einen bundesweiten Scheinwettbewerb stellen. Ich gehe davon aus, dass sich die besseren Argumente durchsetzen und Herr Spahn mit seinen Allmachtphantasien Schiffbruch erleiden wird.“

Portrait Daniela Teichert

Daniela Teichert

Beauftragte des Vorstandes der AOK Nordost (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern)

„Insbesondere die gute Versorgung der Menschen in ländlichen Regionen, für die die AOK Nordost in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zuständig ist, wird durch einen bundesweiten Preiswettbewerb massiv gefährdet. Qualitativ hochwertige Programme wie die Arztassistentin „agneszwei“, das digitale Gesundheitsnetzwerk sowie Telemedizinprogramme wie „AOK Curaplan Herz Plus“ wären in dem jetzt vom Bundesgesundheitsminister angestrebten, zentralisierten System so nicht möglich gewesen. Die bundesweite Öffnung aller Krankenkassen setzt die versorgungspolitisch wichtige Verankerung regionaler Kassen wie der AOK Nordost leichtfertig aufs Spiel.“

Portrait Martina Niemeyer

Dr. Martina Niemeyer

Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland-Pfalz/Saarland

„Die AOK versteht sich als Gestalter passgenauer, qualitativ hochwertiger Versorgung, Kümmerer für die Regionen und bietet wohnortnahen Service. Der vorgelegte Gesetzesentwurf erschwert dies. Ein Mehrwert für die Menschen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland ist nicht zu erkennen. Wir haben einen funktionierenden Risikostrukturausgleich! Das ist das Ergebnis der Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesversicherungsamt. Gutes kann man natürlich weiter verbessern. So sind beispielsweise die Einführung eines Vollmodells oder die Stärkung der Manipulationsresistenz eine sinnvolle, umsetzbare und zielführende Weiterentwicklung des RSA. Aber es ist absolut inkonsequent, über eine Regionalkomponente Gelder aus schwächeren ländlichen Regionen in überversorgte städtische Gebiete umzuleiten. „Metropolzuschläge“ zementieren dort verkrustete Versorgungsstrukturen und bestrafen wirtschaftliches Handeln. Das trägt dem obersten Ziel jeder RSA-Weiterentwicklung – die bessere Zielgenauigkeit der Zuweisungen auf Versichertenebene – keine Rechnung.“

Portrait Jens Martin-Hoyer

Jens Martin Hoyer

stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes

„Es ist vollkommen richtig, den Morbi-RSA noch zielgenauer zu gestalten. Deshalb unterstützt die AOK die Einführung eines Krankheits-Vollmodells, wie es auch die Sachverständigen vorgeschlagen haben. Der Wissenschaftliche Beirat hat dem Minister mit dem Sondergutachten zur Wirkung des Morbi-RSA vom Oktober 2017 und dem Folgegutachten zu den regionalen Verteilungsmechanismen vom Juni 2018 eine fundierte Steilvorlage geliefert. Eine auch zwischen den Krankenkassen einvernehmliche Lösung war damit zum Greifen nah. Leider hat Herr Spahn den Expertenrat in vielerlei Hinsicht ignoriert. Er verfehlt damit auch seinen Anspruch, Risikoselektion zu Lasten von Versichertengruppen abzubauen. Auch die Einführung eines zusätzlichen Risikopools für kostenintensive Krankheiten ist nicht zielführend, solange wir die Auswirkungen des Vollmodells und der sogenannten Altersaktionstermen noch gar nicht kennen.“

Bildnachweis: AOK-Bundesverband, Jan Lauer/wdv GmbH & Co. OHG, AOK Plus, AOK Baden-Württemberg, AOK Nordost, AOK Rheinland-Pfalz/Saarland, AOK-Mediendienst