Ist Gesundheitsminister Jens Spahn mit dem „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ auf dem Holzweg?
„Faire-Kassenwahl-Gesetz“

Auf dem Holzweg

Auf 120 Seiten nimmt die AOK-Gemeinschaft Stellung zum geplanten „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ von Gesundheitsminister Spahn – und bekräftigt ihre Kritik an den Plänen. Von Thomas Hommel

Zentralismus statt Föderalismus,

Wettbewerb um Preise statt um gute Medizin und Pflege: Die AOK-Gemeinschaft hat in einer knapp 120 Seiten langen Stellungnahme zum Referentenentwurf des „Faire-Kassenwahl-Gesetzes“ (GKV-FKG) ihre Kritik an den Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bekräftigt. „Herr Spahn ist auf dem ordnungspolitischen Holzweg“, sagte der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, bei der Vorstellung des Papiers vor Journalisten in Berlin.

Das Vorhaben, regionale Kassen wie die elf AOKs zu einer bundesweiten Öffnung für Versicherte aus anderen Regionen zu zwingen, mache die Kassenwahl nicht fairer, sondern führe zu einem falschen Kassenwettbewerb. „Gute und passgenaue Versorgungsverträge entstehen vor allem dort, wo Ortskenntnis, ein hoher Marktanteil und regionales Engagement vorhanden sind“, so Litsch. Nur dann stünden genügend personelle Ressourcen und finanzielle Mittel bereit, um neue Versorgungsformen ins Leben zu rufen und voranzubringen.

Gesetz ohne Mehrwert.

Die von Spahn geplante bundesweite Öffnung regionaler Kassen führe deshalb auch nicht zu einer besseren Versorgung, betonte Litsch. In der Konsequenz würden Kassen ihren Fokus stattdessen einseitig auf den Preiswettbewerb lenken. Das Gesetz entpuppe sich daher als „Mogelpackung“. Für Versichertengruppen wie chronisch kranke Menschen, die auf hochwertige Versorgungsangebote vor Ort angewiesen seien, habe das Gesetz keinen Mehrwert.

Aufgrund der besonderen Strukturen der Leistungserbringer und der gewachsenen Vertragsbeziehungen in den Regionen lasse sich nicht jeder erfolgreiche Versorgungsvertrag „von hier nach da“ übertragen. Als Beispiel führte Litsch den Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg an. „Für einen Versicherten, der dem Vertrag in Hamburg beitritt, macht der Vertrag keinen Sinn.

Das ordnungspolitische Ziel, das Spahn mit der bundesweiten Öffnung regionaler Kassen verfolge, bleibe denn auch „völlig unklar“, kritisierte Litsch. Statt die Gestaltungsspielräume der Kassen vor Ort zu erweitern, setze das Gesetz auf Zentralisierung und Vereinheitlichung von Versorgungsstrukturen. Aktuell könnten die elf AOKs in den Ländern zahlreiche „innovative und regionalspezifische Versorgungsverträge“ sowie mehr als 1.200 Geschäftsstellen vorweisen. Viele bundesweit konkurrierende Kassen hätten sich dagegen aus der Versorgungssteuerung und der Fläche zurückgezogen, so Litsch.

Zustimmungspflicht der Länder.

Der AOK-Vorstand wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die organisationsrechtlichen Änderungen des Gesetzes aus Sicht der Rechtsexperten der Gesundheitskasse die Zustimmung der Bundesländer benötigen. „Sowohl das Grundgesetz als auch die sozialrechtlichen Regelungen sehen grundsätzlich eine Trennung der Kassenstrukturen und der Aufsichten auf Bundes- und Landesebene vor“, sagte Litsch.

Nach Auffassung von Gesundheitsminister Spahn ist das geplante Gesetz dagegen nicht an die Zustimmung der Länder gebunden. Diese hatten sich zuletzt geschlossen dagegen ausgesprochen.

Die unmittelbare gesetzliche Einführung einer einheitlichen Rechtsaufsicht der Kassen erfordere eine Änderung des Grundgesetzes, argumentierte Litsch. Der vom GKV-FKG stattdessen eingeschlagene Weg einer mittelbaren Kompetenzverlagerung durch eine Entregionalisierung mache allerdings verwaltungsrechtliche Folge-Regelungen mit Wirkung für die Länder erforderlich: „Die bestehenden Verwaltungsstrukturen auf Landesebene sind mit der Neuregelung der Kassenorganisation nicht mehr vereinbar." Die notwendige Neuregelung zur künftigen Verfasstheit und Aufgabenwahrnehmung der Kranken- und Pflegekassen im vertraglichen Versorgungsgeschehen auf Landesebene fehle im Gesetzesentwurf schlichtweg.

Das Gesetz entpuppt sich als „Mogelpackung“.

Beim RSA ist für jeden was dabei.

Die im Referentenentwurf zum GKV-FKG enthaltenen Pläne zur Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs zwischen den Krankenkassen – dem sogenannten Morbi-RSA – sieht die AOK hingegen differenziert: Die vorgesehene Einführung eines Krankheits-Vollmodells sowie die Schaffung von Altersinteraktionstermen seien stringent, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer. Alle Experten seien sich einig, dass diese Maßnahmen die Zielgenauigkeit der Versorgung von kranken und gesunden Versicherten erhöhten. „Deshalb machen wir an all diese Punkte einen Haken dran.“

Die vorgeschlagene Nicht-Berücksichtigung der Erwerbsminderungsrentner dagegen widerspreche den Empfehlungen der Experten aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesversicherungsamt, so Hoyer. „Das ist ordnungspolitisch fatal und setzt eine besonders schutzbedürftige Versichertengruppe massiven Anreizen zur Risikoselektion aus.“

Die Einführung einer Regionalkomponente im RSA erweise sich bei näherem Hinsehen als „getarnter Metropolenzuschlag". Eine solcher Schritt würde, falls umgesetzt, finanzielle Mittel aus strukturschwachen, oft ländlichen Regionen in überversorgte städtische Gebiete leiten.

Auch der geplante Risikopool für kostenintensive Krankheiten ist aus Sicht der AOK nicht zielführend. „Das Vollmodell soll dafür sorgen, dass künftig alle ausgabenintensiven Krankheiten mit Zuschlägen bedacht werden. Bevor man also einen zusätzlichen Risikopool schafft, sollte erst einmal die Wirkung des Vollmodells beobachtet und dann in der Logik des RSA nach Ansätzen zum Abbau der gegebenenfalls verbleibenden Unterdeckungen gesucht werden“, so Hoyer. Ein Ist-Kosten-Ausgleich setze falsche Anreize, zumal ein Risikopool mit hohem Verwaltungs- und Prüfaufwand verbunden wäre."

Zielgenaue Versorgungsverträge in Gefahr.

Die AOK begrüßt zudem Maßnahmen zur Stärkung der Manipulationsresistenz in den Datengrundlagen für den RSA. Diese müssten allerdings kalkulierbar sein und Rechtsicherheit schaffen. Zudem dürften sie nicht zielgenaue Versorgungsverträge inklusive der Vergütung medizinischer Leistungen konterkarieren. „Wir unterstützen das bereits bestehende Verbot der Vergütung von Diagnosekodierungen und die Einführung von ambulanten Kodierrichtlinien“, so Hoyer.

Laut AOK besteht aber die Gefahr, dass das Gesetz übers Ziel hinausschieße: So soll die Vergütung von Leistungen, die aus medizinischen Gründen gezielt besonderen Patientengruppen mit bestimmten Krankheiten angeboten werden, nur noch unter Rückgriff auf einen „allgemeinen Krankheitsbegriff“ erlaubt sein. „Das wäre ein K.-o.-Kriterium für viele Versorgungsverträge für spezifische Patientengruppen", kritisierte Hoyer.

Die Stellungnahme zur Fachanhörung im Bundesgesundheitsministerium am 6. Mai steht im Internetauftritt des AOK-Bundesverbandes zum Download bereit.

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
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