Was brauche ich, damit es mir gut geht? Welche Ziele sind realistisch? Solchen Fragen gehen arbeitslose Menschen in speziell auf sie zugeschnittenen Kursen nach.
Kooperationsprojekt

Prävention für Arbeitslose

Die Krankenkassen weiten 2019 gemeinsam mit Jobcentern und Kommunen ein bundesweites Gesundheitsprojekt für Arbeitslose aus. Ziel ist es, die Lebensqualität zu verbessern und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Von Nicole Wacker und Kerstin Berszuck

Zeiten von längerer Arbeitslosigkeit

können sich negativ auf die physische und psychische Gesundheit auswirken. Studien zeigen, dass Arbeitslose höhere Krankheitsrisiken aufweisen und häufiger in ambulanter und stationärer Behandlung sind. Die gesundheitlichen Probleme der Betroffenen können wiederum verhindern, dass Arbeitslose eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Für die Betroffenen wird dieses Dilemma negativ verstärkt, weil durch den Verlust des Arbeitsplatzes auch eine sinnstiftende Tagesstruktur und soziale Kontakte wegfallen. Zweifel an der eigenen Kompetenz und an den eigenen Fähigkeiten können am Selbstbewusstsein der Menschen nagen. Einen Ausweg aus dieser Situation soll das Modellprojekt „Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung in der kommunalen Lebenswelt“ bieten. Partner im Projekt sind die Krankenkassen (GKV), die Bundesagentur für Arbeit (BA) inklusive der Jobcenter (JC), der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag.

Gesetzliche Basis ist das Präventionsgesetz, das 2015 in Kraft trat. Der Gesetzgeber hat hierin einen besonderen Schwerpunkt auf die lebensweltbezogene Prävention und Gesundheitsförderung gelegt. Daneben sollen die Krankenkassen und ihre Kooperationspartner gemeinsam noch stärker als bisher mit Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen auf Menschen in bestimmten Lebenslagen zugehen und auch Arbeitslose erreichen. Dazu werden zum einen nachhaltige kommunale Strukturen zur Prävention und Gesundheitsförderung in den Lebenswelten unterstützt. Zum anderen entwickeln die Partner kassenübergreifende Projekte und setzen sie um.

Ein Kernziel ist es, die Auswirkungen sozialer Benachteiligung auf die Gesundheit zu verringern. Das Modellprojekt hilft arbeitslosen Menschen dabei, ihre als belastend empfundene Lebenssituation besser zu bewältigen und leichter Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. Damit setzen die Partner Ziele um, die die Nationale Präventionskonferenz in den Bundesrahmenempfehlungen gesetzt hat. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) übernimmt im Auftrag und mit Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen die bundesweite Koordination und betreut die Evaluation des Projektes.

Niedrigschwelliger Zugang.

Ziel der Projektumsetzung vor Ort ist es, arbeitslose Menschen mit niedrigschwelligen gesundheitsförderlichen Angeboten zu unterstützen. Dies ist besonders sinnvoll, da arbeitslose Menschen von sich aus vorhandene Angebote zur Prävention und Gesundheitsförderung seltener in Anspruch nehmen. In gesundheitsorientierten Beratungsgesprächen in den Jobcentern und Agenturen für Arbeit werden die Menschen für die eigene Gesundheit sensibilisiert.

Grafik Bewertung von Gesundheitskursen im Zusammenhang mit der Arbeitssuche

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, GESOMED im Auftrag des GKV-Spitzenverbandes, Ergebnisse der Vorher-/Nachher-Befragungen in den Präventionskursen „AktivA“ und „JobFit“, 2016

Die Integrationsfachkräfte werden hierzu speziell geschult. Sie motivieren die arbeitslosen Menschen dazu, auf freiwilliger Basis an speziell auf sie ausgerichteten Angeboten der Gesundheitsförderung und Prävention teilzunehmen. Berücksichtigt werden dabei auch die unterschiedlichen Hintergründe und Lebenslagen arbeitsloser Menschen. So können je nach Bedarf Angebote speziell für beispielsweise (Allein-)Erziehende, über 50-Jährige oder Menschen mit Migrationshintergrund ausgerichtet werden.

Am Jobcenter-Standort Eckernförde beispielsweise lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Kurs „Aktiv zum Ziel“, mit welchen Schritten sie ihr persönliches Ziel erreichen können. In mehreren Kurstreffen gehen sie in der Gruppe unter anderem diesen Fragestellungen nach: Was brauche ich, damit es mir gut geht? Welche Ziele sind realistisch? Wo will ich hin? Was hemmt mich? Was sind die ersten Schritte? Was kann ich wirklich ändern? Vier Kurse fanden dort seit November 2017 statt, weitere sind geplant. Die bislang 34 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zwischen 35 und 55 Jahre alt. Die Kursleitung vermittelt Methoden, wie die Teilnehmenden persönliche Hindernisse selbst überwinden können.

Der Gesetzgeber hat einen Schwerpunkt auf die lebensweltbezogene Prävention gelegt.

Das Ziel des Kurses ist nicht vorrangig die Arbeitsaufnahme, sondern das Erleben von Selbstwirksamkeit und durch Verbesserung des Wohlbefindens eine Arbeitsfähigkeit zu erreichen. In dem Kurs bestimmen die Teilnehmenden die Inhalte selbst – je nach dem, was sie verändern möchten. Dazu kann das Thema Ernährung gehören, es kann auch mehr Bewegung sein oder die Erkenntnis, was ihnen wirklich wichtig ist. Sie tauschen sich aus und coachen sich gegenseitig. Ob sie ihre Ernährung verändern, ein Selbstbehauptungstraining oder ein Praktikum absolvieren: Die Teilnehmenden berichten von ganz unterschiedlichen Veränderungen.

Nachhaltige Strukturen schaffen.

Das Modellprojekt zur Verzahnung von Arbeits- und Gesundheitsförderung durchlief zwei Phasen. Im Jahr 2014 kooperierten die GKV und die BA an sechs Standorten. Seit 2016 wird das Modellprojekt im Rahmen des GKV-Bündnisses für Gesundheit, einer Initiative der gesetzlichen Krankenkassen, gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Landkreistag umgesetzt. Basierend auf den Ergebnissen einer Projektevaluation erfolgte eine inhaltliche Weiterentwicklung und Ausweitung der Standorte. Aktuell läuft  das Projekt deutschlandweit an 129 Jobcentern und Agenturen für Arbeit/JC-Standorten in allen 16 Bundesländern.

Im Projekt werden die Arbeitsförderung der Jobcenter und Agenturen für Arbeit mit den Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention der Krankenkassen sowie weiteren kommunalen Angeboten verknüpft. Dazu zählen unter anderem Angebote von (Sport-)Vereinen, Wohlfahrtsverbänden, Selbsthilfe und Familienzentren. In einem Steuerungsgremium vor Ort planen die Partner gemeinsam die Aktivitäten auf Basis einer Bedarfsanalyse. Mithilfe der Vernetzung ist es möglich, nachhaltige kommunale Strukturen zu schaffen, in die die Angebote der Jobcenter beziehungsweise Arbeitsagenturen und Krankenkassen eingebunden sind. 2018 und 2019 erfolgt eine Evaluation des Modellprojekts. Der Fokus liegt dabei neben persönlichen Faktoren insbesondere auf der Erhebung kommunaler Angebots- und Vernetzungsstukturen.

Erste Ergebnisse der Begleitevaluation zeigen, dass das Angebot sowohl in den Jobcentern und Arbeitsagenturen als auch von den arbeitslosen Menschen gut angenommen wird. Bislang haben die Projektpartner rund 11.000 arbeitslose Menschen erreichen können – etwa 4.000 haben an längerfristigen Kursen teilgenommen. Weitere 104 Arbeitsagenturen und Jobcenter zeigen bundesweit Interesse, in dem Gesundheitsprojekt mitzuarbeiten. Voraussichtlich bis zum Sommer 2019 kann die Hälfte von ihnen aufgenommen werden, die weiteren sollen Anfang 2020 folgen.

Finanzierung nach dem Gesetz.

Die GKV-seitige Finanzierung des Projektes erfolgt nach Vorgaben des Paragrafen 20a Absatz 2 Sozialgesetzbuch V. Insgesamt gaben die Krankenkassen im Rahmen des GKV-Bündnisses für Gesundheit bisher für die 129 Projektstandorte knapp fünf Millionen Euro aus. Auf Basis der Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Begleitforschung muss über das zukünftige Vorgehen diskutiert werden.

Weitere Informationen: GKV-Bündnis für Gesundheit

Nicole Wacker, MPH, ist Referentin für Prävention im AOK-Bundesverband.
Kerstin Berszuck ist Spezialistin für Prävention und Psychosoziale Gesundheit bei der AOK NordWest.
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