Krankheitsschutz

Kräfte bei Impfstoffen gebündelt

Ziehen an einem Strang: 15 EU-Staaten haben den gemeinsamen Einkauf von Pandemie-Impfstoffen beschlossen. Es geht um sichere Versorgung und um eine gerechte Verteilung von Medikamenten. Von Thomas Rottschäfer

Vor zehn Jahren

beherrschte monatelang ein Kürzel fast weltweit die Schlagzeilen: H1N1 – die Fachbezeichnung für einen neuen Influenza-A-Virus. Anders als bei der bereits in den USA häufiger aufge­tretenen „Schweinegrippe“ wurde die aggressive Virusvariante per Tröpfchen­infektion auch von Mensch zu Mensch übertragen. Im April 2009 wurde die Erkrankung erstmals in Deutschland registriert. Im Verlauf gab es nach Zahlen der EU-Kommission europaweit rund 18.000 Todesfälle.

Im Juni 2009 erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Erkrankungswelle zur Pandemie und löste damit auch in Europa einen Wettlauf um die medizinische Gegenwehr aus. Der Schutz der Bevölkerung entwickelte sich nicht zuletzt zu einer Kostenfrage. „Vor allem kleine EU-Staaten hatten Probleme, sich rasch genug ausreichende Mengen an Impfstoff zu beschaffen und mussten sich auf ungünstige Vertragsbedingungen einlassen“, erinnert sich Evert Jan van Lente, Vertreter der AOK in Brüssel.

Reserven für den Notfall.

2009 ging es vor allem um die Grippemittel Tamiflu des Pharmaherstellers Roche und Re­lenza des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline. Bereits nach dem Auftreten des Vogelgrippe-Virus H5N1 vier Jahre zuvor hatte die WHO die Staaten dazu auf­gefordert, Notfallvorräte anzulegen. Allein 2009 erzielte Roche mit dem unter Arzneimittelexperten bereits damals umstrittenen Tamiflu weltweit einen Umsatz von 2,12 Milliarden Euro. In Deutschland haben Bund und Länder nach Recherchen der Organisation Transparency International zwischen 2005 und 2009 Grippemittel im Wert von rund 330 Millionen Euro eingelagert.

Vertrag mit Hersteller geschlossen.

Die befürchtete Pandemie blieb aus. „Die EU-Gesundheitsminister haben aber bereits 2010 beschlossen, ein gemein­sames Beschaffungsverfahren für Pandemie-Impfstoffe zu entwickeln und sich nicht mehr von der Pharmaindustrie gegeneinander ausspielen zu lassen“, erläutert Europaexperte Evert Jan van Lente. Im Dezember 2014 war die Vereinbarung unterschriftsreif. Jetzt haben 15 EU-Länder die Absichtserklärung erstmals konkretisiert. Der am 28. März mit dem Pharmaunternehmen Seqirus geschlossene Vertrag sieht den gemein­samen Einkauf von Impfstoffen vor. Unterzeichnet haben das Rahmenabkommen neben Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden auch Estland, Griechenland, Irland, Kroatien, Luxemburg, Malta, Portugal, die Slo­wakei, Slowenien, Spanien und Zypern. Weitere Länder sind aufgerufen, sich anzuschließen.

2013 hat die EU den Rahmen für das Krisenmanagement bei grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren geschaffen. Nationale Behörden müssen die EU-Kommission innerhalb von 24 Stunden nach Entdeckung einer schweren Gefahr über ein vertrauliches Frühwarn- und Reaktionssystem informieren. Über das Computersystem werden geeignete Maßnahmen koordiniert. Neben Krankheiten geht es auch um Gesundheitsgefahren durch Chemieunfälle, Umweltkatastrophen oder vorsätzliche Handlungen. Die Bereitschafts- und Reaktionsplanung wird regelmäßig geprobt.


 Weitere Informationen zum Krisenmanagement

„Ziel ist es, einen gerechteren Zugang zu bestimmten medizinischen Gegenmaßnahmen und eine bessere Versorgungssicherheit mit ausgewogener Preisgestaltung für die teilnehmenden Länder zu gewährleisten“, heißt es in der Mit­teilung der EU-Kommission. Die Vertragsbedingungen gewährleisten laut Kommission zunächst für die Vertragslaufzeit von bis zu sechs Jahren den Bezug eines vereinbarten Teils der Seqirus-Produktionskapazität.

Zeichen der Solidarität.

Sequirus ist 2015 aus der Fusion der Impfstoff-Sparte von Novartis mit dem australischen Pharmakonzern CSL hervorgegangen. Vor­gesehen ist ein zweiter Vertrag mit einem anderen Unternehmen, um bei Bedarf über ausreichend Impfstoff zu verfügen. Nach Darstellung des scheidenden EU-Gesundheitskommissars Vytenis An­driukaitis illustriert das Abkommen „ein hohes Maß an Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, die sich bereit erklären, im Falle einer Influenza-Pandemie begrenzt verfügbare Grippeimpfstoffe unter sich aufzuteilen“.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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