Digitalisierung

Zuckerbrot und Peitsche

Gesundheitsminister Spahn legt einen Gesetzesplan vor, mit dem er Medizin und Pflege schneller digitalisieren will. Die AOK begrüßt das Vorhaben, sieht aber einige Punkte kritisch. Von Thomas Hommel

Die Reformschmiede im Bundesgesundheitsministerium

arbeitet weiter auf Hochtouren. Jüngstes Vorhaben von Minister Jens Spahn: das Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG). Dem Gesetzentwurf zufolge sollen Ärzte ihren Patienten künftig digitale Gesundheitsanwendungen verschreiben dürfen. Dazu gehören etwa digitale Tagebücher für Menschen mit Diabetes oder Apps für Bluthochdruck-Patienten.

Versicherte sollen zudem ihre Daten in absehbarer Zeit in einer elektronischen Patientenakte (ePA) speichern und leichter telemedizinische Angebote wie Videosprechstunden nutzen können. Ärzten soll das Anlegen, Verwalten sowie Speichern der Gesundheitsdaten in der Akte vergütet werden.

E-Akte spätestens ab 2021.

Das seit diesem Mai geltende Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) sieht bereits vor, dass die Kassen spätestens 2021 eine elektronische Patientenakte bereitstellen müssen. Die AOK wird ihren Versicherten eine solche Akte im Rahmen des „Digitalen Gesundheitsnetzwerkes“ anbieten.

Die Gesellschaft für Telematik (gematik) soll nun mit dem Digital-Gesetz verpflichtet werden, bis Ende März 2021 die technischen Voraussetzungen zu schaffen, damit der Impfausweis, der Mutterpass, das Untersuchungsheft für Kinder sowie das Zahn-Bonusheft zusätzliche Bestandteile der elektronischen Patientenakte werden.

Fristen für TI-Anschluss.

Damit die Digitalisierung zügig erfolgt, werden den etwa 2.000 Kliniken und rund 20.000 Apotheken Fristen gesetzt, sich an die sogenannte Telematikinfrastruktur (TI) anzubinden. Erstere sollen bis März 2021 an das Gesundheitsdatennetz angeschlossen sein, letztere bis März 2020. Versäumen sie das, müssen sie Abschläge bei der Vergütung hinnehmen.

Für Digitalisierungs-Muffel unter Vertragsärzten werden die Sanktionen verschärft.

Für Digitalisierungs-Muffel unter Vertragsärzten werden die Sanktionen verschärft. Bereits ab Juli 2019 droht Praxen, die den Anschluss verweigern, eine Kürzung der Honorare um ein Prozent. Ab März 2020 soll der Abschlag auf 2,5 Prozent klettern. Weitere Leistungserbringer wie Pflegeheime oder Rehakliniken erhalten die Möglichkeit, freiwillig an der Telematikinfrastruktur teilzunehmen.

Spahn betonte, Ziel des Gesetz sei es, den digitalen Wandel „zu gestalten und ihn nicht zu erleiden“. Mit dem Gesetz werde ein wichtiger Schritt unternommen, um die Versorgung „besser und digitaler zu gestalten“ und die Arbeit von Ärzten, Apothekern und anderen Leistungserbringern „einfacher zu machen“. Patienten müssten sich darauf verlassen können, dass digitale Anwendungen „schnell, aber auch sicher“ in die Versorgung kämen.

AOK sieht Licht und Schatten.

Der Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, nannte die Pläne einen „Fortschritt bei der Digitalisierung“. Das Gesetz habe „das Zeug dazu, die digitalen Innovationen im Gesundheitswesen zu fördern und die Vernetzung der Akteure voranzubringen“.

Begrüßenswert seien vor allem die Pilotprojekte zu elektronischen Verordnungen (E-Rezepte) und die Ergänzung der elektronischen Patientenakte um weitere Anwendungen. „Diese Ergänzungen bieten einen echten Mehrwert für unsere Versicherten und entsprechen der Philosophie, die die AOK mit ihrem Digitalen Gesundheitsnetzwerk verfolgt“, sagte Litsch. Für die zusätzlichen Anwendungen habe die Gesundheitskasse bereits regionale Piloten aufgelegt. „Auf denen kann man aufbauen."

Geld für jeden Klick?

Überfällig sei der im Gesetz vorgesehene Anspruch der Versicherten, dass ihre Daten von behandelnden Ärzten in die elektronische Patientenakte eingetragen werden, so Litsch. Allerdings müsse die Vergütung dieser Prozesse überprüft werden. „Die Logik der Papierwelt kann nicht einfach in die digitale Welt übertragen werden. Nicht jeder Klick sollte bezahlt werden. Pauschale Lösungen sind hier zielführender.“

Als „fragwürdig“ stuft die AOK das geplante System der Preisbildung bei den Gesundheits-Apps ein, die von den Ärzten verschrieben werden können. Den Plänen zufolge sollen diese zunächst ein Jahr lang von den Kassen erstattet werden, bevor der Preis zwischen Anbietern und GKV-Spitzenverband ausgehandelt wird. Diese Systematik habe schon im Zuge des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) zu überhöhten Preisen bei neuen Medikamenten geführt, warnte Litsch.

Digitalisierung ist kein Allheilmittel.

Lob und Kritik an den Gesetzesplänen kam auch von Seiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Die Ärzte stünden der Digitalisierung „grundsätzlich offen und positiv gegenüber“, sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen.

Allerdings sei Digitalisierung per se kein Allheilmittel, so Gassen. Sie müsse die Arbeit der Praxen erleichtern. Der Einsatz von Apps in der Versorgung könne sinnvoll sein. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass sich der einzelne Arzt sich mit einer Flut verschiedener Apps beschäftigen und genau wissen müsse, „welche Krankenkasse welche Anwendung erstattet“. Außerdem sollte aus Sicht der KBV eine angemessene und vor allem effiziente Nutzenbewertung der Apps vorgeschaltet sein.

Grundsätzlich seien die geplanten Neuregelungen „unbürokratisch und attraktiv“ auszugestalten, forderte Gassen. Akzeptanz unter den Ärzten gebe es nur, wenn das Gesetz zu spürbaren Verbesserungen im Praxisalltag und in der Versorgung führe. Schärfere Sanktionen und zusätzlicher Zwang seien wenig hilfreich.

Thomas Hommel ist Chefreporter der G+G.
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