Neues aus der Uni

„Wir brauchen eine evidenzbasierte und nutzerorientierte Versorgungsgestaltung“

In der Rubrik „Neues aus der Uni“ stellt G+G-Digital Institute und Lehrstühle vor. Dieses Mal mit drei Fragen an Prof. Dr. PH Christoph Dockweiler vom neuen Centre for ePublic Health Research an der Universität Bielefeld, das im Mai 2019 seine Arbeit aufgenommen hat.

Herr Professor Dockweiler, was ist derzeit Ihre wichtigste wissenschaftliche Fragestellung?

Christoph Dockweiler: Aufgrund ihrer Charakteristik tangieren technologische Innovationen in vielfältiger Weise unsere individuellen Lebensstile und Lebenswelten bis hin zur Begründung digitaler Settings, die einen für sich stabilen, funktionalen Sozialzusammenhang darstellen. Sie erweitern, im positivistischen Sinne, die Handlungsoptionen der Gesellschaft zur Schaffung von Bedingungen, in denen Menschen gesund leben können. Gleichzeitig bedürfen sie einer kritischen Reflexion vor dem Hintergrund ihrer Wirkung auf gesundheitsrelevantes Verhalten und die Lebensräume, in denen Gesundheit erhalten und gefördert sowie Krankheitsversorgung organisiert wird. Dies ist der Kontext, in dem wir am Centre for ePublic Health Research (CePHR) an der Bielefelder Fakultät für Gesundheitswissenschaften forschen und lehren. Die Schwerpunkte unserer Arbeit liegen dabei im Bereich der Versorgungs- und Implementationsforschung unter besonderer Berücksichtigung der Nutzerorientierung von digitalen Gesundheitstechnologien. Dabei werden ethische Aspekte ebenso in den Blick genommen wie auch die (Weiter-)Entwicklung und der Transfer von partizipativen Forschungsmethoden und Theorien zur Diffusion von digitalen Gesundheitstechnologien.

Portrait Christoph Dockweiler

Zur Person

Prof. Dr. PH Christoph Dockweiler ist seit 2018 Junior-Professor für Electronic Public Health und Leiter des Centre for ePublic Health Research am Fachbereich Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Zuvor war er an der dortigen School of Public Health als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter für den Bereich "eHealth und Telemedizin" tätig.

Wie fördern Sie an Ihrem Institut die Kooperation wissenschaftlicher Disziplinen und die Netzwerkbildung?

Dockweiler: Electronic Public Health stellt nicht nur das Individuum in den Fokus der Analysen und Handlungen, sondern die Gesamtpolitik einer Gesellschaft in Bezug auf Fragen der Digitalisierung und ihrer Auswirkungen auf Gesundheit. Dies ist eine Herausforderung, die nicht monodisziplinär gelöst werden kann. Für unsere Arbeit ist jedoch nicht nur die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Disziplinen wie der Informatik, der Philosophie oder Soziologie notwendig. Ebenso ist die Forschung am CePHR durch Transdisziplinarität charakterisiert, wobei „Trans“ für die Überschreitung von Grenzen zwischen Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Teilsystemen steht. Und so fördern wir durch unterschiedliche methodische Formate den Austausch nicht nur im Verlauf der Forschungsprojekte, sondern auch davor und danach.

Ist die Politik gut beraten, wenn sie auf die Wissenschaft hört?

Dockweiler: An die Wissenschaft wird zunehmend die gesellschaftliche Anforderung gestellt, den politischen Akteuren handlungsrelevantes Wissen bereitzustellen und so an der Lösung direkter, lebensweltbezogener Probleme zu partizipieren. Eine wesentliche Aufgabe von Public Health ist es, Ergebnisse der Grundlagenforschung und daraus resultierende wissenschaftlich-technische Entwicklungen unabhängig von wirtschaftlichen Interessen kritisch auf ihre Anwendbarkeit, Wirkungen und Nebenwirkungen zu prüfen und politische Prozesse anzuregen. Wir brauchen eine evidenzbasierte und nutzerorientierte Versorgungsgestaltung, die insbesondere die Bedürfnisse und Bedarfe der Patientinnen und Patienten in einem noch größeren Maße als bisher berücksichtigt. Hierfür muss es uns immer wieder gelingen, inter- und transdisziplinäre Forschungsprozesse zu initiieren, die Partizipation der Betroffenengruppen innerhalb von Forschung und Entwicklung zur digitalen Gesundheit zu gestalten und letztendlich den Transfer der Forschungsergebnisse so aufzubereiten, dass dessen gesellschaftliche Wirkung über die reine Legitimation politischer Entscheidungen hinausgeht.

Silke Heller-Jung führte das Interview. Sie hat in Köln ein Redaktionsbüro für Gesundheitsthemen.
Bildnachweis: Dr. Anne Exner/Universität Bielefeld, Foto Startseite: iStock/uschools