Heimbewertung

Neuer Maßstab für die Pflegequalität

Der Pflege-TÜV steht seit Jahren in der Kritik. Ein neues System zur Bewertung stationärer Einrichtungen löst nun die Pflegenoten ab. Doch auch damit können Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nur schwer erkennen, welches Heim gute Arbeit leistet, befürchten Dr. Antje Schwinger und Susann Behrendt.

Wer für sich oder seinen Angehörigen einen Platz im Pflegeheim sucht, wünscht sich verständliche und zuverlässige Informationen über die Qualität der Einrichtungen. Um diese zu gewinnen, hat der Gesetzgeber 2008 den sogenannten Pflege-TÜV gestartet. Der allerdings rief immer wieder Kritiker auf den Plan. Denn Heime können beispielsweise ein gehäuftes Auftreten von Stürzen oder Druckgeschwüren mit einem guten Speiseplan ausgleichen. Im Ergebnis erhält fast jede Einrichtung die Note „sehr gut“. Doch wenn alle eine Traumnote erzielen, ist ein Vergleich der tatsächlichen Leistungen unmöglich. Deshalb stellen die Beteiligten ab November 2019 auf ein neues System für die Qualitätsbewertung der stationären Pflegeeinrichtungen um. Es misst die Pflegeergebnisse anhand von Indikatoren und liefert Menschen auf der Suche nach einem Heimplatz zahlreiche Detail-Informationen.

Das alte System zeigt Schwächen.

Die Pflegeversicherung hatte wegen des offenen Marktzugangs für Leistungserbringer von Anfang an eine Qualitätssicherung vorgesehen. Entsprechende Vereinbarungen enthielten Vorgaben für das interne Qualitätsmanagement und die Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) sowie des Prüfdienstes der privaten Krankenversicherung (PKV). Seit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz (2008) absolvieren alle Heime diese Prüfungen jährlich. Die Ergebnisse fließen in die Pflege-Transparenzberichte für jede Einrichtung ein. Sie sind im Internet frei zugänglich und enthalten auch die Zusammenführung zu Schulnoten, was den Begriff Pflege-TÜV für das System prägte. Das damals entwickelte Verfahren zeigt jedoch Schwächen, beispielsweise hinsichtlich der Kriterien für eine Einschätzung der Pflegequalität, der Bewertungssystematik, der Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse für die Nutzer sowie der Fähigkeit des Systems, zwischen Einrichtungen zu unterscheiden.

Als Reaktion darauf ebnete der Gesetzgeber seit 2012 schrittweise den Weg zu einem neuen Verfahren. Der wesentliche Unterschied zum bisherigen System: Es berücksichtigt neben Struktur- und Prozess- vermehrt Ergebnisinformationen. Gestützt auf Eigenerhebungen ermitteln die Pflegeeinrichtungen fortan die Ausprägung bestimmter Qualitätsindikatoren. Die fortgesetzte externe Prüfung des MDK beziehungsweise der PKV-Prüfdienste ergänzt diese Qualitätserfassung der Heime und kontrolliert sie stichprobenartig. Internes Qualitätsmanagement und die externe Qualitätsberichterstattung sollen so enger miteinander verknüpft werden.

Übergangszeit von knapp einem Jahr.

Im September 2018 nahm der für die Weiterentwicklung der Qualitätssicherung in der Pflegeversicherung zuständige Qualitätsausschuss das zentrale Gutachten der Universität Bielefeld und des aQua-Instituts in Göttingen für die Ausgestaltung des neuen Systems ab. Aufsetzend hierauf beschlossen der Qualitätsausschuss beziehungsweise der GKV-Spitzenverband im November 2018 sowie im März 2019 die konkreten Regelungen. Das neue System der Qualitätsprüfung wird mit einer Übergangszeit von knapp einem Jahr implementiert. Bis September 2019 errichten die Beteiligten eine neue Datenstelle. Ab Oktober 2019 folgen Testerhebungen der Pflegeheime zu den Indikatoren. Der offizielle Start des neuen Qualitätsbewertungssystems und die Veröffentlichung von Berichten sind ab Juli 2020 vorgesehen. Der MDK prüft bereits ab 1. November 2019 nach der neuen Systematik.

Indikatoren als Instrument der Qualitätsmessung.

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen ebenso wie die interessierte Öffentlichkeit erhalten künftig drei Arten von Informationen: die sogenannten Indikatoren, die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen des MDK sowie strukturelle Einrichtungsinformationen (siehe Kasten: „Bausteine der neuen Qualitätsdarstellung“). Die Pflegekassen sind verpflichtet, diese Informationen verbrauchergerecht sowohl im Internet als auch in anderer Form zur Verfügung zu stellen.

Das zentrale Novum der neuen Qualitätsmessung und -darstellung sind die gegenwärtig zehn Qualitätsindikatoren. Für ihre Ermittlung sind die Einrichtungen verpflichtet, zweimal jährlich anhand eines vorgegebenen Erhebungsbogens Informationen über alle Bewohner zu erfassen. Sechs der Indikatoren beziehen sich auf die Ergebnisqualität im engeren Sinne. Sie drücken aus, wie häufig ein erwünschtes Ereignis, wie beispielsweise der Erhalt der Mobilität, oder ein unerwünschtes Ereignis, wie beispielsweise die Entstehung von Druckgeschwüren in der Einrichtung eingetreten ist. Die Indikatoren verstehen sich als Instrument, um das Ergebnis der pflegerischen Versorgung am Bewohner zu messen. Fünf der Indikatoren differenzieren zwischen Bewohnergruppen mit und ohne hohes Risiko für das Ereignis. Das soll dem fairen Vergleich der Einrichtungen miteinander dienen und verhindern, dass Heime mit beispielsweise vielen stark mobilitätseingeschränkten Pflegebedürftigen bei einem Qualitätsvergleich schlechtere Ausgangschancen haben. Eine eingeschränkte Mobilität gehört zu den Hauptrisiken für Druckgeschwüre.

Der Medizinische Dienst prüft die Pflegequalität künftig auf Basis von Fach­gesprächen und der Dokumentation.

Neben den sechs Indikatoren, die im engeren Sinne mit guter beziehungsweise schlechter Pflege assoziierte Ergebnisse aufzeigen, gibt es vier weitere, die qualitätsrelevante Struktur- beziehungsweise Prozessmerkmale abbilden. Ein Beispiel hierfür ist der Anteil von kognitiv eingeschränkten Heimbewohnern, bei denen Gurtfixierungen zum Einsatz kommen.

Heime unterliegen einem Ranking.

Für die Verbraucher aufbereitet werden jedoch nicht die isolierten Ergebnisse des jeweiligen Heimes, also zum Beispiel der Anteil Bewohner, bei denen ein Druckgeschwür (Dekubitus) entstanden ist, sondern wie sich das Heim im Vergleich zu den anderen darstellt. Für das Beispiel hieße das: Das eine Fünftel der Heime mit den geringsten Anteilen an Bewohnern mit Dekubitus erhielte die Einstufung „Ergebnisqualität liegt weit über dem Durchschnitt“, jenes Fünftel mit dem höchsten Anteil die Einstufung „Ergebnisqualität weit unter dem Durchschnitt“. Die übrigen Heime verteilen sich basierend auf den Dekubitusraten auf die übrigen drei Stufen der fünfstufigen Skala. Auf eine normative Grenze zur Einteilung in gute und schlechte Pflegeheime verzichtet das neue Bewertungsverfahren damit bewusst. Gleichwohl ist ein handwerklicher Fehler unterlaufen: Die Einteilung in die jeweiligen Fünftel erfolgt erst einmal auf den Ergebnissen eines Modellprojekts. Ein Verfahren, um dies ab 2020 auf die Werte aus dem neuen System umzustellen, fehlt jedoch.

Um die Indikatoren auch für das interne Qualitätsmanagement nutzen zu können, liefern die Pflegeheime die Daten in elektronischer Form an eine eigens dafür gegründete Datenauswertungsstelle. Die Plausibilität der Angaben wird mit statistischen Verfahren festgestellt. Der MDK prüft sie zudem stichprobenartig im Rahmen der Begehungen vor Ort.

Beratungsorientierter Ansatz.

Neben den neuen Indikatoren sind auch die Ergebnisse der MDK-Prüfung weiter fester Bestandteil der Qualitätsdarstellung. Die MDK-Prüfung soll dabei durch einen beratungsorientierten Ansatz einen neuen Charakter bekommen. Gespräche des MDK mit Fachkräften und der Heimleitung sollen ermöglichen, bei Auffälligkeiten beziehungsweise Qualitätsdefiziten Lösungen aufzeigen. Das neue Konzept sieht vor, der häufig kritisierten starken Ausrichtung auf Dokumentenprüfungen durch Fachgespräche als gleichrangige Informationsquelle zu begegnen.

Indikatoren: Von der Pflegeeinrichtung selbst erfasst
(bei 1., 2., 4., 5. und 6. Unterscheidung nach zwei Risikogruppen)

1.    Erhaltene Mobilität
2.    Erhaltene Selbstständigkeit bei alltäglichen Verrichtungen (zum Beispiel Körperpflege)
3.    Erhaltene Selbstständigkeit bei der Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
4.    Dekubitusentstehung
5.    Schwerwiegende Sturzfolgen
6.    Unbeabsichtigter Gewichtsverlust
7.    Durchführung eines Integrationsgesprächs
8.    Anwendung von Gurten zur Fixierung von Bewohnern beziehungsweise Bewohnerinnen
9.    Anwendung von Bettseitenteilen
10.    Aktualität der Schmerzeinschätzung

Qualitätsaspekte: Vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen anhand einer Stichprobe von neun Bewohnern geprüft

1.1.    Unterstützung im Bereich der Mobilität
1.2    Unterstützung beim Essen und Trinken
1.3    Unterstützung bei Kontinenzverlust, Kontinenzförderung
1.4    Unterstützung bei der Körperpflege

2.1    Unterstützung bei der Medikamenteneinnahme
2.2    Schmerzmanagement
2.3    Wundversorgung
2.4    Unterstützung bei besonderem medizinisch-pflegerischem Bedarf

3.1    Unterstützung bei Beeinträchtigung der Sinneswahrnehmung (zum Beispiel Sehen, Hören)
3.2    Unterstützung bei der Strukturierung des Tages, Beschäftigung und Kommunikation
3.3    Nächtliche Versorgung

4.1    Unterstützung in der Eingewöhnungsphase nach dem Einzug
4.2    Überleitung bei Krankenhausaufenthalt
4.3    Unterstützung von Bewohnern beziehungsweise Bewohnerinnen mit herausforderndem Verhalten
4.4    Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen

5.    Begleitung sterbender Heimbewohner und ihrer Angehörigen

Quelle: eigene Darstellung/WIdO

Die MDK-Prüfung bezieht sich auf insgesamt sechs Qualitätsbereiche, thematisch unterteilt in die Beurteilung von bewohnerbezogener Versorgung und einrichtungsübergreifenden Aspekten. Jeder Bereich umfasst mehrere Qualitätsaspekte. Die Prüfer erfassen die Qualitätsaspekte auf Basis von Leitfragen und unterschiedlichen Quellen. Sie beziehen beispielsweise Informationen aus Gesprächen mit den Bewohnern und deren Inaugenscheinnahme sowie aus dem Fachgespräch mit den Mitarbeitern der Einrichtung ein. Sie berücksichtigen zudem weiterhin Informationen aus der Pflegedokumentation, der Dokumentation im internen Qualitätsmanagement sowie aus einrichtungsinternen Konzepten oder Verfahrensanweisungen. Insgesamt machen sich die MDK-Experten während der Prüfung vor Ort ein Bild davon, wie es neun nach einem vorgegebenen Verfahren zufällig ausgewählten Bewohnerinnen und Bewohnern geht. Bei diesen neun in Augenschein genommenen Bewohnern ist durch den Bezug auf die durch die Einrichtung selbst erfassten Merkmale eine Stichprobenprüfung der Eigenangabe der Heime gewährleistet.

Einschätzung aus fachlicher Perspektive.

Während bei den Indikatoren die Ergebnisse im Sinne einer vergleichenden Darstellung präsentiert werden, treffen die Prüfer für die neun begutachteten Bewohner je Qualitätsaspekt eine Einschätzung, ob negative Folgen bereits eingetreten sind (D-Wertung), dass das Risiko hierfür besteht (C-Wertung) oder zwar Auffälligkeiten, jedoch ohne erwartete Risiken oder negative Folgen für den Bewohner vorliegen (B-Wertung). Die Einzelergebnisse für die neun Bewohner werden je Qualitätsaspekt für die Einrichtung zusammengefasst. Ausschlaggebend sind die Anzahl der C- und D-Wertungen: Für jeden Qualitätsaspekt halten die Prüfer folglich fest, ob in dem Heim keine oder geringe, moderate, erhebliche oder schwerwiegende Qualitätsdefizite vorliegen. Anders formuliert: Die Ergebnisse der MDK-Prüfungen sind aus fachlicher Perspektive abgeleitet; die Grenze, ab wann welcher Warnhinweis gegeben wird, setzt der Qualitätsausschuss normativ. Eine Risikoadjustierung erfolgt nicht. Veröffentlicht werden die Ergebnisse für 15 bewohnerbezogene Qualitätsaspekte sowie Informationen über den Umgang mit sterbenden Bewohnern (siehe Kasten: „Details statt Gesamtnote“).

Erstmals Angaben zum Personalschlüssel.

Das neue System sieht zudem vor, Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen eine Vielzahl an strukturellen Informationen über die Pflegeeinrichtung zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen muss die Einrichtung mit Hilfe eines elektronischen Formulars an die Datenstelle übermitteln und mindestens alle sechs Monate aktualisieren. Die Angaben werden jedoch nicht überprüft. In rund 70 Einzelfragen kann die Einrichtung unter anderem Informationen zu Ausstattung, Versorgungsschwerpunkten, Gruppenangeboten, religiösen Angeboten, der Einbeziehung von Angehörigen, Kontakten zum sozialen Umfeld sowie über ärztliche Kooperationsvereinbarungen bereitstellen. Besonders hervorzuheben ist, dass es erstmals auch Angaben zur personellen Ausstattung im Bereich Pflege und Betreuung geben wird – und damit zum mit den Pflegekassen vereinbarten Personalschlüssel und zum real im Heim vorgehaltenen Personal ebenso wie zur Zahl langjährig Beschäftigter in der Einrichtung.

Vielfalt an Informationen.

Den Verbraucherinnen und Verbrauchern wird bald eine Vielfalt an Informationen über Pflegeheime zur Verfügung stehen. Aber verstehen die Betroffenen die Angaben und sind sie in der Lage, Pflegeheime auf dieser Grundlage zu vergleichen? Aus Befragungen beispielsweise des Zentrums für Qualität in der Pflege und der Bertelsmann Stiftung ist bekannt, dass für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen Informationen über die verfügbare Zeit des Personals sowie deren Qualifikationen, der respektvolle Umgang, aber auch Informationen zur Ausstattung des Heims, zur Essens- und Wäscheversorgung wie auch zu weiteren Angeboten zur Teilhabe hochrelevant sind. Insofern ist die Erweiterung der Qualitätsdarstellung um solche Informationen positiv zu bewerten.

Grafik zu den drei Bausteinen der neuen Qualitätsdarstellung: Indikatoren, Ergebnisse der MDK-Prüfung und Einrichtungsinformationen

Die ab Herbst 2019 umzusetzende Qualitätsdarstellung stationärer Pflegeeinrichtungen stützt sich auf drei Bausteine: Erstens erheben die Heime selbst Informationen zu insgesamt zehn Indikatoren. Zweitens prüft der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) die Einrichtungen. Drittens liefern die Einrichtungen Informationen zur Struktur und Personalausstattung. Alle Ergebnisse fließen in öffentlich zugängliche Berichte ein.

Quelle: eigene Darstellung/WIdO

Für die Weiterentwicklung des Systems ist ein Abgleich der dargestellten und der vom Verbraucher nachgefragten Informationen wesentlich. Angesichts der Bedeutung der Einrichtungsmerkmale für die Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen wäre zudem eine Stichprobenprüfung, insbesondere etwa auch der Angaben zum verfügbaren Personal, wünschenswert. Hierbei wäre der Gesetzgeber gefragt, entsprechende Rahmenvorgaben für die Vertragsparteien zu erlassen.

Zweifel an der Verständlichkeit.

Die Verständlichkeit der neuen Qualitätsdarstellung (Ergebnisse der Indikatoren, der Qualitätsprüfungen und der Einrichtungsinformationen) wurde im Zuge der wissenschaftlichen Entwicklung des Verfahrens überprüft. In einem Gruppengespräch sichteten sechs Frauen und Männer im Alter von 63 bis 85 Jahren aus Seniorenvertretungen oder -beiräten in Nordrhein-Westfalen den 22 Seiten umfassenden Beispielbericht über eine fiktive Pflegeeinrichtung. Die Testpersonen beurteilten die Verständlichkeit aller drei Bestandteile der neuen Qualitätsdarstellung positiv. Eine fundierte Überprüfung steht aber noch aus.

Der Gesetzgeber sieht vor, die Umsetzung der entwickelten Verfahren zur Qualitätsmessung und Qualitätsdarstellung wissenschaftlich zu evaluieren. Allerdings ist zunächst nur die Bewertungssystematik für die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen bis März 2021 zu überprüfen. Dies greift zu kurz, denn eine Evaluation sollte auf Basis einer größeren Stichprobe klären, wie die Nutzer die Qualitätsberichte interpretieren – welche Inhalte sie mit den Indikatoren und Qualitätsaspekten verbinden und inwiefern diese den tatsächlich erfassten und geprüften Aspekten entsprechen.

Wichtig wäre außerdem, die Relevanz der Informationen für die Wahl eines Heimes zu ermitteln. Darüber hinaus sollte überprüft werden, ob den Nutzern die unterschiedliche Herkunft der Informationen bewusst ist: Wird deutlich, dass die Informationen zu den Indikatoren auf Eigenerhebungen der Pflegeheime, die Qualitätsaspekte hingegen auf Begehungen des MDK vor Ort fußen? Wie interpretieren die Nutzer die Tatsache, dass die Qualitätsthemen zum Teil sehr ähnlich sind (zum Beispiel „Anwendung von Gurten zur Fixierung von Bewohnern beziehungsweise Bewohnerinnen“ und „Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen“ oder „Aktualität der Schmerzeinschätzung“ und „Schmerzmanagement“)? Wie gehen die Nutzer damit um, wenn Indikatoren und Prüfergebnisse Unterschiedliches ausweisen?

Eine Evaluation sollte klären, ob die Nutzer die Qualitätsberichte interpretieren können.

Zudem bestehen Zweifel daran, ob die Verbraucher erfassen, dass die Indikatoren zu einer vergleichenden Bewertung führen, die MDK-Prüfungen hingegen auf Basis einer Stichprobenprüfung von neun Bewohnern aufzeigen, ob keine bis hin zu schwerwiegende Qualitätsdefizite vorliegen. Für die Frage, ob das neue System die Qualität für die Verbraucher „vergleichbar“ darstellt, wäre dies aber Voraussetzung.

Auf Zusammenfassung der Bewertungen verzichtet.

Die neue Qualitätsdarstellung verzichtet ferner auf zusammengefasste Bewertungen wie sie bisher die Pflegenoten lieferten. Den Verbrauchern stehen die zehn Indikatoren (aufgrund der Unterteilung in Risikogruppen sind es sogar 15) sowie die 15 Qualitätsaspekte (zuzüglich der Informationen zum Umgang mit Sterbenden) zur Verfügung.

Ferner finden sie in der neuen Qualitätsdarstellung eine weitergehende Beschreibung und Informationen unterhalb dieser Aggregationsebene. Eine Zusammenfassung der Qualitätsaussagen gibt es hingegen nicht. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Gesamtnote im alten Bewertungssystem im Zentrum der Kritik stand. Zusammenfassungen von Qualitätsergebnissen bergen methodische Fallstricke und berücksichtigen gegebenenfalls die individuellen Konsumentenpräferenzen und Prioritäten für bestimmte Qualitätsaspekte nur unzureichend. Dennoch ist aus Studien bekannt, dass die Verbraucher zusammengefasste Qualitätsaussagen insbesondere für Vorsortierungen nutzen. Sie reduzieren aus Sicht der Nutzer die Komplexität und erleichtern Entscheidungen. Die Möglichkeit einer zusammenfassenden Bewertung sollte insofern zwingend Bestandteil der Evaluation sein.

Risikomerkmale statistisch bereinigen.

Es schließen sich weitere methodische Fragen an. Dies betrifft zum einen die Berücksichtigung der unterschiedlichen Bewohnerstruktur der Heime bei den Indikatoren. Für einen fairen Vergleich von Einrichtungen ist eine solche Risikoadjustierung zentral. Das neue System bildet hierzu – wie oben beschrieben – in einigen Qualitätsbereichen zwei Risikogruppen (Stratifizierung).

  • Sonntag, P. T.; Baer, N. R.; Schenk, L. (2017): Weiterentwicklung der Qualitätsberichterstattung in der Langzeitpflege – eine quantitative Versichertenbefragung. Abschlussbericht für das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) und den AOK-Bundesverband.
  • Wingenfeld, K. et al. (2018): Entwicklung der Instrumente und Verfahren für Qualitätsprüfungen nach §§ 114 ff. SGB XI und die Qualitätsdarstellung nach § 115 Abs. 1a SGB XI in der stationären Pflege – Abschlussbericht: Darstellung der Konzeptionen für das neue Prüfverfahren und die Qualitätsdarstellung vom 3. September 2018.
  • Strotbek, J.; Etgeton, S.; Palmowski, S.; Schuhen, A.; Schmuhl, M. (2017): Reformkonzept Verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.
  • Schwinger, A.; Behrendt, S. (2018): Reform der Qualitätsprüfung und -darstellung im Pflegeheim: Stand der Umsetzung und offene Fragen. In GGW 4/2018, S. 23–30: Download

In einer Teststudie zur Praktikabilität der Indikatoren haben Experten bereits vorab empfohlen, auf eine Methode umzustellen, die mehrere Risikomerkmale der Bewohnerschaft statistisch bereinigt. In der Regel liegen den negativen Qualitätsereignissen mehrere nicht durch die Einrichtung beeinflussbare Ursachen (das heißt Risiken) zu Grunde. Entsprechende methodische Optionen sind state of the art und sollten bei der Weiterentwicklung der Indikatoren umgesetzt werden. Voraussetzung hierfür wäre eine Erweiterung der Datengrundlage: Die Einrichtungen müssten in diesem Fall weitere Risikofaktoren dokumentieren. Es bedarf insofern zeitnah einer Stichprobe von Pflegeheimen, die ein erweitertes Datenset für die Weiterentwicklung des Systems erfassen.

Weiterentwicklung institutionalisieren.

Mit der neuen Qualitätsprüfung und -darstellung liegt ein Gesamtkonzept zur Verknüpfung der externen MDK-Prüfung und der neu entwickelten Ergebnisindikatoren auf Basis der Eigendokumentation der Pflegeheime vor. Zudem haben die beteiligten Experten Strukturen zur Datenlieferung und Auswertung geschaffen. Gleichwohl bleiben viele Fragen offen. Sie sind im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Evaluation und darüber hinaus aufzugreifen. Denn auch nach einer Evaluation des neuen Systems müssen die Verfahren der Qualitätssicherung und -darstellung in regelmäßigen Abständen an den medizinisch-pflegefachlichen Fortschritt angepasst werden. Dies erfordert die Definition von Verfahren und Methodensets unter anderem zu Art, Umfang und Themenauswahl der Indikatoren sowie zur kontinuierlichen Anpassung sowohl der Bewertungsrelation der Indikatoren als auch der MDK-Prüfungen.

Möglicherweise wäre es deshalb zielführender, die Weiterentwicklung des Systems auch in institutioneller Form anzugehen, statt ausschließlich auf aus wissenschaftlichen Einzelgutachten resultierende Empfehlungen zu setzen. So ließe sich gewährleisten, dass das neue Bewertungssystem bei der Suche nach einem Heimplatz wirklich hilft.

Antje Schwinger leitet den Forschungsbereich Pflege im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO).
Susann Behrendt beschäftigt sich im WIdO schwerpunktmäßig mit der Qualitätsmessung in der Langzeitpflege.
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