Porträt
Kommentar

Digitale Hängepartie

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens macht Minister Jens Spahn Tempo. Doch sein Elan auf diesem Gebiet stößt unvermeidbar an Grenzen, meint Gregor Waschinski.

Gesundheitsminister Jens Spahn

rühmt sich seiner 18 Gesetze in 18 Monaten. In sich schlüssig scheint das legislative Gesamtwerk allerdings nicht. So will der CDU-Politiker Beitragszahler entlasten, treibt jedoch gleichzeitig die Ausgaben der Krankenkassen in die Höhe. Wenn es aber einen Bereich gibt, in dem Spahn einer klaren Vision folgt, dann ist das die Digitalisierung. Der Minister möchte das deutsche Gesundheitswesen ins digitale Zeitalter befördern. Sein Leitbild: Datengetriebene Medizin und Vernetzung von Patientendaten werden die Versorgung besser und effizienter machen.

Mit der Mentalität eines Silicon-Valley-Gründers stürmt Spahn los. Sein Ansatz erinnert an die Software-Entwicklung, bei der das Produkt Schritt für Schritt optimiert wird. Wichtig ist der Start, ein Update kann man später immer noch aufspielen. Das Problem: Die gesetzliche Krankenversicherung ist kein Start-up. Selbst wenn der Minister es eilig hat, sind die Prozesse zäh. Die Vorgehensweise von Spahn stößt angesichts von mehr als 70 Millionen Versicherten, über hundert Krankenkassen und einer uneinigen gemeinsamen Selbstverwaltung unweigerlich an seine Grenzen.

Die gesetzliche Krankenversicherung ist kein Start-Up.

Das zeigt sich an der elektronischen Patientenakte, die im Mittelpunkt der vernetzten Gesundheitsversorgung stehen soll. Spätestens ab 2021 müssen die Krankenkassen ihren Versicherten eine Digitalakte anbieten. Zwar brachte der Minister Kassen und Ärzteschaft dazu, sich auf die grundlegende Architektur der E-Akte zu einigen. Doch ob dabei auch attraktive Angebote herauskommen, liegt ebenso wenig in seiner Hand wie die Frage, ob alle Ärzte mitziehen und die Akten auch tatsächlich befüllen. Trotz drohender Sanktionen gibt es eine Minderheit von Medizinern, die den Anschluss an das Gesundheitsdatennetz prinzipiell ablehnen.

Wegen Datenschutzbedenken des Justizministeriums musste Spahn Regelungen zur E-Akte aus seinem Digitale-Versorgung-Gesetz ausgliedern. Ob die geforderten abgestuften Zugriffsrechte für Ärzte pünktlich zum anvisierten Start 2021 technisch umgesetzt werden können, gilt in Fachkreisen als unwahrscheinlich. Damit verbunden ist die Frage, ob Patienten bei ihren Gesundheitsdaten einem halbfertigen Produkt vertrauen werden. Ohne die Akzeptanz der Versicherten droht Spahns Digitalisierungsprojekt in der Betaversion hängen zu bleiben.

Gregor Waschinski ist Hauptstadt-Korrespondent beim „Handelsblatt“ aus Düsseldorf.
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