Das Buurtzorg-Modell fördert Kompetenzen von Pflegebedürftigen – wie etwa den Blutdruck selbst zu messen.
Pflegemodell

Viele Hände zu Hilfe holen

Mehr Zeit und Selbstständigkeit für pflegebedürftige Menschen verspricht das Konzept Buurtzorg. Ambulante Pflegedienste erproben das in den Niederlanden etablierte Modell nun auch in Deutschland. Von Stefanie Roloff

Im Jahr 2006 rief

der Krankenpfleger Jos de Blok in den Niederlanden mit „Buurtzorg“ ein ganzheitliches Pflegekonzept ins Leben. Buurtzorg, gesprochen: bürtsorg, übersetzt: Nachbarschaftshilfe, soll den einzelnen Menschen und seine Bedürfnisse wieder mehr in den Mittelpunkt stellen. Mittlerweile sind in den Niederlanden über 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in mehreren hundert Buurtzorg-Teams beschäftigt. Das ambulante Pflegemodell ist zudem über die Landesgrenzen hinausgewachsen.

Eines der derzeit 25 beteiligten Länder ist Deutschland. „Wir haben zurzeit sechs Teams in Nordrhein-Westfalen und Leipzig. Insgesamt sind es etwa 50 Kolleginnen und Kollegen, Tendenz steigend“, berichtet Johannes Technau, Geschäftsführer von Buurtzorg Deutschland. Zudem gebe es eine Menge Anfragen von anderen Pflegediensten. Doch die Umstellung auf das neue Modell sei nicht „mal eben so getan“, so Technau. So müsse zum Beispiel die Pflegedienstleitung Aufgaben abgeben können und dürfen. Auch die Einbindung von Angehörigen und die damit verbundene Kommunikation würden sich verändern. Vorab wird deshalb viel Wert auf Schulungen gelegt.

Umfeld aktiv einbinden.

Die Idee von Buurtzorg: Selbstverwaltete Teams von vier bis zwölf Mitarbeitern versorgen die Pflegebedürftigen in der häuslichen Umgebung. Dabei binden sie deren individuelles Umfeld aktiv ein. Neben der Zusammenarbeit mit dem Hausarzt und anderen Fachleuten vor Ort sind das vor allem Familienmitglieder, Nachbarn, Freunde oder Ehrenamtliche. Leichte pflegerische Tätigkeiten, Einkäufe oder Freizeitaktivitäten könnten problemlos auch an sie abgegeben werden.

„Wenn Sie uns zeigen, wie man Insulin spritzt, können wir das sehr gerne übernehmen“, sagten etwa Angehörige beim Aufnahmegespräch zu Mark Adolph vom Buurtzorg-Team Hörstel, einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt. „So konnten wir die Anfahrt von siebenmal auf einmal wöchentlich reduzieren“, berichtet der Krankenpfleger. Das Netzwerk entlastet aber nicht nur die Pflegekräfte, sondern auch die Angehörigen und hilft die Selbstständigkeit des Patienten zu erhalten. Dabei steht die Bindung im Vordergrund. „Seit der Umstellung genießen wir ein steigendes Vertrauen in uns und ein deutlich verbessertes Verhältnis zu Patienten und Angehörigen“, fasst Mark Adolph zusammen.

Das kommunale Konzept rechnet sich auch für das Gesundheitssystem. Bereits 2012 zeigte eine Studie der KPMG-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in den Niederlanden, dass Buurtzorg zwar höhere Kosten pro Stunde erzeugt, sich durch das aktive Netzwerk vor Ort jedoch die Betreuungszeit minimieren lässt. Hierzulande ist die Finanzierung jedoch noch offen, denn das Modell sieht eine stundenweise Abrechnung vor. „Wir wollen mit Buurtzorg zeigen, dass es möglich ist, mit Herz und Verstand zu pflegen und nicht nur mit Stoppuhr und Laufzettel“, sagt Technau.

Pflegekräfte begeistern.

Ihm geht es darum, Pflegekräfte für ihren Beruf zu begeistern und als Gemeinschaft zu vernetzen, um die Eigenverantwortung zu fördern. Zwar sind die Teams nach wie vor bei einem Pflegedienst beschäftigt, planen ihre Einsätze aber selbstständig mit eigenem Budget und entscheiden darüber, wer Teil ihres Teams wird. Bei Verwaltungsaufgaben wie der Rechnungsstellung unterstützt sie der Pflegedienst. Das Konzept scheint aufzugehen: „Es ist nicht mehr nur die Arbeit am Patienten, die mir Freude bereitet, sondern auch die Arbeit selbst“, sagt Adolph.

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Stefanie Roloff ist freie Journalistin in Berlin.
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