Krankenhausvergütung

Beatmungszeit nicht abrechenbar

Krankenhäuser dürfen die Zeiten der Atemunterstützung eines Neugeborenen oder Säuglings mittels High-Flow-Nasenkanüle nicht als Stunden maschineller Beatmung kodieren. Die maßgebliche Kodierrichtlinie lässt dies nicht zu. Das hat das Bundessozialgericht entschieden. Von Anja Mertens

Urteil vom 30. Juli 2019
– B 1 KR 11/19 R –

Bundessozialgericht

Die Beatmung von Neugeborenen

oder Säuglingen ist ein Dauerbrenner bei der Abrechnung stationärer Leistungen. Zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern ist seit Langem umstritten, ob bei einer High-Flow-Therapie mit Nasenkanülen (HFNC) die Beatmungsstunden nach dem geltenden Fallpauschalen­system extra zu vergüten sind oder nicht. Diese Frage hat nun das Bundessozial­gericht (BSG) entschieden.

In dem Fall ging es um die stationäre Behandlung eines fünf Monate alten Säuglings. Er lag wegen einer akuten Bronchitis zeitweise auf der Kinder-Intensivstation und erhielt eine HFNC-Beatmung. Bei dieser Methode strömt ein Luft-Sauerstoffgemisch über eine Sonde kontinuierlich in die Nasenlöcher. Das Krankenhaus kodierte hierfür nicht nur die Behandlung der akuten Bronchitis, sondern zudem 66 Stunden maschineller Beatmung, und berechnete insgesamt 8.656,96 Euro. Die Krankenkasse zahlte jedoch lediglich 2.769,25 Euro. Sie vertrat die Auffassung, dass das Krankenhaus die Beatmungsstunden bei der HFNC-Atemunterstützung nicht in Rechnung stellen dürfe.

Maschinelle Beatmung verneint.

Das Krankenhaus klagte gegen die Krankenkasse und forderte von ihr den Differenzbetrag von 5.887,71 Euro nebst Zinsen. Doch das Sozialgericht wies die Klage ab und das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück. Die HFNC-Therapie stelle keine maschinelle Beatmung im Sinne der geltenden Deutschen Kodierrichtlinien dar. Gegen die Entscheidung des LSG legte das Krankenhaus Revision beim BSG ein, hatte aber keinen Erfolg damit. Denn es schloss sich der Auffassung der beiden Vorinstanzen an und wies die Revision zurück.

Die Definition der maschinellen Beatmung unterscheidet nicht nach dem Alter der Patienten, so die Kasseler Richter.

In seiner Begründung führten die obersten Sozialrichter zunächst aus, dass sich die Vergütung stationärer Leistungen nach den vertraglich vereinbarten Fallpauschalen richte, denen die Deutschen Kodierrichtlinien zugrunde lägen (Para­graf 109 Absatz 4 Satz 3 Sozialgesetz­buch V in Verbindung mit Paragraf 7 des Krankenhausentgeltgesetzes und Paragraf 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes). Die zwischen der Deutschen Kranken­hausgesellschaft, dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem Verband der privaten Krankenversicherung auf Bundesebene vereinbarten Normsetzungsverträge wie beispiels­weise der Fallpauschalen-Katalog würden den Anspruch auf Vergütung konkretisieren. Diese könnten die Vertagsparteien auf Bundesebene jährlich anpassen.

Aufgrund der Vereinbarungen der Vertragsparteien auf Bundesebene habe das Krankenhaus keine Beatmungszeit kodieren dürfen. Denn die HFNC-Therapie sei weder eine maschinelle Be­atmung noch wäre sie durch die Kodierrichtlinien einer maschinellen Beatmung gleichgestellt. Auch sei der fünf Monate alte Säugling nicht von einem Beatmungs­gerät entwöhnt worden, weil er im Sinne der Kodierrichtlinie 1001l nicht maschinell beatmet worden sei.

Kodierrichtlinie enthält klare Vorgaben.

Nach der Kodierrichtlinie setze eine maschinelle Beatmung voraus, dass der Patient intubiert oder tracheotomiert ist (nach einem Luftröhrenschnitt Beatmung über eine Kanüle) oder über eine Sauerstoffmaske beatmet wird. Diese Voraussetzungen erfülle die HFNC-Therapie nicht. Vielmehr erhalte der Patient über eine Nasenkanüle einen kontinuierlichen Luftstrom in die Nasen­löcher, der dann in den Nasen-Rachen-Raum geleitet wird. Außerdem würde bei einer maschinellen Beatmung die Maschine Atembewegungen des passiven Patienten erkennen und diese aktiv unterstützen. Bei der HFNC-Therapie fehle eine solche Atemassistenz. Sie unterstütze die Atembewegungen nicht aktiv. Der Patient selbst leiste die Atemarbeit und nicht eine Beatmungsmaschine.

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Auch unterscheide die Definition der maschinellen Beatmung nach der Kodierrichtlinie 1001l nicht, ob – wie im vorliegenden Fall – ein Neugeborenes, ein Säugling, ein Kind, ein Jugendlicher oder ein Erwachsener beatmet wird. Ferner enthalte die Kodierrichtlinie keine Regelung, nach der die Dauer einer HFNC-Beatmung von Neugeborenen und Säuglingen zu berücksichtigen wäre.

Als lernendes System angelegt.

Weiterhin führten die obersten Sozialrichter aus, dass es auch nicht darauf ankomme, ob die HFNC-Atemunterstützung eine für den Patienten schonendere Behandlungsmethode darstelle und inwieweit durch die fehlende Berücksichtigung der Beatmungsdauer Fehlanreize gesetzt werden. Das DRG-basierte Vergütungssystem sei vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes und damit „lernendes“ System angelegt (Paragraf 17b Absatz 2 Satz 1 des Krankenhausfinanzierungs­gesetzes). Würden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen zutage treten, seien in erster Linie der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der Verband der privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft als Vertrags­parner auf Bundesebene gefordert, diese zu beseitigen und die Regelungen entsprechend zu verändern. Diese hätten jedoch im Wissen um die HFNC-Atem­unterstützung bei Neugeborenen und Säuglingen mindestens seit 2011 bewusst ihre Normenverträge nicht geändert. Über diese Entscheidung könne sich die Rechtsprechung nicht hinwegsetzen.

Die obersten Sozialrichter wiesen abschließend noch ausdrücklich darauf hin, dass die Höhe der Pauschalvergütung nicht die Pflicht des Krankenhauses berühre, Neugeborene und Säuglinge nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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