Einwurf

Leben mit einem guten Ende

Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben in Würde, sagt Palliativmediziner Prof. Dr. Lukas Radbruch. Doch dieser letzte Wunsch geht nicht immer in Erfüllung. Besonders auf dem Land gibt es Lücken in der Versorgung am Lebensende.

Porträt von Lukas Radbruch

Wer will das nicht:

bis ins hohe Alter aktiv und fit sein, unabhängig von fremder Hilfe leben und schließlich ohne Angst und Schmerzen sterben? Die Palliativversorgung, die den letzten Teil des Weges im Leben eines Menschen mitgeht, hat in Deutschland in den letzten 20 Jahren große Fortschritte gemacht. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von ambulanten und stationären Diensten, andererseits aber auch noch sehr viel zu tun. In ländlichen Gebieten ist der nächste Hospiz- oder Palliativdienst nur über lange Wege zu erreichen. Vielerorts beschränkt sich die Versorgung vor allem auf Patienten mit Krebserkrankungen, während Menschen mit anderen fortschreitenden Leiden, etwa Lungenerkrankungen, Herzinsuffizienz oder Demenz, außen vor bleiben.

Palliativmediziner wollen die Versorgung für schwer kranke und sterbende Patienten verbessern und ihnen ein Lebensende in Würde ermöglichen. Doch damit bewegen sie sich in einem Spannungsfeld – und in einem Dilemma –, müssen sie doch beidem genügen, der Ethik der Fürsorge und der Ethik der Autonomie. In Würde bis zum Ende leben, das bedeutet für die meisten Menschen, dass sie möglichst schmerzfrei sind. Dass liebevolle Menschen ihnen helfen, wenn sie unter Luftnot, Übelkeit oder Verwirrtheit leiden. Dass sie auch bei psychosozialen Problemen wie Depressionen und Ängsten nicht alleingelassen werden und auch nicht in Glaubenskrisen.

Für ein „gutes Sterben“ ist es erforderlich, vor Beginn einer Behandlung die Ziele des Patienten zu erfragen. Viele Patienten wollen vor allem schnell nach Hause zurückkehren. Sie wollen sich einen klaren Verstand und volle Konzentrationskraft erhalten. Deshalb entscheiden sich viele für eine Therapie, die Schmerzen zwar lindert, sie aber nicht auf Kosten der geistigen Kontrolle vollständig unterdrückt. Über allem steht die freie Selbstbestimmung. Der Arzt muss „Sterben zulassen“, wenn der Patient keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht, zum Beispiel eine künstliche Beatmung.

Die Therapieziele werden nicht nur durch die individuellen Prioritäten und Präferenzen, sondern auch durch den kulturellen Hintergrund der Patienten geprägt. Für die Begleitung und Betreuung von Menschen am Lebensende ist deshalb nicht nur eine ausreichende Kenntnis in der Behandlung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen und der ethischen und rechtlichen Grundlagen in der Festlegung der Therapieziele wichtig, sondern auch die Bereitschaft und Fähigkeit zur Gesprächsführung.

Der Arzt muss das Sterben zulassen, wenn der Patient das verlangt.

Das Hospiz- und Palliativgesetz hat 2015 erheblich dazu beigetragen, dass Tod und Sterben kein Tabu mehr sind (siehe Interview: „Der Tod darf kein Tabu sein“ mit Margot Käßmann). Die Zahl von Palliativstationen und Hospizen steigt, Medizinstudenten haben Palliativmedizin als Pflichtfach im Studium. Immer mehr Bürger haben eine Patientenverfügung oder einen „gesundheitlichen Versorgungsplan“. In Pflegeeinrichtungen, in ländlichen Regionen oder für bestimmte Patientengruppen ist der Zugang zu einer guten Palliativversorgung allerdings deutlich erschwert. Eine Lösung könnte das aus Großbritannien stammende Konzept der sorgenden Gemeinschaften (Compassionate Communities) bieten. Die Idee dahinter: Wenn Mitarbeiter von Kommunen, Bürgerstiftungen, Kollegen oder Nachbarn sich kümmern, muss die Endstation für einen Schwerkranken nicht unbedingt ein Hospiz sein. Das ist eine große Herausforderung, aber auch eine Chance für die Gesellschaft, denn die Menschen würden wieder lernen, dass Sterben zum Leben gehört.

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und einer zunehmenden Zahl hilfsbedürftiger Menschen ist das Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen eine gemeinsame Aufgabe für Medizin und Gesellschaft. Orientierung gibt die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland. Sie enthält fünf Leitsätze sowie Handlungsempfehlungen an die politischen Entscheidungsträger.

Lukas Radbruch ist Direktor der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn.
Bildnachweis: Barbara Frommann