Europa

Eckpunkte für den Ratsvorsitz

Deutschland übernimmt im zweiten Halbjahr 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat dabei besonders die Digitalisierung und die Arzneimittelpolitik im Blick. Von Thomas Rottschäfer

Zur Erinnerung:

„Ein neuer Aufbruch für Europa“ steht programmatisch auf dem Titelblatt des Koalitionsvertrages von Union und SPD. In der europapolitischen Realität ist von einer Aufbruchstimmung bisher wenig zu spüren. Umso engagierter will die Bundesregierung die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 nutzen.

Zum 1. Januar übernimmt zunächst Kroatien für sechs Monate die Präsidentschaft von Finnland. Ab Juli 2020 ist die Bundesrepublik nach 2007 wieder an der Reihe. Mit Portugal und Slowenien bildet Deutschland dann bis Ende 2021 die Trio-Präsidentschaft. „Die drei Länder formulieren gemeinsame Ziele und ein gemeinsames Programm. So ist über die sechs Monate der jeweiligen Ratspräsidentschaft hinaus mehr politische Kontinuität möglich“, erläutert der Vertreter der AOK in Brüssel, Evert Jan van Lente.

Koordinierungsstelle eingerichtet.

Das Bundesgesundheitsministerium hat die Verbände und Organisationen des Gesundheitswesens bei einem Vorbereitungstreffen über die geplanten gesundheitspolitischen Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft informiert. Für die Koordinierung der Themen und Aktivitäten hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bereits im August eine eigene Stabsstelle geschaffen. Sie wird geführt von Dr. Till Martin Kaesbach, der zuvor das Ministerbüro leitete. Als Staatssekretär ist Dr. Thomas Steffen zuständig.

Baustelle Technologie-Bewertung.

Als „Pflichtthemen“ betrachtet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die laufenden europäischen Verfahren und Initiativen, darunter vor allem die ein­vernehmliche Lösung des Dauerstreits um die Bewertung neuer Gesundheitstechnologien (HTA) auf europäischer Ebene. Hier sieht sich das Ministerium laut Staatssekretär Steffen in der Rolle des konstruktiven Vermittlers.

Der Vorsitz im Rat der Europäischen Union (EU-Ratspräsidentschaft) wechselt alle sechs Monate gemäß einer festgelegten Reihenfolge. Die EU-Ratspräsidentschaft umfasst drei Hauptaufgaben: Leitung und Moderation der Treffen und Tätigkeit des Rates der Europäischen Union mit seinen rund 200 Arbeitsgruppen und Ausschüssen, Vertretung der Mitgliedstaaten gegenüber dem Europaparlament, der EU-Kommission und anderen EU-Institutionen sowie Repräsentation der EU auf internationaler Ebene (gemeinsam mit der EU-Kommission). 2007 wurde die sogenannte „Trio-Präsidentschaft“ eingeführt, bei der drei Länder über 18 Monate eng zusammenarbeiten, um politische Initiativen über die eigene Ratspräsidentschaft hinaus weiterführen zu können.

Weitere Informationen zum Vorsitz im Rat der EU

„Nach fast eineinhalb Jahren Diskussion wird damit gerechnet, dass sich nach dem Europaparlament jetzt auch die Mitgliedstaaten im Rat in der Frage des HTA-Verfahrens auf eine gemeinsame Linie festlegen. Erst dann kann der Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission beginnen“, erläutert Europaexperte van Lente. „Es sollte möglichst bald zu einem Kom­promiss kommen, denn das laufende EU-HTA-Projekt endet 2021, und es soll möglichst keine Lücke geben.“ Die neue EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hält die bisherige freiwillige Kooperation im eunetHTA-Projekt für nicht ausreichend.

Für einen Datenraum.

Während der Ratspräsidentschaft will sich das Bundes­gesundheitsministerium auch für die Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen stark machen. Dazu gehört laut Staatssekretär Steffen der Aufbau eines europäischen Datenraums (European Health Data Space), um Gesundheitsdaten grenzüberschreitend besser für die öffentliche und industrielle Forschung nutzen zu können. Aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums sollten dafür die unterschiedlichen nationalen Datenformate vereinheitlicht werden.

Gegen Arznei-Lieferengpässe.

Auf Ini­tiative Finnlands wird inzwischen auch auf EU-Ebene über Arzneimitteleng­pässe diskutiert. Bundesgesundheitsinister Spahn hat eine Reform des europäischen Vergaberechts ins Spiel gebracht. Künftig dürfe es bei Versorgungsaufträgen nicht mehr nur nach dem Preis, sondern auch um Faktoren wie Produktionsstandorte und Lieferketten gehen.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
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