Einwurf

Armut verkürzt das Leben

In Deutschland lebt ein Sechstel der Bevölkerung in Armut oder ist durch Armut bedroht – mit gravierenden Folgen für die Gesundheit. Für Chancengleichheit zu sorgen, ist Aufgabe aller Politikbereiche, betont PD Dr. Thomas Lampert.

Porträt von Thomas Lampert, Leiter des Fachgebiets Soziale Determinanten der Gesundheit am Robert Koch-Institut (RKI)

Menschen, die dauerhaft in Armut leben,

haben häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Atemwegserkrankungen, Krebs und andere schwere Krankheiten. So zeigen beispielsweise Studien des Robert Koch-Instituts (RKI), dass Armut zu einem zwei- bis dreifach erhöhten Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Diabetes führt. Auch das Risiko für psychische Erkrankungen und Störungen ist deutlich erhöht. Armut wirkt sich zudem auf den Krankheitsverlauf, die Heilungschancen, das Alltagsleben und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen aus. Letztlich verkürzt Armut die Lebenszeit. Nach Ergebnissen einer aktuellen RKI-Studie haben Männer, die einem Armutsrisiko ausgesetzt sind, eine um acht Jahre verringerte Lebenserwartung; Frauen verlieren vier Jahre Lebenszeit.

Viele der Erkrankungen und Beschwerden, die bei Armut vermehrt auftreten, lassen sich auf verhaltensbezogene Risikofaktoren zurückführen. Große Bedeutung kommt dabei dem Rauchen zu. Gleiches gilt für eine geringe körperliche Aktivität und eine ungesunde Ernährung sowie für die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas. Soziale Unterschiede zeichnen sich auch bei der Inanspruchnahme von Angeboten und Leistungen des Gesundheitswesens ab. Das trifft gerade auf die Prävention und Gesundheitsförderung zu, zum Beispiel die Teilnahme an der Krebsfrüherkennung, dem Gesundheits-Check-up oder der Schwangerenvorsorge. Neben verhaltensbedingten Faktoren sind nachteilige Lebensbedingungen und verminderte soziale Teilhabechancen zu berücksichtigen, wie ein geringerer Lebensstandard, eine verminderte oder fehlende soziale Absicherung, schlechtere Bildungs- und Erwerbschancen, stärkere Belastungen und Risiken am Arbeitsplatz sowie ungünstigere Wohnbedingungen und Umwelteinflüsse.

Da die Ursachen unterschiedlich sind, müssen auch die Interventionen zur Verringerung der Auswirkungen von Armut auf die Gesundheit und zur Gewährleistung von gesundheitlicher Chancengleichheit verschiedene Ansätze verfolgen. Aus Sicht von Public Health und Gesundheitspolitik ist sicherzustellen, dass die Angebote und Leistungen, und zwar sowohl mit Blick auf die medizinische und pflegerische Versorgung als auch hinsichtlich Prävention und Gesundheitsförderung, allen Bevölkerungsgruppen zugänglich sind und sie auch erreichen.

Prävention und Gesundheitsförderung müssen allen zugänglich sein.

Gerade bezüglich der Prävention und Gesundheitsförderung ist sicherzustellen, dass auch die sozial Benachteiligten erreicht werden und die Maßnahmen so früh wie möglich ansetzen. Bewährt haben sich in dieser Hinsicht vor allem Interventionen, die auf eindeutig definierte Bevölkerungsgruppen ausgerichtet sind und die spezifischen Lebensbedingungen und Problemlagen berücksichtigen. Wichtig ist darüber hinaus, dass diese Zielgruppen, beteiligte Einrichtungen und Akteure in die Planung, Durchführung und auch Bewertung der Maßnahmen miteinbezogen werden. Dabei ist dem oft erhöhten Versorgungs- und Unterstützungsbedarf Rechnung zu tragen. Gleichzeitig muss an den Ursachen angesetzt werden, also an den schlechteren Lebensbedingungen und den in vielen Bereichen verminderten Chancen zur sozialen Teilhabe.

Nur wenn sich die Lebensverhältnisse verbessern, lassen sich nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten verhindern oder vermindern. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die neben der Gesundheitspolitik auch andere Politikbereiche, wie die Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Familien-, Wohnungsbau- und Umweltpolitik fordert und ressortübergreifende Anstrengungen unter Einbindung weiterer relevanter Akteure im Sozial- und Gesundheitswesen notwendig macht. Auch das Zukunftsforum Public Health, ein Zusammenschluss wichtiger Public Health-Akteure in Deutschland, hebt hervor, dass die Stärkung der gesundheitlichen Chancengleichheit, ganz im Sinne des Konzepts „Health in all Policies“, eine gemeinsame Aufgabe aller Politikbereiche ist.

Thomas Lampert ist Leiter des Fachgebiets Soziale Determinanten der Gesundheit am Robert Koch-Institut (RKI).
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