Porträt
Jetzt mal Toro

Sauerkraut-Score

Der Nutri-Score zur Nährwertkennzeichnung kommt. Müssen wir bald alle vor Gesundheit verhungern? Nein, denn auf die Lebensmittellobby ist Verlass. Die Hersteller haben schon wieder ein paar gute Ideen, damit die europäischen Dickerchen auch übermorgen nicht vom Fleisch fallen. Rezeptfreie Anmerkungen von Thomas Rottschäfer

Gesundheit zusammen!

Der Lebensmittelverband Deutschland möchte die Einführung des Nutri-Score als freiwilliges Nährwertkennzeichnungsmodell konstruktiv begleiten.
 
Ist das noch unsere gute alte Zuckermafia? Die verlässlich dafür sorgt, dass wir mit reichlich Fettreserven durch den Klimawandel kommen? Die davor warnt, dass wir mit dem Nutri-Score über kurz oder lang vor Gesundheit verhungern?

Natürlich nicht! Die Zuckerstreuer lassen sich doch nicht von ein paar Foodwatch-Gretas die Bilanzen verhageln.

ToRo zum Hören:

Doch kurz zur Sache:

Der Nutri-Score ist ein Farbsystem, mit dem sich die Zusammensetzung von Lebensmitteln bewerten lässt: fünf Stufen, gekennzeichnet von Rot bis Grün und mit Buchstaben von A bis E. So kurz, so einfach.

„Viel zu einfach“, sagen die Hersteller. Kein wissenschaftlicher Anspruch. Kein Vergleich mit den wunderschönen, kleingedruckten Schwarz-Weiß-Tabellen mit ihren tollen Energie- und Brennwerten, Referenzmengen und Portionsgrößen.

Ernährungsministerin Julia Klöckner hat lange mit der Lobby gegen den Nutri-Score gekämpft. Dann hat sie einen entscheidenden Fehler gemacht: Sie hat normale Menschen gefragt. Die haben gesagt, dass sie den Nutri-Score toll finden. Deshalb findet die Julia ihn jetzt auch toll. Und die Industrie hat den Farbsalat – aber selbstverständlich nur freiwillig, als unverbindliche Empfehlung. Pflicht geht nur, wenn ganz Europa mitmacht. Frankreich ist ja schon länger auf Nutri-Score, Spanien macht mit, Belgien ist dabei und die Niederlande wollen auch.

Es wird enger für die Hersteller.

Sie möchten deshalb das Farbsystem an „nationale Ernährungsgewohnheiten“ anpassen und „landestypische Verzehrmengen“ berücksichtigen. Gesundes Essen ist ja schließlich kein gemeinsamer europäischer Wert. Wir dicken Deutschen futtern eben gerne Bratwurst-Pizza und Döner-Kartoffeln. Die Griechen nuckeln Olivenöl, die Franzosen mümmeln Rotweinbaguette und die Niederländer kränkeln ohne Frikandel.

Die Industrie will, dass die nationalen Strategien für weniger Zucker, Fett, Salz und Dingsbums bei der Farbmischung eine wesentliche Rolle spielen. So eine nationale Reduktionsstrategie ist für Lobbyisten ein Fest: sehr kompliziert, mit ganz vielen Experten und noch viel mehr Interessenvertretern. Da lassen sich so einige Daumenschrauben lockern.

Meine Prognose: Bald gibt es in Spanien den Paella-Score, den Fritten-Score in Belgien, in Italien den Pasta-Score und bei uns den Sauerkraut-Score. Dann ist in der Industriepampe zwar europaweit das Gleiche drin, aber bei uns klebt ein sattes Grün auf der Zuckerwatte und in Griechenland ein fettes Rot auf Tomaten aus Holland.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist.
Bildnachweis: privat