Thema des Monats

Früher Blick auf letzte Schritte

Patientenverfügungen sind oft unpräzise und damit im Ernstfall wirkungslos. Darum unterstützt der Gesetzgeber die gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase. Dabei helfen qualifizierte Gesprächsbegleiter Heimbewohnern, sich über ihre Wünsche klarzuwerden und sie unmissverständlich aufzuschreiben. Von Dr. Silke Heller-Jung (Text) und Olaf Hermann (Fotos)

An einem sonnigen Tag im August 2017 ist Dieter Mank zu Gast im Altenpflegeheim „An den Platanen“ in Neu-Isenburg. Nun sitzt er in einer ruhigen Ecke an einem runden Tischchen und sucht nach Worten. Das ist ungewöhnlich, denn Mank ist eigentlich ein Mann des Wortes. Der promovierte Germanist war Redakteur bei der Frankfurter Neuen Presse und machte sich später als Schriftsteller selbstständig. An diesem Donnerstag aber kommt der sonst so Wortgewandte ins Grübeln, bricht mitten im Satz ab, denkt nach, setzt noch einmal neu an. Denn Dieter Mank spricht heute über den Tod. Genauer gesagt: über sein eigenes Lebensende.

Selbst entscheiden.

Viele Menschen haben Angst vor dem Sterben. Viele fürchten sich aber auch davor, am Ende ihres Lebens nicht mehr selbst darüber entscheiden zu können, ob, wie und wie lange sie noch medizinisch behandelt werden möchten. Der Arzt und Palliativmediziner Jürgen in der Schmitten kennt diese Ängste. „Eine Medizin, die ohne Ansehen von Person, Alter oder Krankheitsschwere bis zuletzt den Tod mit allen Mitteln bekämpft, wird von vielen als unmenschlich empfunden und gefürchtet, besonders von chronisch kranken Senioren und ihren Angehörigen“, so brachte er die Gefühle der Betroffenen einmal in einem Forschungsbericht auf den Punkt.

„Das Thema Tod wird im Altenheim oft verdrängt. Die Gespräche holen den eigenen Tod in die Wahrnehmung und in die Lebenswirklichkeit der Menschen zurück.“

Günther Schlott, ehemaliger Leiter des Altenpflegeheims „An den Platanen“, jetzt Einrichtungsleiter bei der EVIM Gemeinnützige Altenhilfe GmbH

Um diesen Sorgen Rechnung zu tragen, wurde im Jahr 2009 das dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts, das sogenannte Patientenverfügungsgesetz, verabschiedet. Damit – so schien es zumindest – hatte der Gesetzgeber die Entscheidungshoheit über das eigene Lebensende ohne Wenn und Aber in die Hände der Betroffenen gelegt. „Mit einer schriftlichen Patientenverfügung können Patientinnen und Patienten vorsorglich festlegen, dass bestimmte medizinische Maßnahmen durchzuführen oder zu unterlassen sind, falls sie nicht mehr selbst entscheiden können“, ist dazu auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums zu lesen. „Damit wird sichergestellt, dass der Patientenwille umgesetzt wird, auch wenn er in der aktuellen Situation nicht mehr geäußert werden kann.“

Verfügungen wenig verbreitet.

In der Praxis zeigte sich jedoch rasch, dass eine Patientenverfügung nur bedingt dazu taugt, verbindliche Festlegungen für die medizinische Versorgung zu treffen: Die entsprechenden Schriftstücke waren (und sind bis heute) zu wenig verbreitet, oft nicht zur Hand oder nicht aussagekräftig formuliert, sodass das medizinische Personal sie im Zweifelsfall eher nicht berücksichtigt. Eine rechtswirksame Patientenverfügung, so entschied der Bundesgerichtshof, müsse möglichst konkret beschreiben, in welchen Situationen sie gelten soll und welche Behandlungswünsche der Verfasser in diesen Situationen hat. Ein schlichter Zettel mit dem Vermerk „Ich möchte keine lebensverlängernden Maßnahmen“ ist im Ernstfall wirkungslos. Doch auch detailliertere, anhand von Vordrucken erstellte Verfügungen reichen oft nicht aus, um Behandlungen zu verhindern, die die Menschen so eigentlich nie wollten.

Pflegeeinrichtungen erproben Gesprächsangebot.

Wie also kann man dafür sorgen, dass Menschen bei einem gesundheitlichen Notfall wirklich so behandelt werden wie sie möchten? Das fragte sich auch Jürgen in der Schmitten. In einem vom Bildungsministerium geförderten Modellprojekt erprobte er zwischen 2009 und 2011 in vier stationären Altenpflegeeinrichtungen im nordrhein-westfälischen Grevenbroich einen innovativen regionalen Ansatz für die Erstellung von Patientenverfügungen: das Programm „beizeiten begleiten“, das auf dem in Amerika entwickelten Konzept des „Advance Care Planning“ (auf Deutsch: „Behandlung im Voraus planen“/BVP) basiert.

„Tatsächlich haben viele Menschen für ihr
Lebensende klare Vorstellungen. Die sollten dann auch in ihrem Sinne eingefordert werden können.“

Kirstin Wolf, Projektleiterin „Behandlung im Voraus planen“ beim Würdezentrum Frankfurt

In der Regel liegt die Initiative für das Abfassen einer Patientenverfügung beim Patienten selbst. Beim BVP-Ansatz aber machen speziell geschulte Gesprächsbegleiter den Menschen ein unverbindliches Gesprächsangebot: In mehreren ein- bis zweistündigen Gesprächen besteht die Möglichkeit, über die eigenen Vorstellungen und Wünsche für zukünftige Behandlungsszenarien nachzudenken. Der mehrstufige Gesprächsprozess soll die Betroffenen bei der Klärung und Dokumentation ihrer Wünsche unterstützen. Dazu gehören auch Informationen über die Möglichkeiten und Konsequenzen eines Therapieverzichts. An den Gesprächen können auf Wunsch desjenigen, der vorausplanen möchte, auch Angehörige teilnehmen. Um komplexe medizinische Fragen zu erörtern, wird auch der Hausarzt hinzugezogen.

In eigens entwickelten Gesprächsbögen werden während der Gespräche die Überlegungen und Präferenzen des Betreffenden dokumentiert. Der Gesprächsprozess mündet dann in der Regel in einer individuellen schriftlichen Vorausverfügung, in der die Ergebnisse der Vorausplanung fixiert werden. Verpflichtend ist dies aber nicht.

Neben der detaillierten Patientenverfügung gibt es einen knappen, übersichtlichen Anordnungsbogen, der die Behandlungswüsche für den Fall einer plötzlich auftretenden gesundheitlichen Krise darlegt. Aus diesem Anordnungsbogen, den der Patient, der Gesprächsbegleiter und im Idealfall auch der Hausarzt unterschreiben, geht konkret und auf einen Blick hervor, ob jemand bei einem plötzlichen medizinischen Notfall eine uneingeschränkte Notfall- und Intensivtherapie möchte, ob er sich gegen eine Einlieferung ins Krankenhaus entscheidet oder für ausschließlich palliativmedizinische Maßnahmen optiert. Diese Festlegungen sind rechtlich bindend.

Die Patienten können diese Vorausverfügungen aber jederzeit von sich aus widerrufen und werden zusätzlich regelmäßig gefragt, ob eine Überarbeitung gewünscht ist. Außerdem sollen Pflegepersonal, Ärzte und Rettungskräfte aus der gesamten Region eng in das Projekt eingebunden werden, damit sie die Bedeutung der Anordnungsbögen kennen und im Krisenfall entsprechend handeln.

Sind die Behandlungswünsche auf diese Weise zweifelsfrei geklärt, hat das mehrere Vorteile: Die Patienten werden ihren Wünschen entsprechend behandelt, auch wenn sie in der akuten Situation nicht mehr selbst entscheiden können. Ihre rechtlichen Vertreter – seien es Angehörige mit einer Vorsorgevollmacht für gesundheitliche Belange oder bestellte Betreuer – kennen den Willen des Patienten und können dafür Sorge tragen, dass diesem entsprochen wird. Und auch das Personal in Pflegeeinrichtungen und die Mitarbeiter im Rettungsdienst gewinnen durch klare Festlegungen mehr Handlungssicherheit.

Vorausplanung ist Teil des Hospiz- und Palliativgesetzes.

Das Modellprojekt in Grevenbroich war sehr erfolgreich: In den vier teilnehmenden Senioreneinrichtungen stieg nicht nur die Anzahl, sondern auch die Qualität der Patientenverfügungen im Laufe des Projektzeitraums deutlich an. Die „beizeiten begleiten“ zugrundeliegende Idee der individuellen, qualifiziert begleiteten Vorausplanung für die letzte Lebensphase zog allmählich Kreise und fand schließlich auch Eingang in das Ende 2015 verabschiedete Hospiz- und Palliativgesetz.

„Wenn man sich vorab mit seinen Angehörigen über seine Wünsche für das Lebensende austauscht, nimmt man ihnen damit eine große Last ab.“

Boris Knopf, Geschäftsführer des Würdezentrums Frankfurt, Fachkrankenpfleger Palliativ Care und Anästhesie/Intensivmedizin

Im neuen Paragrafen 132 g Sozialgesetzbuch (SGB) wurde festgelegt: Stationäre Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen können ihren Bewohnerinnen und Bewohnern künftig eine fachlich qualifizierte Unterstützung bei der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase anbieten. Für gesetzlich Versicherte wird dieses Beratungsangebot von den Krankenkassen finanziert. Für eine Übergangszeit bis zum 31.12.2021 gibt es zunächst eine pauschale Vergütung. Über die genaue Ausgestaltung der neuen Leistung sollten der GKV-Spitzenverband und die Vereinigungen der Träger von Pflegeeinrichtungen sowie Einrichtungen der Eingliederungshilfe auf Bundesebene laut Gesetz bis Ende 2016 eine Rahmenvereinbarung treffen, die die Anforderungen an die Qualität der Gespräche, die Qualifikation der beteiligten Fachkräfte und die Details der Versorgungsplanung regelt. Dieser Prozess zog sich jedoch in die Länge; die Rahmenvereinbarung trat schließlich erst zum 1. Januar 2018 in Kraft.

Pioniere im Frankfurter Raum.

So lange wollte nicht jeder warten. Günther Schlott etwa leitete seinerzeit das Altenheim „An den Platanen“ in Neu-Isenburg, und das Thema Vorausplanung für das Lebensende brannte ihm und seinem Team schon lange auf den Nägeln: „Bei 130 Betten und etwa 60 Todesfällen pro Jahr stellte sich für uns ja alle paar Tage die Frage, wie wir die Bewohner in der letzten Lebensphase bestmöglich begleiten können.“

In Frankfurt hatte derweil im Sommer 2016 eine Gruppe engagierter Palliativmediziner und -pflegekräfte das Würdezentrum Frankfurt gegründet, um sich für eine selbstbestimmte und würdevolle Gestaltung des letzten Lebensabschnitts einzusetzen und dazu unter anderem das Programm „beizeiten begleiten“ in die Fläche zu tragen.

Kurzentschlossen wurde ein gemeinsames Pilotprojekt aus der Taufe gehoben: In enger Zusammenarbeit mit dem Würdezentrum machte sich Schlott daran, im Haus „An den Platanen“ das Angebot einer gesundheitlichen Vorausplanung für das Lebensende zu implementieren. Acht Mitarbeiter traten im Würdezentrum Frankfurt die Ausbildung zum Gesprächsbegleiter nach dem Konzept „beizeiten begleiten“ an; außerdem bot das Team des Würdezentrums für interessierte Bewohner, Beschäftigte und deren Angehörige Gesprächs­begleitungen an. Das Altenpflegeheim in Neu-Isenburg war damit eine der ersten stationären Einrichtungen in Deutschland mit einem derartigen Angebot und wurde dafür mit dem „Zukunftspreis Altenheim 2017“ ausgezeichnet.

Gesprächsbegleiter nutzt Leitfaden.

An jenem Donnerstag sitzt nun also Dieter Mank in diesem Neu-Isenburger Altenpflegeheim und grübelt. Martha Stroh, seine Lebensgefährtin, ist seit vielen Jahren im Sozialen Dienst des Hauses „An den Platanen“ tätig. Auch Mank selbst engagiert sich seit mehr als dreißig Jahren ehrenamtlich in der Altenpflege, und heute nutzt er die Gelegenheit, das neue Vorausplanungsangebot besser kennenzulernen. Sein Gesprächspartner ist Boris Knopf, ein erfahrener Fachmann für Palliativpflege und Geschäftsführer des Würdezentrums Frankfurt. Empathisch und behutsam stellt dieser Fragen, ermuntert zum Reden, hakt nach und fasst das Gehörte immer wieder in eigenen Worten zusammen. Der geschulte Gesprächsbegleiter folgt dabei einem definierten Gesprächsleitfaden und protokolliert gewissenhaft Manks Antworten.

Erst wenn in intensiven Gesprächen alle offenen Fragen geklärt sind, wird die Patientenverfügung unterzeichnet.

Als erstes wird die Frage nach einer Vorsorgevollmacht geklärt. „Die bekommt meine Lebensgefährtin, Frau Stroh“, sagt Dieter Mank. „Mir ist es wichtig, dass eine Verfügung vorliegt, wie die Dinge geregelt werden sollen, wenn ich selbst nicht mehr entscheiden kann.“ Knopf nickt bedächtig. „Das verstehe ich. Wir können aber nur durch die Brille von heute gucken. Wenn sich, zum Beispiel durch eine schwere Krankheit, etwas ändert, dann muss die Erklärung angepasst werden, weil Sie manches dann vielleicht anders sehen.“

Einstellung zum Leben erfragen.

Zu Beginn geht es darum, Dieter Manks  Einstellung zum Leben, zum Weiterleben mit Einschränkungen und generell zum Einsatz medizinischer Maßnahmen zu erkunden. Behutsam tastet sich Knopf vor: „Wir wollen versuchen herauszufinden, was für Sie das Leben lebenswert macht und ab welcher Grenze es Ihnen nicht mehr lebenswert erscheint. Wie gerne leben Sie?“ Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Sehr! Ich habe Spaß am Leben. Wichtig wäre mir, dass ich meine schriftstellerische Tätigkeit fortsetzen und dass ich noch lange mit meiner Lebensgefährtin zusammenleben kann.“ Der Gesprächsbegleiter nickt. „Wenn Sie heute Nacht einschliefen und nicht wieder aufwachten – wie wäre das für Sie?“ Mank überlegt kurz. „Ich habe eigentlich noch eine Menge vor. Aber wenn’s so wäre, dann wäre es auch ok. Ich habe mein Leben gelebt.“

„Was dürfte denn eine medizinische Behandlung leisten, um Ihr Leben zu verlängern? Und was würden Sie dafür in Kauf  nehmen?“, fragt Knopf. Mank stützt nachdenklich das Kinn in die Hand. „Das Wichtigste ist, dass ich geistig noch fit bin. Bei einer fortschreitenden Demenz würde meine Lebensgefährtin mich sicher pflegen wollen.“ Er hält inne. „Aber ich würde  aus heutiger Sicht sagen: Dann will ich keine lebensverlängernden Maßnahmen. Wenn ein Schlaganfall mein Sprach- oder mein Denkzentrum lähmt, dann müsste man auch genau schauen, was man noch macht. Und wenn sich mein Zustand durch eine Maßnahme innerhalb von drei Monaten nicht bessert, dann möchte ich, dass die nicht mehr fortgesetzt wird.“

Hausarzt muss beteiligt sein.

Knopf nimmt das nächste Blatt zur Hand. „Für die Patientenverfügung schauen wir jetzt, was in bestimmten Situationen, die in jedem Leben vorkommen können, gemacht werden soll: in einem akuten Notfall, bei dauerhafter Entscheidungsunfähigkeit und postakut – da reden wir darüber, welche Grenzen im Hinblick auf eine erneute Krankenhausbehandlung gelten sollen“, erklärt Boris Knopf. „Das ist jetzt ein bisschen so, als würden wir mit einem Schiff aufs Meer hinausfahren. Wir wissen noch nicht, wohin die Reise geht. Aber wir können schon einige Bojen setzen. Und wenn wir dann später mal eine solche Boje erreichen, dann weiß Frau Stroh: Hier sollen wir nicht weiterfahren. An dieser Stelle wollte Herr Mank in ein anderes Fahrwasser abbiegen.“

„Ich treffe meine Entscheidungen selbst. Und wenn ich das selbst nicht mehr kann, dann soll das anhand dieser Patientenverfügung jemand anderes für mich tun.“

Dr. Dieter Mank, Redakteur und Schriftsteller

Intensiv diskutieren die beiden nun Szenarien, was wann noch getan, was wann unterlassen werden soll. Knopf fragt immer wieder nach, um Manks Willen möglichst genau in Erfahrung zu bringen: „Wenn das Risiko besteht, dass Sie unter der Behandlung sterben, bei einer Chance von 50 zu 50 – würden Sie dann wollen, dass die Behandlung abgebrochen wird?“ Für den lebensfrohen Journalisten ist das keine Option: „Auch bei 20 Prozent Überlebenschance: Weitermachen!“ Eine bleibende schwere Behinderung wäre für ihn ebenfalls kein Grund für einen Behandlungsabbruch – es sei denn, sie wäre geistiger Natur. Bei manchen Fragen gerät das Gespräch ins Stocken. Möchte Herr Mank im Falle einer Demenz wiederbelebt werden, wenn ein medizinischer Notfall einträte? „Rational betrachtet würde ich sagen: nein. Aber emotional?“ Da ist er sich nicht so sicher. Nach knapp zwei Stunden verabreden die beiden einen weiteren Gesprächstermin, an dem zusätzlich auch Dieter Manks Hausarzt teilnehmen soll. Bei einer Gesprächsbegleitung gemäß Hospiz- und Palliativgesetz  müssen die individuellen Wünsche hinsichtlich der medizinischen Abläufe in der letzten Lebensphase in einer Fallbesprechung mit dem behandelnden Arzt geklärt werden.

Rahmenvereinbarung regelt Ausbildung.

Wie bewährt sich das neue Angebot der Gesprächsbegleitung in der Praxis? Der Gesetzgeber hat den GKV-Spitzenverband verpflichtet, alle drei Jahre einen Bericht über die Entwicklung der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase vorzulegen. Dieser ist für das Jahr 2020 angekündigt. Aus der Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion, über die das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ Mitte Oktober berichtete, geht hervor, dass die Nachfrage nach der neuen Kassenleistung steigt.

Im Jahr 2018 gaben die gesetzlichen Krankenversicherungen 64.000 Euro für dieses Beratungsangebot aus, im ersten Halbjahr 2019 waren es demnach bereits 2,6 Millionen Euro. Doch es gibt auch kritische Stimmen: Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bedauert etwa die Dortmunder Pflegewissenschaftlerin Angelika Zegelin, dass die Gespräche nicht immer mit der nötigen Sensibilität geführt würden. Auch zur Ausbildung der Gesprächsbegleiter werden Zweifel laut. Die Rahmenvereinbarung regelt, dass der erste Teil der Weiterbildung mindestens 48 theoretische und zwölf praktische Unterrichtseinheiten umfassen muss, zu denen zwei von Dozenten begleitete Beratungsprozesse gehören. Ein zweiter Teil umfasst mindestens sieben weitere Beratungsprozesse, die alleinverantwortlich in der Praxis durchgeführt werden und vom Weiterbildungsanbieter begleitet werden. Dass die Fortbildungen den in der Rahmenvereinbarung formulierten Anforderungen genügen, liegt jedoch in der Verantwortung der jeweiligen Anbieter, von denen es mittlerweile einige gibt.

  • Vereinbarung nach Paragraf 132g Absatz 3 SGBV über Inhalte und Anforderungen der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase vom 13.12.2017; Download
  • Günther Schlott, Dieter Mank: Versorgungsplanung in der letzten Lebensphase. Praxis-Handbuch für eine erfolgreiche BVP-Implementierung, 2. überarbeitete Auflage. Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2019.

Die Pioniere von damals sind vom Konzept der Vorausplanung für die letzte Lebensphase auf der Grundlage von „beizeiten begleiten“ nach wie vor überzeugt. Günther Schlott und Dieter Mank haben inzwischen gemeinsam ein Praxishandbuch für die erfolgreiche Implementierung eines solchen BVP-Angebots in stationären Pflegeeinrichtungen verfasst. Jürgen in der Schmitten und das Team vom Würdezentrum haben im Februar 2017 gemeinsam mit weiteren engagierten Menschen die „Deutschsprachige interprofessionelle Vereinigung – Behandlung im Voraus Planen (DiV-BVP) e. V.“ gegründet, um den Gedanken der qualifiziert begleiteten Vorausplanung weiter zu verbreiten. Das Würdezentrum Frankfurt bildet regelmäßig Gesprächsbegleiter aus, die nächste Fortbildung startet im Januar 2020. Und Dieter Mank ist mit sich und der Welt im Reinen: Er hat nicht nur die richtigen Worte gefunden, sondern sie zu guter Letzt auch zu Papier gebracht. Mehr kann auch ein Schriftsteller nicht dafür tun, dass seine eigene, ganz persönliche Geschichte eines Tages ein gutes Ende nimmt.

Silke Heller-Jung hat in Köln ein Redaktionsbüro für Gesundheits­themen.
Olaf Hermann ist Fotograf in Frankfurt am Main.
Bildnachweis: Titelfoto Startseite: iStock/Mustaffa Kamal Iklil