Patientenrechte

Fixierung ans Bett kann strafbar sein

Ärzte und Pflegekräfte, die Patienten rechtswidrig fixieren, müssen mit Strafverfolgung rechnen. Eine länger als etwa 30 Minuten dauernde, nicht genehmigte Zwangsfixierung stellt einen gravierenden Eingriff in das Freiheitsgrundrecht dar, der strafrechtliche Ermittlungen begründet. Das entschied das Bundesverfassungsgericht. Von Anja Mertens

Urteil vom 15. Januar 2020
– 2 BvR 1763/16 –

Bundesverfassungsgericht

Nicht nur in der Psychiatrie,

sondern auch in Allgemeinkrankenhäusern passiert es: Patienten werden fixiert, weil sie verwirrt sind, sich selbst gefährden oder aufgrund ihres Alters eine akute Sturzgefahr besteht. Aber können Patienten gegebenenfalls einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung Dritter haben? Ja, sagt das Bundesverfassungsgericht. Ihm lag die Beschwerde einer Frau gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen einen Amtsarzt, einen Stationsarzt, einen Pfleger und eine Amtsrichterin vor.

Die Frau war nach einem Sturz vom Pferd in eine Universitätsklinik eingeliefert worden. Dort diagnostizierten die Ärzte ein Schädel-Hirn-Trauma sowie Prellungen. Zudem wurde sie mehrfach auf Hirnverletzungen untersucht. Am Folgetag wollte sie nach Hause. Als ihr dies verwehrt wurde, verließ sie gegen den ärztlichen Rat das Klinikgebäude. Vom Stationspersonal herbeigerufene Polizeibeamte konnten sie jedoch überreden, auf die Station zurückzukehren. Dort legten sie der Stationsarzt, ein Pfleger und Polizeibeamte gewaltsam auf das Bett und fixierten sie an den Armen, Beinen sowie der Hüfte.

Untergebracht wegen Eigengefährdung.

Der angeforderte Amtsarzt, ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, erstellte kurz darauf ein ärztliches Gutachten. Er diagnostizierte eine Hirnverletzung und eine psychische Störung mit Erregungszuständen. Er ordnete die vorläufige Unterbringung auf der Intensivstation bis zum Ablauf des Folgetages an. Eine Amtsärztin bestätigte diese Anordnung: Es bestehe eine erhebliche Eigengefährdung.

In einem so gravierenden Fall kann der Verzicht auf Strafverfolgung das Vertrauen in das Gewaltmonopol des Staates erschüttern.

Gegen diesen Beschluss legte die Patientin Beschwerde beim Landgericht ein. Die Zivilrichter entschieden, dass die Patientin in ihren Rechten verletzt worden sei. Das Verwaltungsgericht stellte darüber hinaus fest, dass die Anordnung der vorläufigen Unterbringung durch den Amtsarzt rechtswidrig gewesen sei. Der Anordnung habe kein Gutachten zugrunde gelegen, das die Notwendigkeit der Unterbringung in gerichtlich nachvollziehbarer Weise begründet habe.

Daraufhin erstattete die Frau Strafanzeige gegen den Amtsarzt, die Amtsrichterin, den Stationsarzt und den Pfleger. Die Staatsanwaltschaft stellte jedoch die Ermittlungsverfahren ein. Dagegen legte die Frau Rechtsmittel beim Oberlandesgericht (OLG) ein, hatte damit aber keinen Erfolg. Daraufhin reichte die Frau Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Karlsruher Verfassungsrichter gaben ihrer Beschwerde statt, hoben den Beschluss des OLG hinsichtlich der Einstellungen der Ermittlungsverfahren gegen den Amtsarzt, den Stationsarzt und den Pfleger auf und wiesen den Fall zur erneuen Entscheidung an das Gericht zurück. Die Beschwerdeführerin sei in ihrem Recht auf effektive Strafverfolgung verletzt worden (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes).

Fixierung begründet Anspruch.

Zwar ergebe sich aus dem Grundgesetz ein Recht auf effektive Strafverfolgung Dritter nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen. Doch die Fixierung der Beschwerdeführerin sei geeignet, einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung zu begründen. Mit einer – nicht lediglich kurzfristigen – Fesselung werde in das Freiheitsgrundrecht (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes) eingegriffen. Ferner stellten eine Fünf-Punkt- oder Sieben-Punkt-Fixierung eine Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 104 Absatz 2 des Grundgesetzes dar, soweit es sich nicht lediglich um eine kurzfristige Maßnahme handele, die absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreite. Vorliegend sei die Frau gegen ihren Willen über mehrere Stunden am Krankenbett fixiert worden. In einem so gravierenden Fall der Freiheitsentziehung könne der Verzicht auf Strafverfolgung das Vertrauen in das Gewaltmonopol des Staates erschüttern. Dies gelte insbesondere auch, weil Straftaten von Amtsträgern bei der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben im Raum stehen, nämlich seitens des Amtsarztes. Die Ermittlungen gegen den Stationsarzt und den Pfleger hätten dem Anspruch auf effektive Strafverfolgung nicht genügt. Der Sachverhalt hätte weiter aufgeklärt werden müssen.

Die Einstellung der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft als auch der Beschluss des OLG habe die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf effektive Strafverfolgung verletzt. Ihren Antrag auf Klageerzwingung hätte das OLG nicht einfach als unzulässig verwerfen dürfen. Sein Beschluss verkenne den ihm verfassungsrechtlich obliegenden Kontrollauftrag und den damit verbundenen Prüfungsumfang.

Ausmaß der Folgen nicht ermittelt.

Zudem beanstandeten die Karlsruher Verfassungsrichter, dass kein medizinisches Sachverständigen-Gutachten eingeholt worden sei, um die von der Patientin behauptete posttraumatische Belastungsstörung als Folge der Fixierung zu bewerten. Hier hätte sachverständiger Rat eingeholt werden müssen.

Die Einstellung der Ermittlungen gegen die Amtsrichterin beanstandete das Bundesverfassungsgericht hingegen nicht. Es lägen keine Anhaltspunkte für eine begangene Rechtsbeugung vor.

Anja Mertens ist Rechtsanwältin im Justiziariat des AOK-Bundesverbandes.
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