Was macht beruflich Pflegende fit für die Schichtarbeit? Das weiß Regine Ehrgott vom Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung der AOK Rheinland/Hamburg.
Reportage

Hacken für den Rücken

Pflege ist anstrengend, erst recht im Schichtdienst. Mit einem eigens entwickelten Gesundheitsseminar macht das Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung der AOK Rheinland/Hamburg beruflich Pflegende „Fit für die Pflegeschicht“. Von Silke Heller-Jung

Ungewohnte Klänge dringen an diesem Dienstagvormittag über die Flure des ehemaligen Klosters „Maria Hilf“ im nordrhein-westfälischen Gangelt, einem hübschen mittelalterlichen Städtchen nahe der niederländischen Grenze. Unterlegt mit schwungvoller Musik schallt eine fröhliche Frauenstimme aus dem „Klostertreff“ im ersten Stock. „Füße hüftbreit auseinander, Po etwas nach hinten, Unterarme anwinkeln. Stellen Sie sich jetzt bitte vor, Sie wollten mit Ihren Handkanten Zwiebeln kleinhacken. Und los geht’s!“

Fürsorge mit Tradition.

Vor rund 150 Jahren entsandte Katharina Kasper, die Gründerin des „Ordens der armen Dienstmägde Jesu Christi“ drei Schwestern aus Dernbach im Westerwald nach Gangelt, um dort hilfsbedürftige Kinder, alte und kranke Menschen zu versorgen. Diese Tradition setzt heute die Katharina Kasper ViaNobis GmbH fort: Rund 1.700 Beschäftigte aus etwa 40 Berufsgruppen kümmern sich an verschiedenen Standorten am Niederrhein um junge und alte Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf. Das Katharina-Kasper-Heim in Gangelt zum Beispiel ist als Einrichtung mit gerontopsychiatrischem Schwerpunkt auf die Pflege und Betreuung älterer Menschen mit Behinderung spezialisiert.

Nachhaltig gesünder.

Insgesamt 13 bei der ViaNobis beschäftigte Altenpflegerinnen und -pfleger sind heute im „Klostertreff“ versammelt, um das Seminar „Fit für die Pflegeschicht“ zu besuchen – ein spezielles Gesundheitstraining für Pflegepersonen im Schichtdienst, das vom Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung BGF GmbH der AOK Rheinland/Hamburg entwickelt wurde.

„Seit etwas mehr als einem Jahr bieten wir dieses Konzept an“, erläutert Regine Ehrgott, die beim BGF-Institut als Teamleiterin im Bereich Pflegeprävention arbeitet. „Es ist konkret auf die Bedürfnisse der beruflich Pflegenden zugeschnitten. Ein deutlicher Schwerpunkt liegt zum Beispiel auf dem Thema Stressabbau und -ausgleich.“ Auch Übungen wie das „Zwiebeln hacken“ sind gezielt auf die Gesundheit des Pflegepersonals abgestimmt. „Das stärkt die tiefe Rückenmuskulatur“, erklärt Anke Meixner, die das Seminar gemeinsam mit Regine Ehrgott leitet. „Wenn Sie das dreimal täglich zehn Sekunden lang machen, tun Sie Ihrem Rücken was Gutes.“

Denn darum geht es in dem Seminar. „Wir wollen den Pflegekräften Impulse für kleine gesundheitsförderliche Dinge geben, die sie problemlos und nachhaltig in ihren Arbeitsalltag integrieren können“, erklärt Regine Ehrgott. So soll die Gesundheit des Pflegepersonals dauerhaft gestärkt werden. Darum wird das Seminar „Fit für die Pflegeschicht“ auch nicht als Einzelmaßnahme angeboten, sondern ist stets eingebunden in einen umfassenden Gesundheitsförderungsprozess. Auch die Katharina Kasper ViaNobis GmbH hat eine entsprechende Kooperationsvereinbarung mit der AOK Rheinland/Hamburg. „Gemeinsam arbeiten wir hier daran, sowohl für die Bewohnerinnen und Bewohner als auch für die Pflegekräfte eine möglichst gesundheitsförderliche Umgebung zu schaffen“, erläutert AOK-Teamleiter Dieter Finken, der das Unternehmen bei diesem Prozess begleitet. Regelmäßig trifft sich ein Steuerkreis, identifiziert Belastungen und sucht gemeinsam nach Lösungen.

Routine und Überraschungen.

Auch im Seminar „Fit für die Pflegeschicht“ dreht sich das Gespräch um belastende Faktoren und Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen. „Es geht darum, wie Sie gut für sich selbst sorgen können“, erläutert Regine Ehrgott, und Anke Meixner ergänzt: „Schichtdienst ist wichtig und notwendig, aber auch belastend. Darum ist es wichtig, zu schauen: Was braucht mein Körper? Was tut mir gut?“

Schichtdienst ist wichtig und notwendig, aber auch belastend.

Im Seminarraum wirbeln jetzt farbige Säckchen durch die Luft, die sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer bestimmten Reihenfolge zuwerfen sollen. Zusätzlich wandert noch ein Ball von Hand zu Hand. Die Gegenstände stehen für die unterschiedlichen Anforderungen, die die Altenpflegekräfte in ihrem Arbeitsalltag bewältigen müssen: „Das grüne Säckchen ist der gewohnte Ablauf, die tägliche Routine“, erklären die Referentinnen. Das gelbe Säckchen ist schon schwieriger: Es soll in der entgegengesetzten Reihenfolge geworfen werden. „Es steht für die unvorhergesehenen Dinge, bei denen man aber im Prinzip weiß, wie damit umzugehen ist.“ Und der Ball? Der verkörpert die Not- und Ausnahmefälle, die selten, aber schwierig zu handhaben sind: Stürze von Bewohnern etwa oder kurzfristige Krankmeldungen von Kollegen.

Stress hat viele Gesichter.

Was einen Menschen stresst, ist individuell verschieden, stellt sich im anschließenden Gespräch heraus: „Für eine Kollegin ist Lärm ein Stressfaktor“, weiß Wohnbereichsleiterin Nathalie Krings. Ihrer Kollegin Irmgard Sentis macht vor allem ein schlechtes Zeitmanagement zu schaffen. Altenpfleger Frederik Vaßen leidet unter dem Wechsel von der Spät- zur Frühschicht. Kollegin Anita Vergossen pflichtet ihm bei: „Da kriegt man keinen vernünftigen Schlafrhythmus hin.“

Altenpflegehelferin Walburga Rabben gerät in Stress, wenn Absprachen nicht eingehalten werden und keine Kompromissbereitschaft erkennbar ist. „Dann geht mir der Hut hoch.“ Ihre Kollegin Karin Keimes steht unter Druck, „wenn etwas nicht so perfekt wird, wie ich das gerne hätte“. Und Altenpflegerin Christine Scholly empfindet es als belastend, „wenn ich zu viele Aufgaben gleichzeitig im Kopf habe“.

An Stellschrauben drehen.

Auch wie man auf Stress reagiert, ist höchst unterschiedlich. Altenpfleger Robert Thönneßen wird dann schon mal unfreundlich, Marianne Höninger zieht sich eher zurück. Ihr Kollege Martin Nievelstein wird unruhig und „hibbelig“, Altenpflegerin Joelle Musick reagiert mitunter patzig, Laura Abazi „will dann einfach in Ruhe gelassen werden“.

Dozentin Anke Meixner erklärt, dass eine stressige Situation erst durch die eigene Reaktion darauf zu einer Belastung werde. Die Schlüsselfrage laute: „Wie kann ich meinem Körper und meinem Seelenleben helfen, aus dieser Situation herauszufinden?“

Im weiteren Verlauf des Seminars stellen die Dozentinnen vom BGF-Institut weitere wichtige Stellschrauben vor, an denen die Teilnehmenden ihrer Gesundheit zuliebe vielleicht noch drehen könnten: mehr Bewegung, eine rückenschonende Haltung, eine gesunde Ernährung, genügend trinken und ausreichend Schlaf. Informative Vorträge und Diskussionen wechseln sich ab mit praktischen Übungen und vielen konkreten Tipps für den Arbeitsalltag. „Denkzettel“, die die Referentinnen zwischendurch austeilen, laden zur Selbstreflexion ein. Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern kommt das Seminar gut an. „Wir sind ja vom Fach und wissen eigentlich, worauf wir achten sollten“, meint Nathalie Krings. „Aber es ist gut, noch mal so konkret und gebündelt daran erinnert zu werden.“

Das erfolgreiche Konzept „Fit für die Pflegeschicht“ zieht Kreise. Im Januar haben Regine Ehrgott und ihre Kollegin damit begonnen, Kursleiterinnen und -leiter aus anderen Landes-AOKs auszubilden. Künftig soll das Seminarangebot bundesweit verfügbar sein. Und auch in Gangelt hat der heutige Tag Eindruck hinterlassen. „Ich werde in Zukunft dreimal am Tag Zwiebeln hacken!“ Das hat sich Altenpflegerin Vanessa Weinsberg ihrem Rücken zuliebe ganz fest vorgenommen.


Dieser Beitrag stammt aus dem aktuellen G+G-Spezial „Erste Hilfe für die Pflege“. Das vollständige Spezial finden Sie hier.

Silke Heller-Jung hat in Köln ein Redaktionsbüro für Gesundheitsthemen.
Jürgen Schulzki ist freier Fotograf.