Interview

„Viele Bausteine für mehr Stabilität in der Pflege“

Melanie Huml ist im siebten Jahr bayerische Gesundheits- und Pflegeministerin – und sie hat noch viel vor, etwa bei der Reform der Pflegeversicherung. Zudem will sich die CSU-Politikerin weiter für die Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum einsetzen.

Frau Huml, 2020 ist zum Jahr der Pflege ausgerufen worden. In Bayern ist 2019 der Eigenanteil für die Pflegebedürftigen um 18 Prozent gestiegen. Was ist in diesem Bereich zu tun?

Melanie Huml: Es ist enorm wichtig, dass wir über eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung auf Bundesebene diskutieren. Zu einem tragfähigen Konzept gehört für mich, dass die Eigenanteile berechenbarer werden – besonders bei sehr langen Pflegeverläufen von 20, 30 Jahren, wenn etwa jemand mit 40 einen Schlaganfall hatte. Hier sollte der Anteil begrenzt werden. Ausgerechnet die Pflegeversicherung ist die einzige Sozialversicherung, die keinen Steuerzuschuss bekommt. Es gibt aber eine Reihe versicherungsfremder Leistungen, wie etwa Ausbildungskosten, deren Finanzierung Aufgabe der Allgemeinheit wäre. Ein weiterer Ansatzpunkt könnte ein pauschaler Arbeitgeberbeitrag für geringfügig Beschäftigte sein, wie er in der gesetzlichen Krankenversicherung existiert. Es gibt viele Bausteine, um zu mehr Stabilität in der Pflegeversicherung zu kommen.

Von einer Abschaffung des Eigenanteils halten Sie offenbar nichts. Diskutiert wird auch über ein Einfrieren oder einen Sockel-Spitze-Tausch …

Huml: Wir benötigen den Eigenanteil weiter, weil die Pflegeversicherung schlichtweg keine Vollversicherung ist. Einen Sockel-Spitze-Tausch halte ich für keinen zielführenden Weg; ebenso wenig würde ein Einfrieren des Eigenanteils die Probleme lösen.

Es ist enorm wichtig, dass wir über eine Weiterentwicklung der Pflegeversicherung auf Bundesebene diskutieren.

Wir würden dann auch diejenigen ausnehmen, die sich den Betrag leisten können. Wir sollten stattdessen versuchen, den Eigenanteil zu stabilisieren oder gar zu senken wie eben mit Steuergeldern für versicherungsfremde Leistungen. Wir müssen uns noch viel mehr Gedanken machen, wo weitere Gelder herkommen können.

Sollten mehr Pflegekräfte an Hochschulen ausgebildet werden?

Huml: Derzeit haben wir zwei bis drei Prozent akademisch ausgebildete Pflegekräfte in Bayern. Ich bin der Überzeugung, dass wir mehr davon brauchen. Aber es geht auf keinen Fall darum, dass künftig jede Pflegekraft ein Studium absolviert haben muss. Wir machen aber den Pflegeberuf für Menschen mit Abitur attraktiver, wenn es Aufstiegsmöglichkeiten für Akademiker gibt und es nicht damit getan ist, dass man die Heimleitung im Seniorenheim übernehmen kann. Wir haben in Bayern vor, mehr Lehrstühle für die Pflegeausbildung zu etablieren.  

Wie viel möchte Ihr Land bei der Pflegereform mitsprechen?  

Huml: Bei diesem immens wichtigen Thema darf es keinen Alleingang der Bundesregierung geben. Es gibt ja die Beschlüsse der Gesundheits- und Sozialminister, in denen gefordert wird, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe installiert wird, um über die Pflegereform zu sprechen.  

Lassen Sie uns über die ländliche Versorgung sprechen. Was wird die Landarztquote, die es in Bayern seit Januar gibt, verändern?

Huml: Wir haben ganz bewusst gesagt, dass diese Studienplätze nicht abhängig sein sollen von der Abiturnote. Dafür müssen sich die jungen Leute verpflichten, nach ihrem Studium für zehn Jahre in einem Gebiet tätig zu sein, wo Unterversorgung vorhanden ist beziehungsweise droht. Hier zählen der Medizinertest und die Tätigkeit in einem Gesundheitsberuf.

Wir müssen noch genauer gucken, was die Wünsche junger Mediziner sind.

Es geht also um junge Leute, die das Kümmern um Menschen ganz klar im Fokus haben, aber vielleicht im Abitur eine 1,5 oder 2,0 haben und bisher sehr viel Zeit auf der Warteliste verbrachten. Wir haben hier jetzt ein klares Instrument, dass in einigen Jahren positive Effekte zeigen wird.

Darüber hinaus gibt es in Bayern noch das Förderprogramm zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung sowie Stipendien …

Huml: Es gibt 60.000 Euro, wenn sich ein Mediziner in einer Kommune mit weniger als 20.000 Einwohnern niederlässt. Wir konnten bisher mehr als 550 Förderungen ausgeben. Beim Stipendienprogramm durfte ich kürzlich den 250. Bescheid übergeben. Die Studierenden müssen sich verpflichten, die Facharztweiterbildung im ländlichen Raum zu durchlaufen und später dort tätig zu sein. Dann erhalten sie 600 Euro pro Monat.

Sind darüber hinaus Schritte notwendig?

Huml: Wir dürfen hier nicht nachlassen. Wir müssen noch genauer gucken, was die Wünsche junger Mediziner sind. Ärztinnen wie Ärzte legen zunehmend Wert darauf, dass die Work-Life-Balance stimmt, also Familie, Beruf, Freizeit besser kombinierbar sind. Hier geht es um Gemeinschaftspraxen und Medizinische Versorgungszentren. Die Angebote müssen so sein, dass die Mediziner sie nutzen und annehmen. Da ist eine breite Palette notwendig.

Was bringt die Telemedizin für die ländliche Versorgung?

Huml: In Bayern haben wir positive Erfahrungen mit der Telemedizin in der Schlaganfallversorgung. Wenn im Krankenhaus in Marktredwitz jemand mit einem solchen Verdacht eingeliefert wird, stellen die Ärzte eine Verbindung beispielsweise zum Uniklinikum Erlangen als eines der Schlaganfallzentren her. Dann wird entschieden: Kann der Patient in Marktredwitz bleiben oder muss er in eine Fachklinik?

In der Schlaganfallversorgung haben wir in Bayern positive Erfahrungen mit der Telemedizin.

Wir sind gerade dabei, auch im Bereich der Pflege die Digitalisierung mehr zu nutzen, indem wir etwa ein Altenheim mit Hausarztpraxen vernetzen.

Zum Thema Krankenhäuser: Aus Bayern gibt es Kritik an der Reform der Notfallversorgung. Was passt Ihnen hier nicht?

Huml: Richtig ist das Anliegen, dass wir die Patienten dorthin bekommen, wo sie in dem Augenblick die richtige Behandlung bekommen. Ich bin deswegen dafür, dass es Bereitschaftspraxen niedergelassener Ärzte an den Krankenhäusern gibt, wie wir sie in Bayern schon mehr als 100 Mal haben. Die Frage ist: Wer bestimmt, wie viele der geplanten Integrierten Notfallzentren es geben soll und an welchen Standorten sie eingerichtet werden? Ein solches INZ kann durchaus entscheidend sein für die wirtschaftliche Existenz einer Klinik und damit den Krankenhausstandort. Deswegen müssen wir hier sehr sensibel vorgehen. Kritisch sehe ich auch, dass es einen Abschlag von 50 Prozent für Kliniken ohne INZ geben soll, wenn sie Notfälle behandeln. Wenn dort ein Patient hinkommt, muss er zumindest angeschaut werden.

Eine letzte Frage: In der GKV steigen die Kosten, zugleich gibt es Diskussionen über die Finanzierung hochpreisiger Arzneimittel. Wird es eine Diskussion über Kostendämpfungen geben?  

Huml: Notwendig ist, dass versicherungsfremde Leistungen aus Steuern bezahlt werden. So entrichtet der Bund bislang keine kostendeckenden Beiträge für die Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Wenn man da die Krankenkassen entlasten würde, wäre das schon mal hilfreich. Man sollte sich die Einnahmenseite genau anschauen. Das Finanzdefizit 2019 und die Erhöhung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags im laufenden Jahr zeigen: Wir haben bereits eine Finanzierungslücke und sind nicht mehr in einer Situation, wo alle Kassen genug auf der hohen Kante haben. Mit den Reformen kamen viele Leistungsverbesserungen. Wir können jetzt aber nicht mehr so weitermachen.

Das Interview fand am 11. Februar 2020 in München statt.

Thorsten Severin führte das Interview. Er ist Redakteur der G+G.
Bildnachweis: Gerd Grimm