Thema des Monats

To-dos für ein gesundes Europa

Deutschland übernimmt am 1. Juli für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. Die Corona-Pandemie bestimmt Themen- und Terminpläne der Bundesregierung. Doch ausgerechnet die alles überschattende Krise könnte sich als Geburtsstunde einer stärkeren gemeinsamen europäischen Gesundheitspolitik herausstellen. Ein Situationsbericht von Thomas Rottschäfer

Als Deutschland zuletzt am 1. Januar 2007 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, ist Angela Merkel zum ersten Mal Bundeskanzlerin. In Frankreich regiert Präsident Nicolas Sarkozy, und Großbritannien ist unter „New Labour“-Premier Tony Blair weit entfernt von Brexit-Plänen. Im deutschen Gesundheitswesen schlagen damals die Wellen hoch. Mit dem umstrittenen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz bringt die erste Große Koalition unter Merkel den Gesundheitsfonds auf den Weg. Das Gesetz ist auch die Geburtsurkunde des GKV-Spitzenverbandes, der hausarztzentrierten Versorgung und der gesetzlichen Aufwertung der Arzneimittelrabattver­träge.

Auf der Brüsseler Bühne spielt die Gesundheitspolitik 2007 eine Nebenrolle. Im Programm der Trio-Präsidentschaft von Deutschland, Portugal und Slowenien ist lediglich die Rede davon, Sozial-, Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik nicht länger gegeneinander auszuspielen. Die Kanzlerin hat sich den Arbeitsauftrag erteilt, als Ratsvorsitzende die Debatte um das europäische Sozialmodell mit Inhalten zu füllen. Doch es soll noch weitere zehn Jahre dauern, bis EU-Kommissions­präsident Jean-Claude Juncker im April 2017 die „Europäische Säule sozialer Rechte“ für die Bürgerinnen und Bürger der Union proklamiert.

Pandemie rückt Gesundheit in den Fokus.

Jetzt übernimmt Deutschland erneut mit Portugal und Slowenien für 18 Mo­nate die Trio-Ratspräsidentschaft. Bis Ende dieses Jahres hat die Bundesrepublik den Vorsitz. Den übernimmt im Januar 2021 Portugal und sechs Monate später Slowenien (siehe Kasten „EU-Ratspräsidentschaft und Dreier-Vorsitz“). Doch anders als 2007 spielt die Gesundheitspolitik unter dem Eindruck der weltweiten Corona-Pandemie jetzt eine Hauptrolle. Die EU steht nach dem Herunterfahren der Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Stillstand in nahezu allen Mitgliedstaaten vor der größten Herausforderung ihrer mehr als 60-jährigen Geschichte. Die Corona-Krise prägt die Themen und Termine des deutschen Ratsvorsitzes. Bereits die Ende Juni auslaufende Präsidentschaft Kroatiens hat fast vollständig virtuell stattgefunden, mit Videokonferenzen anstelle von Präsenzsitzungen in Zagreb und Brüssel. Viele der in Kroa­tien, Brüssel oder Straßburg geplanten Tagungen und Veranstaltungen im Rahmenprogramm sind Sars-CoV-2 zum Opfer gefallen.

Porträt von Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister

„Wir brauchen ein europäisches Robert Koch-Institut“

Im G+G-Interview spricht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn über die Top-Themen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Zum G+G-Interview ...

„Deutschland wird sich in seiner Präsidentschaft mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass Europa gestärkt aus dieser Krise hervorgeht“, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert bei der Vorstellung von Leitmotiv, Logo und Website „eu2020.de“ Ende Mai in Berlin. Das Bundeskabinett verabschiedet am 3. Juni den Entwurf des Arbeitsprogramms für den Ratsvorsitz. Danach setzen sich Deutschland, Portugal und Slowenien bis Ende 2021 folgende Handlungsschwerpunkte:

  • das Bewältigen der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Covid-19-Pandemie und die Verbesserung des europäischen Krisenmanagements;
  • die Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 und über den von der EU-Kommission angekündigten Wiederaufbaufonds;
  • das künftige Verhältnis der EU zu Großbritannien und
  • politische Zielsetzungen für die EU bis 2024: Zukunfts­konferenz, Klima, Wettbewerbsfähigkeit, Digitales, Soziales, Europas Rolle in der Welt.

Gigantisches Wiederaufbau-Programm vorgelegt.

Für die schwierigen Verhandlungen über das Wiederaufbauprogramm hat die EU-Kommissionspräsidentin die Latte hoch gehängt. „Das ist der Moment Europas und die Zeit für einen kühnen Sprung nach vorn für die nächste Generation EU“, sagt Ursula von der Leyen am 27. Mai im Europaparlament in Brüssel. Sie hat zur Überwindung der Corona-Krise ein noch nie dagewesenes Wiederaufbauprogramm im Umfang von 750 Milliarden Euro vorgelegt. 500 Milliarden Euro sollen als nicht rückzahlbare Zuwendungen fließen, 250 Milliarden Euro sind als Kredite vorgesehen, die die Kommission mit Erlaubnis der Mitgliedsländer am Finanzmarkt aufnehmen soll. Zusätzlich sind im normalen EU-Finanzrahmen bis 2027 Mittel im Umfang von 1,3 Billionen Euro zur Überwindung der Krise vorgesehen. Und über eine Geberkonferenz für die Entwicklung von Co­vid-19-Impfstoffen und -Medikamenten sowie für das Erforschen weiterer Behandlungsmethoden hat die Kommission bis Ende Mai bereits 9,8 Milliarden Euro eingesammelt. Deutschland beteiligt sich mit 525 Millionen Euro.

Der Europäische Rat ist das Organ der EU, das politische Ziele und Prioritäten der EU festlegt. Dem Rat gehören die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer sowie Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an. Der Ländervorsitz wechselt alle sechs Monate. Während der Präsidentschaft leiten die jeweiligen Regierungsvertreter die Sitzungen und Tagungen auf allen Ebenen des Europäischen Rates. Für Kontinuität über das halbe Jahr hinaus sorgt der 2007 eingeführte und 2009 im Vertrag von Lissabon verankerte Dreiervorsitz. Deutschland bildet jetzt bis Ende 2021 ein Trio mit Portugal und Slowenien. Das heißt: Portugal übernimmt den Vorsitz im Januar 2021 von Deutschland. Sechs Monate später, im Juli 2021, wird Portugal wiederum von Slowe­nien abgelöst. Die drei Länder formulieren langfristige Ziele und erarbeiten ein gemeinsames Programm für die insgesamt 18 Monate dauernde Trio-Ratspräsidentschaft.

Weitere Informationen:

 Webseite des Europäischen Rates und des Rates der Europäischen Union
 eu2020.de: Webseite zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Von der Leyen macht deutlich, dass die Kommission das Heft des Handelns wieder in die Hand nehmen will. Denn zu Beginn der Pandemie sieht es so gar nicht nach „dem Moment Europas“ aus. Im Gegenteil: Geschockt von den Bildern aus dem nord­italienischen Bergamo verabschieden sich die Regierungen innerhalb kurzer Zeit vom grenzenlosen Europa und igeln sich ein. In einem internen Papier der deutschen EU-Vertretung in Brüssel ist Anfang April von einer Art Schockstarre der europäischen Institutionen die Rede. Von der Leyen gibt später zu, die Bedrohung durch das Virus unterschätzt zu haben. Sie entschuldigt sich dafür, dass Europa zunächst nicht genug Solidarität gegenüber Italien gezeigt habe.

Begrenzte gesundheitspolitische Befugnisse.

„Die EU-Kommission hat nur sehr eingeschränkte Kompetenzen im Bereich Gesundheit, aber sie besitzt Entscheidungskompetenzen, wenn es um grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren, also insbesondere Pandemien, geht“, erläutert der Vertreter der AOK in Brüssel, Evert Jan van Lente.

Die Pandemie hätte deshalb der Moment der Bewährung für das unter dem Eindruck des ersten Sars-Ausbruchs 2003 geschaffene Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) werden können. Das ECDC hatte 2005 seine Arbeit im schwedischen Solna aufgenommen und soll bei grenzüberschreitenden Infektionen das Handeln der EU-Staaten koordinieren. Doch Kompetenzen und Kapazitäten der EU-Agentur mit rund 300 Mitarbeitern reichen für eine solche Pandemie nicht aus.

Soforthilfen im Schnellverfahren.

„Angesichts der Corona-Gefahr war bei den Nationalstaaten der Reflex stärker, die eigene Haut zu retten, statt rational und koordiniert zu handeln“, sagt van Lente im Rückblick. Die Kommission habe aber trotz Fehl­einschätzungen und Versäumnissen durchaus ihre Handlungsmöglichkeiten genutzt: „Es wurden im Schnellverfahren Soforthilfen für die am stärksten betroffenen Länder zur Verfügung gestellt, Gelder für die Covid-19-Forschung mobilisiert, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Beschaffung von Schutz­ausrüstung geschaffen, Empfehlungen für ein koordiniertes Vorgehen bei der Einführung von Tracing-Apps und auch schon eine Exit-Strategie erarbeitet.“

Video-Interview mit Evert Jan van Lente, ständiger Vertreter der AOK in Brüssel:

Der CDU-Europapolitiker Peter Liese, seit 1994 Mitglied des Europäischen Parlaments und gesundheitspolitischer Sprecher der bürgerlichen EVP-Fraktion sorgt sich in der Anfangsphase der Pandemie, „dass das Coronavirus und alles was damit zusammenhängt, das Potential besitzt, die EU zu spalten und vielleicht sogar zu zerstören“ (siehe Interview). Liese fordert gemeinsam mit den Europaabgeordneten Chrysoula Zacharopoulou aus Frankreich (Liberale) und Manuel Pizarro aus Portugal (Sozialdemokraten) mehr Priorität für die EU-Gesundheitspolitik und die Wiedereinführung eines eigenen EU-Gesundheitsbudgets. Es sei falsch gewesen, das Gesundheitsaktionsprogramm 2018 im Europäischen Sozialfonds (ESF) aufgehen zu lassen.

Mehr Befugnisse für europäisches Zentrum.

Ungewohnte Töne schlagen auch Spitzenpolitiker an: „Ein Europa der Gesundheit hat nie existiert, aber es muss eine Priorität werden“, sagt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Mitte Mai. Dazu gehöre auch die „Vergemeinschaftung von Gesundheitspolitik“. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht sich dafür aus, das ECDC mit mehr Geld, Personal und Befugnissen zu einem „europäischen Robert Koch-Institut“ auszubauen (siehe Interview). Er kündigt an, die gemeinsame Beschaffung von medizinischer Schutzausrüstung und eine sichere Versorgung der EU mit Arzneimitteln und Impfstoffen zu einem gesundheitspolitischen Topthema der Ratspräsidentschaft zu machen. Das Thema Lieferengpässe will Spahn als Vorsitzender des Rates der EU-Gesundheitsminister ohnehin zum Schwerpunktthema machen. Durch die Pandemie ist dieses Problem noch stärker in den Blickpunkt gerückt.

Milliarden-Budget für die Gesundheit.

Erweist sich am Ende die Corona-Krise als Geburtsstunde einer stärkeren gemeinsamen europäischen Gesundheitspolitik? Darauf deutet das Programm „EU4Health“ hin, das EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am 28. Mai in Brüssel vorstellt. Es soll für die Jahre 2021 bis 2027 mit einem Etat von rund 9,4 Milliarden Euro ausgestattet werden und liest sich wie die Umsetzung der Liese-Forderungen. 1,7 Milliarden Euro sollen aus dem EU-Haushalt fließen, 7,7 Milliarden aus dem geplanten Wiederaufbaufonds. Das Budget würde ihren bisherigen Etat um 2.000 Prozent übersteigen, rechnet Kyriakides bei der Präsentation in Brüssel vor und kündigt einen „echten Paradigmenwechsel“ an. Neben einem besseren Schutz vor grenzüber­greifenden Gesundheitsgefahren soll das Programm die Ver­fügbarkeit von bezahlbaren Medikamenten und medizinischer Ausrüstung in allen Mitgliedstaaten sicherstellen und die Gesundheitssysteme innerhalb der EU stärken.

Gemeinsamer Kampf gegen Krebs.

Nach Zustimmung von Rat und Parlament könnte „EU4Health“ Anfang 2021 anlaufen, sagt die Gesundheitskommissarin. „Ob es bei den 9,4 Milliarden bleibt, ist angesichts der umstrittenen Schuldenaufnahme für den Wiederaufbaufonds nicht sicher“, sagt Evert Jan van Lente. „Aber selbst mit der Hälfte der Summe hätte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides entschieden mehr Handlungsspielraum als bisher.“

Porträt von Peter Liese, Europaabgeordneter

„Wir brauchen in Europa mehr Zusammenarbeit“

Für den Europaabgeordneten Peter Liese muss die Staatengemeinschaft angesichts der Corona-Krise gesundheitspolitisch einiges ändern. Zum G+G-Interview ...

Das Milliarden-Budget könnte auch dem im Februar angekündigten EU-Plan zur Krebsbekämpfung zu­gutekommen. Es geht um bessere Prävention, Früherkennung und Diagnose, den Zugang zu einer hochwertigen Behandlung und Versorgung sowie um die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Das Bundesgesundheitsministerium hat mit Blick auf den EU-Krebsplan für die Zeit des Ratsvorsitzes Begleitveranstaltungen zu diesem Thema geplant. „Beim Thema Krebs geht es nicht zuletzt um die Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Medikamenten und um mehr Geld für die Forschung“, sagt van Lente. „Die Preise für Krebsarzneimittel sind in Europa in den vergangenen zwei Jahrzehnten dramatisch gestiegen. Aber längst nicht jedes neue Arzneimittel ist eine Innovation. Und in einigen osteuropäischen Ländern sind bestimmte Onkologika nicht verfügbar, weil Pharmaunternehmen die Märkte in einkommensstärkeren Ländern bevorzugen.“

Neuer Anlauf für gemeinsame Arznei-Strategie.

Arzneimittel­preise und -verfügbarkeit stehen deshalb schon seit einigen Jahren auf der Tagesordnung der wechselnden Ratspräsidentschaften. „Einen richtigen Durchbruch hat es noch nicht gegeben“, bedauert der AOK-Europaexperte. Er macht dafür auch den Einfluss der Pharmalobby in Brüssel verantwortlich. Mit der deutschen Ratspräsidentschaft im Rücken unternimmt die EU-Kommission jetzt einen neuen Anlauf für eine gemeinsame EU-Arzneimittelstrategie. Zentrale Inhalte und Fahrplan hat die Kommission Anfang Juni in einer öffentlichen Konsultation für vier Wochen zur Diskussion gestellt.

Schnelle Zulassung auf Kosten der Sicherheit?

„Politischer Zeitdruck, enorme Fördermittel und milliardenschwere Investitionen der Industrie drängen die EU-Arzneimittelagentur EMA dazu, neue Covid-19-Therapien und Impfstoffe sehr schnell zuzulassen – auch wenn noch nicht alle Studiendaten vorliegen und die Sicherheit noch nicht vollständig geklärt ist“, so van Lente. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und die Cochrane-Organisationen aus Frankreich, Irland, Deutschland und Österreich haben im Mai an die EMA appelliert, klinische Studien­berichte zu allen Covid-19-Arzneimitteln und -Impfstoffen zeitgleich mit der Marktzulassung zu veröffentlichen. Es sei zu befürchten, dass durch beschleunigte Zulassungsverfahren unter dem Eindruck der Corona-Pandemie die in den vergangenen Jahren erzielten Standards zur Datentransparenz nicht eingehalten werden.

Offene Baustelle Technologiebewertung.

Ein Dauerthema ist die EU-Zusammenarbeit bei der Gesundheitstechnologiebewertung (HTA). Der vom Europaparlament 2018 verabschiedete Kompromissvorschlag hängt seit gut zwei Jahren im Rat fest. Bei der Vorstellung von Leitlinien der deutschen Ratspräsidentschaft im Oktober 2019 hatte Gesundheitsstaatssekretär Thomas Steffen noch angekündigt, Deutschland werde sich als „kon­struktiver Vermittler“ dafür einsetzen, dass Lösungen für strittige Themen wie die HTA-Zusammenarbeit gefunden werden. Doch das war vor Corona.

Die EU-Ratspräsidentschaft wird durch „Satelliten-Programme“ der Bundes­ministerien umrahmt. An dem Begleitprogramm des Gesundheitsministeriums ist auch der AOK-Bundesverband mit einer Experten-Diskussion zum Thema „Arzneimittel-Lieferengpässe als europäische Herausforderung“ beteiligt. Die Veranstaltung im November findet in einem neuen digitalen Format statt: Teilnehmen werden Wissenschaftler, Poli­tiker und Vertreter der Zulassungsbehörden. „Wir wollen die Diskussion um Lieferengpässe versachlichen und deutlich machen, dass nationale Alleingänge wenig bringen. Wir brauchen koordiniertes Handeln auf EU-Ebene“, sagt Vorstandschef Martin Litsch.

Weitere Informationen:
  eu2020.de: Webseite zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft

„Es kann gut sein, dass die Krise zum Anlass genommen wird, das ganze Verfahren weiter zu ver­zögern“, befürchtet van Lente. „Das würde bedeuten, dass die bereits aufgebaute europäische HTA-Zusammenarbeit nach dem Auslaufen der nur bis Ende 2021 gesicherten Finanzierung eingestellt werden muss.“

Medizinprodukte-Verordnung verschoben.

Eine Baustelle bleibt auch die EU-Medizinprodukte-Verordnung. Im März haben sich Kommission, Rat und Europaparlament in einem Blitz­verfahren einvernehmlich geeinigt, das „Scharfstellen“ zum 26. Mai dieses Jahres um ein Jahr zu verschieben. Grund für diese Entscheidung war nicht nur die Corona-Krise. „Es gab Versäumnisse der Kommission bei den Ausführungsbestimmungen, es gab nicht genug Benannte Stellen zur Zertifizierung, und die notwendigen Erweiterungen der Medizinprodukte-Datenbank EUDAMED waren nicht rechtzeitig fertig“, stellt van Lente fest.  

Digitalisierung über Grenzen hinweg.

Schub könnte die Corona-Krise dagegen der grenzüberschreitenden Digitalisierung des Gesundheitswesens verleihen. Die Juncker-Kommission hatte dazu erste Projekte gestartet, die aber noch auf einen größeren Rahmen warten. Stella Kyriakides unterstützt in diesem Zusammenhang die Digitalstrategie „European Health Data Space“, den Aufbau großer Datenbanken, die unter anderem mittels Künstlicher Intelligenz für weitere Fortschritte in der medi­zinischen Forschung sorgen sollen. Bei Digitalisierungsfan Jens Spahn dürfte die Gesundheitskommissarin in dieser Frage offene Türen einrennen.

Aufwind für Nährwertkennzeichnung.

Ein Erfolgserlebnis könnte der Ratsvorsitz Spahns Kabinettskollegin Julia Klöckner verschaffen. Im Herbst vergangenen Jahres hatte die Bundeslandwirtschaftsministerin nicht zuletzt unter dem Druck von Verbraucherverbänden und Krankenkassen doch noch ihr Herz für den auch vom AOK-Bundesverband favorisierten Nutri-Score entdeckt. Inzwischen setzt sie sich für eine europaweit einheitliche Nährwertkennzeichnung ein. Auch Gesundheitskommissarin Kyriakides unterstützt dies. Die Kommission hat bereits einen Vorschlag für ein verpflichtendes Nährwert­logo auf der Vorderseite von Lebensmitteln vorgelegt.

Thomas Rottschäfer ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Gesundheitspolitik.
Bildnachweis: iStock/robertiez, Bundesgesundheitsministerium/Maximilian König, privat; Foto Startseite: iStock/clu