Umweltmedizin

Debatte: Klimawandel bedroht die Gesundheit

Mehr Herzinfarkte und Allergien, neue Infektionskrankheiten – der Klimawandel hat negative Folgen für die Gesundheit, warnt Dr. Martin Herrmann. Der Arzt und Psychologe fordert einen Ausbau der Monitoring- und Vorwarnsysteme.

Rund 8.000 zusätzliche Todesfälle

in Deutschland im Jahr 2018 werden mit Extremwetterlagen assoziiert. Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit – zu diesem Schluss kam eine internationale Wissenschaftler-Kommission des „Lancet“. Ende 2019 präsentierte der „Lancet Countdown“ seine jährlich fortgeschriebene Bilanz zu den Folgen des Klimawandels – mit weiteren beunruhigenden Aussagen zur Lage des Planeten. Der Bericht alarmierte die deutsche Ärzteschaft, die lange Zeit die Klimadebatte nicht zu ihrem Thema gemacht hatte. Doch nun gaben die Bundesärztekammer, die Berliner Charité, das Helmholtz Zentrum München, das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und die Hertie School in Berlin gemeinsam einen Lancet Policy Brief mit speziellen Empfehlungen für Deutschland heraus.

Seither hat das Thema hohe Priorität: In diesem Herbst wird ein weiterer Policy Brief erscheinen, und der Klimawandel wird 2021 eines der Schwerpunktthemen auf dem Deutschen Ärztetag sein. Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit wie auch die Plattform Health for Future vernetzen und motivieren Menschen aus Gesundheitsberufen, sich für Klimaschutz zu engagieren.

Chronisch Kranke besonders betroffen.

Die Lebensbedingungen auf diesem Planeten entwickeln sich durch den Temperaturanstieg, den Zusammenbruch der Ökosysteme und das Aussterben der Arten zu einer medizinischen Notfallsituation. Nach Jahrzehnten des Zugewinns an Lebensqualität, Lebenserwartung und Gesundheit ist der Klimawandel eine Bedrohung nicht nur für uns, sondern auch für zukünftige Generationen. Besonders betroffen sind chronisch Kranke, ältere Menschen, Kinder und Schwangere.

Unmittelbare Folgen haben vor allem Hitzewellen, die mit erhöhten Ozonwerten in Bodennähe einhergehen. Die Folge sind Hitzestress, akute Verschlechterung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und eine Zunahme der Herzinfarkte, Nierenschäden durch Austrocknung und Risiken für Diabetes-Patienten. Hitzeschutzpläne liegen in den Schubladen der Behörden, sind aber in den wenigsten Kommunen umgesetzt.

Die Klimakrise beinhaltet auch eine Chance – den Lebensstil zu verändern.

Wärmere Temperaturen verlängern außerdem die Dauer des Pollenfluges bei Pflanzen, zum Beispiel beim Beifuß-Traubenkraut. Asthma und allergische Reaktionen werden häufiger. Zunehmen werden auch Infektionskrankheiten wie die Frühsommer-Meningoenzephalitis und die Borreliose, weil zum Beispiel Zecken über längere Perioden Lebensräume finden.

Das gilt aber auch für in Deutschland bislang noch nicht endemische Krankheiten wie Dengue-Fieber, Zika, Chikungunya oder West-Nil-Virus – für welches 2019 in Sachsen erstmalig eine autochthone Infektion beim Menschen diagnostiziert wurde. Darüber hinaus wird die Erwärmung der Ostsee voraussichtlich das Risiko von Vibrio-Infektionen erhöhen, die zu schwerem Durchfall führen. Hier ist, ähnlich wie beim Pollenflug, der Ausbau von Monitoring-und Vorwarnsystemen nötig.
 
Kommunen, Länder und Bund müssen sich für diese Entwicklungen rüsten, zum Beispiel Screenings entwickeln, um besonders gefährdete Personen oder Einrichtungen rechtzeitig zu identifizieren. Es muss sichergestellt werden, dass Pflegeheime, Ambulatorien, Kliniken sowie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ausreichend informiert und ausgebildet sind, um den Herausforderungen zu begegnen. Besonders wichtig ist es, die Klimafolgen für die menschliche Gesundheit in die Aus- und Fortbildung der Gesundheitsberufe zu integrieren.

Eine Botschaft könnte sein, dass die Klimakrise trotz aller Bedrohung eine Chance beinhaltet. Die Förderung von Radfahren, Zu-Fuß-Gehen und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel steigert die körperliche Aktivität. Die Umstellung auf fleischarme Kost – einer der wirkungsvollsten Faktoren des individuellen Klimaschutzes – senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Übergewicht. Saubere Luft durch Verzicht auf fossile Brennstoffe wirkt Atemwegserkrankungen entgegen. All das sind Risikofaktoren auch für Covid-19, wie die Entwicklung der Pandemie zeigt.

Ärzteschaft hat Schlüsselrolle.

„Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen ... und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken“, so die ärztliche Berufsordnung. Durch ihre fachliche Kompetenz, aber auch ihre hohe Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung sind Ärztinnen und Ärzte besonders geeignet, ihren Patientinnen und Patienten die Bedeutung des Klimawandels für ihr Leben nahezubringen.

Martin Herrmann ist Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).
Bildnachweis: Foto Startseite: iStock.com/RealPeopleGroup