Einwurf

Gesunde Ernährung erleichtern

Zu viel Zucker macht dick, gefährdet die Gesundheit und hat Suchtpotenzial, sagt Renate Künast. Die ehemalige Bundesernährungsministerin fordert Verbindlichkeit für die Nährwertkennzeichnung und die Zuckerreduktionsziele.

Porträt von Renate Künast, Rechtsanwältin und Mitglied des deutschen Bundestags

Zucker ist der neue Tabak.

Das habe ich bereits im Jahr 2015 gesagt. Und das gilt für mich noch heute. Zu viel Zucker macht dick, gefährdet die Gesundheit und hat Suchtpotenzial. Wissenschaftler der University of California kommen zu dem Schluss, dass Zucker die Menschen genauso abhängig machen kann wie Zigaretten oder Alkohol. Zwei Drittel der Männer (67 Prozent) und die Hälfte der Frauen (53 Prozent) in Deutschland sind übergewichtig. Ein Viertel der Erwachsenen ist stark übergewichtig. Bei Kindern und Jugendlichen sind bereits mehr als 15 Prozent übergewichtig oder adipös. Diese Menschen haben eines gemeinsam: Entweder sie haben bereits Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Gelenkschmerzen oder tragen ein hohes Risiko, im Laufe ihres Lebens diese oder eine andere Erkrankung zu bekommen.

Übergewicht geht einher mit einer geringeren Lebenserwartung und gesellschaftlicher Diskriminierung. Neben den individuellen Folgen für den Einzelnen stehen gravierende gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Übergewicht ist teuer und zwar für alle. Die Sozialkassen müssen jährlich rund 30 Milliarden Euro für die Folgekosten von Adipositas aufwenden. Wie können wir dieses Dilemma ändern? Die einen sagen: durch Sport und Ernährungswissen. Die anderen sagen: durch eine Diät. Beides ist richtig, aber unzureichend. Wir brauchen ein ganzes Maßnahmenpaket, damit unsere Ernährungsumgebung wieder stimmt. Nur mit einem ganzheitlichen Ansatz können wir eine gute und ausgewogene Ernährung für die Menschen im Alltag einfach machen.

Was wir jedoch vor allem brauchen, ist ein anderes Lebensmittelangebot mit deutlich weniger Zucker. Wir bewegen uns in einer Welt, in der es immer mehr hochverarbeitete überzuckerte Lebensmittel gibt. Ob im Supermarkt, am Kiosk oder in Küchen, überall locken uns viel zu süße Puddings, Snacks, Fertiggerichte und Limos mit Werbeversprechen. Wenn Erwachsene diesen Zuckerbomben schon kaum widerstehen können, wie sollen es dann die Kinder? Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt deshalb konkrete Maßnahmen gegen Übergewicht: Erstens eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung auf Fertiglebensmitteln – damit jeder weiß, ob er ein Grundnahrungsmittel oder eine Süßigkeit isst. Zweitens eine gesetzliche Beschränkung der Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet – damit in Zukunft nur Produkte an Kinder beworben werden, die ausgewogen und für Kinder geeignet sind. Drittens eine Limo-Steuer auf stark zuckerhaltige Getränke, die dazu führen soll, dass sich der Zuckergehalt in Limonaden deutlich verringert.

Wir brauchen ein anderes Lebensmittelangebot mit deutlich weniger Zucker.

Die meisten Lebensmittelhersteller haben sich nach langem Sträuben für eine freiwillige Nährwertkennzeichnung ausgesprochen, weil der gesellschaftliche Druck zu groß wurde. Doch die Konzerne lehnen verpflichtende Maßnahmen ab, solange es nur geht. Ich sage: Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei. Wir brauchen Verbindlichkeit, weil wir für Gesundheit sorgen müssen und dafür, dass das Lebensmittelangebot wieder stimmt.

Die Maßnahmen sind für mich klar: An Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung einschränken, eine verbindliche europaweite Ampelkennzeichnung und bindende Zuckerreduktionsziele für Fertiglebensmittel. Die Zuckersteuer auf Softgetränke ist sinnvoll. Andere europäische Länder haben sie längst umgesetzt. In Großbritannien hat sie dazu geführt, dass einige große Konzerne ihren Zuckeranteil vor Inkrafttreten der Steuer halbiert haben, um sie zu vermeiden. Genau das wollen wir erreichen. Ich möchte außerdem, dass in allen Bereichen der Gemeinschaftsverpflegung – von Kita, Schule, Uni bis zu Krankenhäusern und Pflegeheimen – ein frisches und ausgewogenes Essen angeboten wird. Auf die Teller gehören anstelle von Fertiglebensmitteln und Süßkram viel frisches Gemüse und Obst der Saison, am besten vom Bauern der Region. Die Lebensmittelkonzerne müssen in die Pflicht genommen werden, damit wir den Kampf gegen Zucker und seine Wirkung gewinnen.

Renate Künast sitzt seit 2002 für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Die Rechtsanwältin war von 2001 bis 2005 Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.
Bildnachweis: Laurence Chaperon