Niemand ist sicher, bis nicht alle sicher sind – so ein Fazit des World Health Summit.
Globale Gesundheit

Ein Virus beschäftigt die Welt

Viren kennen keine Grenzen: So hat nun Sars-Cov-2 weltweit Millionen Menschen infiziert. Wie der Corona-Pandemie länderübergreifend beizukommen ist, diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 12. World Health Summit. Von Martina Merten

Die Gefahr einer neuen Pandemie

war immer greifbar. Pläne für deren Bewältigung waren längst erstellt. Nun hat sich tatsächlich ein Virus auf den Weg gemacht und droht, die gesamte Welt zu lähmen, wie Professor Detlef Ganten auf dem World Health Summit in Berlin unterstrich. Der Ehrenvorsitzende des Stiftungsrates der Charité, der den Kongress im Jahr 2009 ins Leben gerufen hatte, eröffnete kürzlich das 12. Treffen internationaler Expertinnen und Experten für globale Gesundheit (siehe Kasten „Gipfeltreffen der Global Health-Experten“). Diesmal stand die Corona-Pandemie im Mittelpunkt des World Health Summit, und der Austausch fand wegen der Ansteckungsgefahr ausschließlich digital statt.
 
Mehr als 46 Millionen Menschen weltweit hatten sich bis Anfang November mit Sars-Cov-2 infiziert. Mehr als eine Millionen Menschen sind der Infektionserkrankung Covid-19 bis dahin erlegen. Vor allem diejenigen sind betroffen, denen es ohnehin nicht gut geht: insbesondere Arme und Kranke. Das Virus hat sich in nahezu jeder Ecke dieser Welt ausgebreitet. Es hat vor niemandem Halt gemacht. Die meisten haben inzwischen verstanden, dass „niemand sicher ist, bis nicht alle sicher sind“, wie es in der Abschlusserklärung des World Health Summit heißt. Kongress-Präsident Ganten rief zu internationaler Solidarität auf: „Nur wenn wir eng zusammenarbeiten, können wir die Krise überwinden, nur gemeinsam können wir globale Gesundheit verbessern, unser großes, gemeinsames Ziel.“

Krise digital bewältigen.

Wissenschaftler, Politiker, Gesundheitsökonomen, Vertreter der Zivilgesellschaft und der Industrie tauschten während des dreitägigen World Health Summit Ideen aus, wie trotz der immensen Herausforderungen, die das Virus mit sich bringt, ein Gefühl der Sicherheit zu erlangen ist. Wie können wir uns schützen, wie dafür sorgen, dass so etwas nie oder nicht so schnell wieder passiert?

Nur durch enge Zusammenarbeit lässt sich die Krise überwinden.

Der weltweite Kampf gegen Sars-Cov-2 stützt sich demnach auf vier Pfeiler. Als wegweisend hat sich die Nutzung von Innovationen im Public Health-Bereich herausgestellt. Kleine Unternehmen, Organisationen und akademische Institutionen haben in den vergangenen acht Monaten zahlreiche digitale Lösungen zur Bewältigung der Covid-19-Krise entwickelt. Darunter sind Instrumente für die Überwachung des Virus, das Lieferkettenmanagement und die klinische Erprobung, aber auch digitale Diagnosemöglichkeiten. Zudem kamen Innovationen rund um Kommunikation und Information der Öffentlichkeit über Corona auf den Markt.

Tedros Adhanom Ghebreyesus, Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), betonte: „Es ist die erste Pandemie des digitalen Zeitalters.“ Er kündigte eine neue WHO-Strategie zur digitalen Gesundheit an. Diese Strategie solle den Rahmen bieten für die Einführung und den Ausbau digitaler Gesundheitsdienste und die Gesundheit für jeden verbessern.

Datenfreigabe dynamisch gestalten.

Bei der Diskussion darüber, wie digitale Daten zu nutzen sind, dürfe der Schutz der Daten auch in Deutschland nicht länger über dem Schutz des Lebens stehen, betonte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und Professorin für Ethik in der Medizin, Alena Buyx.

Der World Health Summit (WHS) ist eine der wichtigsten internationalen Konferenzen für globale Gesundheit. Professor Detlef Ganten, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Charité und heutiger Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates der Charité, hat das globale Forum 2009 gegründet.

Auf dem 12. WHS 2020 sprachen in 50 Sessions 300 Expertinnen und Experten. Die wissenschaftliche Grundlage des WHS besteht aus der sogenannten M8-Allianz – einem Netzwerk weltweit führender Universitäten, Nationaler Akademien und Gesundheitszentren aus derzeit 20 Ländern. Auf der Konferenz kommen international führende Wissenschaftler, Politiker sowie Vertreter aus Industrie und Zivilgesellschaft zusammen, um über drängende globale Gesundheitsprobleme zu diskutieren. Am Ende der Konferenz gibt der M8-Zusammenschluss eine Abschlusserklärung heraus, die Handlungsempfehlungen für international führende politische Entscheidungsträger enthält. Der diesjährige WHS fand aufgrund von Covid-19 ausschließlich virtuell statt. Weltweit haben insgesamt mehr als 6.000 Menschen aus über 100 Nationen online teilgenommen.

 Weitere Informationen über den World Health Summit 

Vertrauensverlust in Regierungen oder einzelne Politiker könne dadurch ausgeglichen werden, dass die Zustimmung zur Freigabe der Daten „dynamisch“ gestaltet werde, sagte Buyx. Denkbar ist der Ethikerin zufolge eine Art Datentreuhand. Professor Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Charité, sprach sich auf dem Kongress für die finanzielle Unterstützung von sogenannten Data Hubs (Datenknotenpunkten) aus. Die Plattform „Our World in Data“ – eine Datenplattform von Wissenschaftlern an der Universität Oxford – sei hier vorbildlich.

Impfstoff als öffentliches Gut.

Als zweiten Pfeiler bei der Bekämpfung des Corona-Virus bezeichneten Experten während des Weltgesundheitsgipfels die Investition in die Entwicklung eines Impfstoffes. Nach Ansicht von Jayasree K. Iyer, Leiterin der „Access to Medicine Foundation“ in den Niederlanden, müssen Zusammenschlüsse wie GAVI und CEPI noch stärker finanziell gefördert werden. Ziel der Impf-Allianz GAVI ist es, den Zugang zu Impfungen gegen vermeidbare Erkrankungen vor allem für Kinder in Entwicklungsländern zu verbessern. Sie wird über Regierungsgelder und Gelder privater Institutionen wie der Bill und Melinda Gates Stiftung finanziert. CEPI ist eine internationale Impfstoff-Initiative, die sich auf die Entwicklung von Impfstoffen gegen besonders virulente Krankheitserreger spezialisiert hat. Sie ist eine Allianz öffentlicher und privater Partner: Regierungen, private Stifter und Industrie finanzieren CEPI.

Die Hälfte der Menschen weltweit hat nicht die Mittel, sich den Impfstoff zu sichern.

Solche Initiativen bezeichnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf dem World Health Summit 2020 als richtungsweisend, schließlich „haben 50 Prozent der Weltbevölkerung nicht die eigenen Mittel, sich den Impfstoff zu sichern“. Ziel müsse es sein, den Impfstoff als globales öffentliches Gut, das allen zusteht, anzusehen und in diesem Sinne zu verteilen.

Systeme tragfähig strukturieren.

Ein dritter Pfeiler im Kampf gegen Viren ist die bessere Vorsorge. Um als Gesellschaft und Weltgemeinschaft mehr Sicherheit vor Infektionen zu erreichen, müssen Experten die jetzigen Pandemiepläne überarbeiten und Regierungen Gesundheitssysteme tragfähig strukturieren, lautete ein weiteres Fazit.

Präventiv tätig zu werden heißt nach Ansicht von Francesca Colombo, Leiterin der Abteilung Gesundheit bei der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Kapazitäten aufzustocken. „Weltweit brauchen Länder mehr Intensivbetten, besseres Wissen und vor allem mehr Fachkräfte“, unterstrich die OECD-Expertin auf dem World Health Summit.

Auch mangelt es nach Angaben des Internationalen Rates der Krankenschwestern und Pfleger rund um den Globus an Pflegefachkräften. Zudem haben sich einer Umfrage des Rates zufolge bislang mehr als zehn Prozent des Gesundheitspersonals mit dem Virus infiziert. „Wir stehen weltweit vor einem massiven Mangel an Krankenschwestern und Ärzten – und wir wissen das schon so lange“, kritisierte Jim Campbell von der Abteilung Gesundheitspersonal bei der WHO. Und dennoch: Passiert ist bislang nichts. „Es ist nichts passiert, weil es einfach niemanden interessiert hat“, fasste Kongress-Präsident Ganten die Versäumnisse im Bereich Fachkräfte zusammen.

Bildung als Gesundheitsfaktor.

Damit es in Zukunft mehr Menschen interessiert, was globale Gesundheit wirklich bedeutet, glaubt Ganten an den Erfolg von Bildung als viertem Pfeiler bei der Eindämmung von weltweiten Infektionskrankheiten. „Bildung ist der wichtigste Gesundheitsfaktor weltweit“, ist der Facharzt für Pharmakologie und klinische Pharmakologie überzeugt. Die Menschen wollten verstehen, was diese Pandemie bedeutet. Sie seien neugierig, wollten mehr lernen. Dieses zarte Pflänzchen der Neugier gelte es nun zu gießen.

Martina Merten ist Global Health-Spezialistin und publiziert regelmäßig über Themen globaler Gesundheit.
Bildnachweis: iStock.com/Tzido