Einwurf

Corona verstärkt die Landlust

Der ländliche Raum wird zum Gewinner der Corona-Krise, sagt Zukunftsforscher Dr. Daniel Dettling. Die Pandemie beschleunige die Stadtflucht und den Wandel zur digitalen Medizin.

 

Porträt von Daniel Dettling, Zukunftsforscher

Bislang galt für die

Stadt- und Regionalentwicklung in Deutschland: Großstädte wachsen, ländliche Regionen schrumpfen und viele Dörfer sterben aus. Politik, Wissenschaft und Wirtschaft haben sich dem Trend widerstandslos ergeben. „Urban“ war in, „Land“ war out. Landflucht gilt in Deutschland als Naturgesetz. Seit einigen Jahren kehrt sich die Entwicklung in einigen Regionen jedoch um. Der jahrzehntelange Trend zur Landflucht, wonach immer mehr Menschen in die Städte ziehen und das Land verlassen, ist gestoppt. Erstmals seit zwanzig Jahren ist die Differenz aus Zu- und Fortzügen in den sieben größten deutschen Städten negativ. Die Corona-Pandemie wird die Trendwende weiter verstärken.

Die Corona-Krise zeigt: Globale und regionale Identitäten bilden keinen Widerspruch, sie bedingen vielmehr einander. Zukunftsforscher sprechen vom Trend zur „Glokalisierung“: Globalität und Lokalität verbinden sich zu einem neuen Dritten. International wird an einem Impfstoff gegen Covid-19 geforscht, Länder finanzieren gemeinsam die Entwicklung und regional werden die Lieferketten gestärkt und wichtige Produktionen zurückgeholt. Nach Corona werden wir beides tun: global zusammenarbeiten und die lokalen Folgen mitdenken.

Globalität und Lokalität verbinden sich zu einem neuen Dritten.

Damit entstehen neue Chancen und Perspektiven für den ländlichen Raum. Der durch Corona beschleunigte digitale Wandel macht die Entzerrung von Wohnen und Arbeiten möglich. Wenn überall flächendeckend schnelles Internet verfügbar ist, lässt sich theoretisch in jedem Dorf oder jeder Kleinstadt arbeiten und produzieren. Arbeit wird multi-mobil und multi-lokal. Die Mehrheit der Arbeitnehmer wird von zu Hause aus arbeiten. Telearbeit und Homeoffice sind der neue Standard.
 
Auch die Gesundheitsversorgung wird regionaler. Der ländliche Raum wird zum Gewinner der Corona-Krise. Städte und Gemeinden sind als entscheidende Akteure der Glokalisierung systemrelevant. Die Zuständigkeit der deutschen Kommunen für den öffentlichen Gesundheitsdienst hat Zustände wie in Italien, Frankreich und Spanien verhindert. Ein gut funktionierender Föderalismus rettet Leben. Corona beschleunigt die Stadtflucht und den Wandel zur digitalen Medizin. Schlechte Luftqualität, überhöhte Stickoxidwerte und steigender Verkehrslärm lassen das Wohnen in den Städten zur Gesundheitsgefahr werden. Videosprechstunden und „Mobile Health“ werden zur Regel. Ärzte behandeln Patienten am Telefon oder online. Lange Wartezeiten und Wege werden so überflüssig.

Auch einer älter werdenden Bevölkerung bietet der ländliche Raum neue Perspektiven. In vielen Regionen entstehen „Silver Valleys“ und Gesundheitsregionen für Menschen, die nach dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit selbstbestimmt und in aktiver Gesundheit ihre neue Freiheit genießen wollen. Rund um die Speckgürtel der Metropolen etablieren sich Gesundheitsregionen für in- wie ausländische Touristen. Studien zufolge können sich mehr als 80 Prozent der Bürger vorstellen, einen Roboter zu nutzen, wenn sie dadurch im Alter länger in den eigenen vier Wänden wohnen können. Die Gesundheitsversorgung wird in Zukunft vor allem zu Hause stattfinden. „Home and health“ werden eins.
 
Die Versorgungslandschaft wandelt sich. Weder der ambulante noch der stationäre Sektor allein haben eine Lösung für die Versorgungsprobleme auf dem Land. Es geht um eine stärkere interprofessionelle Vernetzung und Kooperation von Leistungserbringern im ländlichen Raum und die stärkere Nutzung digitaler Lösungen.
 
So können Medizinische Versorgungszentren einen Beitrag leisten, um den Rückgang ärztlicher Praxen auf dem Land zu kompensieren und der nächsten Ärztegeneration familienfreundlichere Berufsperspektiven zu bieten. In ländlichen Gebieten leisten solche Zentren eine wohnortnahe, allgemeine, weniger spezialisierte Versorgung. Gewinner der neuen Gesundheitsversorgung auf dem Land sind Patienten und Beschäftigte.

Daniel Dettling ist Politik- und Kommunikations­berater. Der Jurist leitet das Berliner Büro des Zukunftsinstituts.
Bildnachweis: Edgar Rodtmann