Porträt
Kommentar

Keine Zeit verlieren

Die hohe Taktzahl von Gesundheitsminister Jens Spahn erweist sich jetzt als Segen, meint Tim Szent-Ivanyi. Doch der Minister müsse weiter liefern: bei Notfallversorgung und Pflege.

Jens Spahn wähnte sich

auf einem guten Weg. In jedem Monat seiner Amtszeit ein Gesetz, hatte der ehrgeizige Gesundheitsminister als Devise ausgegeben und damit seine Mitarbeiter auf Trab gehalten. Bei einer Bundestagsrede vor gut einem Jahr verkündete er dann stolz: 20 Gesetze in 20 Monaten. Er beeilte sich zwar festzuhalten, dass es nicht um einen Selbstzweck gehe, sondern darum, den Sozialstaat zukunftsfest zu machen. Gleichwohl drängte sich der Eindruck auf, Spahn wolle in der knappen Zeit bis zu einem damals für möglich gehaltenen Zerbrechen der großen Koalition unbedingt beweisen, dass er zu Höherem befähigt ist. Dabei muss ihm allerdings zugutegehalten werden, dass er den Koalitionsvertrag nicht nur mechanisch abgearbeitet, sondern eigene Akzente gesetzt hat, die ihm Anerkennung einbrachten. So initiierte er die Masern-Impfpflicht und trieb die Debatte über eine Reform der Organspende voran.

Applaus für Pflegekräfte reicht nicht.

Die Koalition hat gehalten, doch es kam Corona. Spahn musste sich auf die Bewältigung der Pandemie konzentrieren. Heute erweist sich seine hohe Taktzahl zu Beginn der Amtszeit als Gewinn, da bereits fast alle Vorhaben von Union und SPD im Gesetzblatt stehen. Sollte sich die Pandemie-Lage durch Impfungen entschärfen, muss Spahn die Zeit aber nutzen, den größten noch fehlenden Brocken abzuarbeiten: die Reform der Notfallversorgung. Zwar hätte es dieses Beweises nicht mehr bedurft, aber die Pandemie hat noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig eine effektive Steuerung der Patientenströme etwa durch integrierte Notfallzentren ist.

Keinen Aufschub darf es auch für das Koalitionsvorhaben geben, in der Altenpflege flächendeckend Tarifverträge durchzusetzen. Hier scheint Spahn aber einen Rückzieher zu machen. Statt den ursprünglich mit der SPD verabredeten Weg zu gehen, einen von der Gewerkschaft ver.di mit den „willigen“ Arbeitnehmern vorbereiteten Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären, hat der CDU-Mann die Tariffrage zuletzt mit einer milliardenteuren Pflegereform verknüpft. Für sie gibt es aber weder eine Finanzierung, noch Mehrheiten in den eigenen Reihen oder beim Koalitionspartner. Doch es gilt, keine Zeit zu verlieren. Um die Personalnot zu lindern, muss der Pflegeberuf so schnell wie möglich attraktiver werden, auch durch mehr Geld im Portemonnaie. Applaus allein reicht nicht.

Tim Szent-Ivanyi ist Korrespondent beim RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Bildnachweis: Markus Wächter