Mindestmengen sorgen bei operativen Eingriffen für mehr Patientensicherheit.
Krankenhäuser

Schärfere Regeln bei Mindestmengen

Wenn Kliniken bei komplexen Eingriffen bestimmte Fallzahlen erreichen, steigt die Qualität der Ergebnisse. Doch die Durchsetzung der Mindestmengen bleibt ein schwieriger Prozess. Jetzt will der Gesetzgeber nachbessern. Von Peter Willenborg und Stefan Maeß

Die Zahl der Kliniken,

die im kommenden Jahr Mindestmengen-relevante Behandlungen durchführen und abrechnen dürfen, ist etwas geringer als in diesem Jahr. Das zeigt die im November veröffentlichte „Mindestmengen-Transparenzkarte 2021“ des AOK-Bundesbandes (siehe Webtipp). Basis der Online-Karte sind die Prognose-Entscheidungen der Landesverbände der Krankenkassen. Sie sind aufgrund der Fallzahlen für die relevanten Behandlungen aus den letzten anderthalb Jahren getroffen worden. Diese mussten die Kliniken bis zum 7. August an die Kassen melden. Eine positive Prognose für das Folgejahr konnten dabei auch Kliniken erhalten, die die notwendige Zahl von Operationen – zum Beispiel infolge der Absage von planbaren Eingriffen in der Corona-Pandemie – nicht erbracht haben.

Große Unterschiede im Fallzahl-Niveau.

Insgesamt zeigt die Karte 1.075 Klinik-Standorte. Das sind 17 weniger als im vergangenen Jahr, als die AOK ihre Transparenzkarte erstmals veröffentlicht hat. Die Indikation mit den wenigsten beteiligten Kliniken ist die Lebertransplantation (21 Standorte), gefolgt von Nierentransplantationen (36), Stammzelltransplantationen (89), Versorgung von Frühgeborenen mit besonders geringem Geburtsgewicht (164) sowie komplexen Operationen an der Speiseröhre (238) und an der Bauspeicheldrüse (423). Der Eingriff mit den meisten zur OP berechtigten Kliniken ist die Erstimplantation von Knie-Totalendoprothesen: 934 Klinik-Standorte haben für das kommende Jahr eine Abrechnungserlaubnis erhalten. Das sind 23 Standorte weniger als in diesem Jahr.

Grafik: Klagen vor Sozialgerichten

Bundesweit haben rund 70 Kliniken für bestimmte, Mindestmengen-relevante Operationen keine positive Prognose der Landesverbände der Krankenkassen erhalten und dürfen diese folglich nicht mehr mit den Krankenkassen abrechnen. Etwa die Hälfte der betroffenen Kliniken ist dagegen vor Gericht gezogen.

Quelle: AOK-Bundesverband; Stand 11/2020

In der AOK-Karte lassen sich schon auf den ersten Blick regionale „Cluster“ erkennen, in denen viele Kliniken die komplizierten Knie-Operationen anbieten – mit großen Unterschieden im Fallzahl-Niveau. So gibt es beispielsweise in Köln neun Kliniken, die 2021 künstliche Kniegelenke implantieren dürfen. Doch während in einer Kölner Klinik im vergangenen Jahr 852 Operationen dieser Art stattfanden, waren es an einem anderen Standort in der Domstadt nur 51. Diese von den einzelnen Kliniken gemeldeten Fallzahlen werden in der Online-Karte im Detail abgebildet.

Schmerzhafter Prozess.

„Die 2019 neu eingeführten Regelungen zur Meldung der OP-Zahlen durch die Krankenhäuser führen zu mehr Transparenz – nicht nur für die Krankenkassen, sondern dank unserer Online-Karte auch für Patienten und einweisende Ärzte “, sagte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. „Die von den Krankenhäusern gemeldeten Fallzahlen geben wichtige Hinweise auf die Routine der OP-Teams am jeweiligen Standort.“ Für die Kliniken, die bestimmte komplexe Eingriffe nicht mehr erbringen dürfen, sei das mitunter ein schmerzhafter Prozess. Das zeige auch die relativ hohe Zahl von Klagen vor den Sozialgerichten: Von den bundesweit rund 70 Kliniken, die von einem Vergütungsausschluss für 2020 betroffen waren, sind etwa die Hälfte vor Gericht gezogen (siehe Grafik: Klagen vor den Sozialgerichten). „Die Durchsetzung der Mindestmengen bleibt auch unter den neuen Rahmenbedingungen ein schwieriger Prozess“, sagt AOK-Vorstand Litsch.

Mindestmengen haben das Ziel, für besonders anspruchsvolle und komplizierte Operationen und Behandlungen ein Mindestmaß an Erfahrung vorauszusetzen. Studien belegen den Zusammenhang zwischen Routine und Behandlungsergebnis: In Kliniken, die die Mindestmengen einhalten, sind das Sterblichkeitsrisiko und das Risiko für Komplikationen bei den behandelten Patientinnen und Patienten deutlich niedriger als in Krankenhäusern, die nur wenige Eingriffe pro Jahr durchführen. Daher sind die gesetzlichen Mindestmengen ein wichtiges Instrument für mehr Patientensicherheit.

Derzeit gibt es für sieben Behandlungen gesetzlich vorgegebene Mindestmengen: Implantation von künstlichen Kniegelenken (50 Fälle pro Jahr), Transplantationen von Leber (20), Niere (25) und Stammzellen (25), komplexe Operationen an Speiseröhre (10) und Bauchspeicheldrüse (10) sowie die Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm (14). Der AOK-Bundesverband fordert eine Anhebung der im internationalen Vergleich eher niedrigen Mindestmengen sowie die Einführung zusätzlicher Mindestmengen für Operationen bei Brustkrebs, Lungenkrebs, Darmkrebs, Herzklappen-Implantationen und Hüftprothesen-Implantationen.

Peter Willenborg

Vor diesem Hintergrund begrüßt der AOK-Bundesverband die Pläne, mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) die Mindestmengen-Regelungen noch einmal zu schärfen. „Die geplante Stärkung der Mindestmengen ist wichtig, denn sie bewahren Patientinnen und Patienten vor unnötigen Komplikationen und können sogar Leben retten“, betont Litsch. Die Durchsetzung der Mindestmengen soll laut GVWG-Referentenentwurf unterstützt werden, indem die Klagen keine aufschiebende Wirkung haben. Zudem soll das Gesetz die Festlegung weiterer Mindestmengen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) mit ergänzenden Verfahrensregelungen fördern. „Die vorgeschlagenen Änderungen können wesentlich dazu beitragen, die derzeit schwierigen Erarbeitungen im GBA voranzubringen“, heißt es in der Stellungnahme des AOK-Bundesverbandes zum GVWG-Enwurf.

Die AOK hatte sich immer wieder für die Einführung neuer Mindestmengen ausgesprochen: „Studien zeigen, dass die Einführung zusätzlicher Mindestmengen für Operationen bei Brustkrebs, Lungenkrebs, Darmkrebs, Herzklappen-Implantationen und Hüftprothesen-Implantationen sinnvoll ist und die Qualität der Versorgung verbessern kann“, betont Litsch. Im Juni hatte der GBA auf Antrag des unparteiischen Vorsitzenden beschlossen, die Beratungen zur Etablierung einer Mindestmenge für Herzklappen-Implantationen aufzunehmen. Zuvor war das Thema im zuständigen Unterausschuss mehrfach vertagt worden. Im Entwurf für das neue Gesetz sind jetzt Maßnahmen vorgesehen, um die Prozesse im GBA zu straffen: Die Einführung eines festen Zeitplans, einer vorgegebenen Mindestanzahl an zu bearbeitenden Mindestmengen und eine Meldepflicht an den Bundestag.

Bestehende Mindestmengen zu niedrig.

Studien belegen, dass in Kliniken, die die vorgegebenen Mindestmengen einhalten, das Komplikationsrisiko und die Sterblichkeit der Patientinnen und Patienten geringer sind als in Krankenhäusern mit Fallzahlen unterhalb der Mindestmenge. Doch die bestehenden gesetzlichen Mindestmengen sind aus Sicht der AOK auch im internationalen Vergleich viel zu niedrig angesetzt. „Daher fordern wir eine Erhöhung der bestehenden Mindestmengen – zum Beispiel bei den komplexen Operationen an Speiseröhre und Bauchspeicheldrüse“, sagt AOK-Vorstand Litsch. Ein wichtiger Schritt sei die Erhöhung der Mindestmengen für die Versorgung von Frühgeborenen mit geringem Geburtsgewicht, die kurz vor der Verabschiedung im GBA stehe: „Das war ein zäher und langwieriger Prozess, weil sich die Vertreter der Kliniken im GBA mit Händen und Füßen gegen eine deutliche Erhöhung der Fallzahl-Grenze gewehrt haben“, kritisiert Litsch. „Gerade in diesem sensiblen und komplexen Versorgungsbereich hat diese Strategie der Verschleppung fatale Folgen für die betroffenen Kinder und ihre Eltern.“

Die Mindestmengen-Transparenzkarte der AOK macht für die einzelnen Krankenhäuser sichtbar, worauf die OP-Berechtigung basiert und welche Fallzahlen sie zuletzt erreicht haben. Kliniken, die das erste Mal oder nach einer mindestens zweijährigen Unterbrechung eine Leistungserlaubnis erhalten haben, weist die Online-Karte extra aus.

Peter Willenborg ist Pressereferent im AOK-Bundesverband.
Stefan Maeß ist Referent Versorgungsqualität im AOK Bundesverband.
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