Einwurf

Dialog als Heilmittel

Zeit ist ein knappes Gut in ärztlichen Praxen. Um die durchschnittlich sieben Minuten dauernden Patientengespräche besser zu nutzen, sollten Ärzte sich in Kommunikation fortbilden, empfiehlt Dermatologin Dr. Yael Adler.

Porträt von Yahel Adler, Hautärztin in eigener Praxis, Keynote Speaker und Autorin

Der Doktor hatte gar keine Zeit für mich –

so klagt manche Patientin und mancher Patient, nachdem sie wochenlang auf den Facharzttermin gewartet, dann eine gefühlte Ewigkeit im Wartezimmer verbracht haben und am Ende nach wenigen Minuten im Sprechzimmer wieder vor der Tür stehen, gegebenenfalls mit einem Rezept in der Hand. An dieser Stelle sei ein Geheimnis gelüftet: Ärztinnen und Ärzte haben in aller Regel wirklich wenig Zeit; deutscher Durchschnitt sind sieben Minuten pro Patient, schwedischer übrigens 23 Minuten. Ist das der Fluch, der über dem Arzt-Patient-Verhältnis liegt?

An Beziehungen muss man bekanntlich arbeiten, an der zu Patientinnen und Patienten besonders, denn die kann lebenswichtig für sie sein. Selbst erfahrenen Ärzten fällt es mitunter schwer, ihren Patienten komplizierte medizinische Sachverhalte mit der gebotenen Empathie nahe zu bringen. Das Ergebnis sind Missverständnisse, Ängste, Verstimmungen und Sprachlosigkeit – kein optimaler Start für die Therapie.

In der medizinischen Ausbildung wird inzwischen die konstruktive Arzt-Patient-Kommunikation trainiert. Das Nötige eingängig und zugewandt zu vermitteln, das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz einzuhalten, die Position des Patienten nachvollziehen zu können und wie die Ärzte selber in schwierigen Situationen und unter Druck professionell bleiben und nicht kaputtgehen, sind sinnvolle Lehrinhalte. Und die sollen nicht nur den Nachwuchs ansprechen – auch länger praktizierende Ärzte haben die Möglichkeit, sich darin zu professionalisieren. Es gibt Balintgruppen, Rollenspiele und Kommunikationstrainings, um Patienten da abzuholen, wo sie stehen.

Schlechte Kommunikation ist mit einem Kunstfehler vergleichbar.

Obwohl medizinische Fragen Dauerthema in allen Medien sind, obwohl es zu jedem noch so abwegigen medizinischen Phänomen mindestens ein Internetforum gibt, gilt die Gesundheitskompetenz bei über der Hälfte aller Deutschen als unzureichend entwickelt. Das betrifft das Wissen über Körper- und Organfunktionen ebenso wie Kenntnisse über eine gesunde Lebensweise und Ernährung. Weil die andere Hälfte der Patienten sich wiederum ganz gut zurechtfindet, liegt es bei uns Ärzten, an der richtigen Stelle anzusetzen. Das gilt auch, wenn das Gegenüber einschlägig vorbereitet in die Sprechstunde kommt. Achtzig Prozent der praktizierenden Mediziner begrüßen es, wenn ihre Patienten vor oder nach dem Arztbesuch im Internet recherchieren. Die Vielfalt der medialen Angebote kann aber auch verwirrend oder gefährlich sein, und die Tragfähigkeit oder Seriosität der angebotenen Inhalte ist für Laien nicht immer leicht zu beurteilen.

Deshalb sollte jeder einen Hausarzt oder eine Hausärztin haben, denen die soziale Einbindung und die Vorgeschichte der Patienten in zumindest groben Zügen vertraut ist. Weil der Hausarzt den Patienten über längere Zeiträume begleitet, kann er ihn nach einem ausführlichen Erstkontakt behutsam daran gewöhnen, die meist knappen Gesprächszeiten optimal auszufüllen: mit konkreten Fragen oder Ängsten, die ihn umtreiben. Auch beim Facharztbesuch nutzen Laborwerte, Vorbefunde und eine aktuelle Medikamentenliste. Der Patient ist dann nicht mehr nur der „Ertragende“, so die Übersetzung aus dem Lateinischen, sondern wirkt an seiner gesundheitlichen Wiederherstellung aktiv mit. Keine schlechte Aufgabenverteilung.
 
Auf lange Sicht zahlt sich die verbesserte Arzt-Patient-Kommunikation aus, zu der neben Zeit auch Mimik, Körpersprache und Menschlichkeit gehören. Der Patient kann hier nicht nur mitnehmen, welche Arzneimittel er nutzen sollte, sondern auch was er selber tun kann. Sprachlosigkeit, das ist hier nicht anders als in anderen Lebensbereichen, schädigt auf Dauer die Beziehung, verursacht Stress und steht der Heilung im Weg. Schlechte Kommunikation ist so destruktiv, dass sie mit einem Kunstfehler vergleichbar ist.

Nehmen wir den Dialog also weiter auf, nutzen wir dieses Heilmittel!

Yael Adler ist Hautärztin in eigener Praxis, Keynote Speaker und Autorin.
Bildnachweis: Thomas Duffé