Interview

„Jungen Ärzten fehlt Unternehmergeist“

Vor rund sechs Jahren haben Ärzte eine eigene Praxisbörse im Internet ins Leben gerufen. Initiator Dr. Christian Ottomann berichtet über die Entwicklung des Portals und schildert, was Ärztinnen und Ärzte bei der Suche nach einem Nachfolger besser machen können.

Herr Dr. Ottomann, wie kam es zur Gründung der Landarztbörse im Internet?

Christian Ottomann: Ich war 15 Jahre in der Intensivmedizin tätig. In einem Sabbatjahr bin ich gefragt worden, ob ich als Schiffsarzt arbeiten möchte. Darauf habe ich mich eingelassen. Zuerst ging es in die Arktis und das war ein sehr beeindruckendes Erlebnis. Zeitgleich prosperierte die Kreuzfahrt in Deutschland. Und dann habe ich gemerkt, dass es einen Bedarf an Schiffsärzten gibt und habe eine kleine Plattform für Freunde und Bekannte programmieren lassen. Im Jahr 2011 ist daraus die Schiffsarztbörse geworden. Später habe ich noch die Flugarztbörse ins Leben gerufen, weil ständig Ärzte zur weltweiten Begleitung von medizinischen Spezialtransporten gesucht werden. Im Laufe der Zeit bin ich dann immer wieder von Kollegen gefragt worden, ob ich nicht ihre Praxis in meinem Netzwerk anbieten kann. Da zeigte sich, dass es den Bedarf nach einer Plattform von Ärzten für Ärzte gibt, auf der Praxen vermittelt werden. 2015 gründete ich somit die Landarztbörse.

Porträt von Dr. Christian Ottomann, Initiator der Praxisbörse

Zur Person

Dr. Christian Ottomann, 48, arbeitet als Privatdozent und ist mehrere Wochen im Jahr als Schiffsarzt auf den Meeren unterwegs. Sein Spezialgebiet sind die Verbrennungsmedizin und die Therapie von komplizierten Wunden.

Was umfasst Ihre Plattform und wie hat sie sich im Laufe der Jahre entwickelt?

Ottomann: Wir haben angefangen mit Praxisverkauf und Praxissuche. Dies sind auch weiterhin die beiden Hauptstandbeine. Und dann haben wir irgendwann die Stellenangebote hinzugenommen, bei denen ein Arzt eine Unterstützung oder Praxisvertretung suchen kann. Inzwischen können auch Praxisimmobilien zum Kaufen oder Mieten beworben werden.

Was ist der Vorteil Ihrer Landarztbörse?

Ottomann: Wir Mediziner sind diese Praxisbörsen von Banken, Versicherungen und Niederlassungsberatern leid. Die machen nicht viel und nehmen zum Teil bis zu zehn Prozent des Praxiswertes als Marge oder als Gebühr. Auch die Praxisplattformen der Kassenärztlichen Vereinigungen erfüllen oft nicht die Erwartungen. Bei Layout und Bedienbarkeit befinden sie sich teils auf dem Stand von 1999.

Wie finanziert sich Ihr Portal?

Ottomann: Die Praxisbörse ist kostenlos für alle, die etwas suchen: eine Praxis oder eine Praxisvertretung etwa. Wer seine Praxis inserieren will, der muss eine geringe Mitgliedsgebühr von 9,99 Euro pro Monat zahlen. Die Mitgliedschaft ist monatlich kündbar. Es geht dabei um einen kollegialen Obolus. Weitere Kosten gibt es nicht. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass auch Makler bei uns inserieren dürfen. Dann fällt eine Maklercourtage an.  

Verdienen Sie auch an Sonderleistungen?

Ottomann: Wir bieten als Add-on noch Serviceleistungen. Die geben wir an Drittanbieter weiter und kriegen dafür eine Provision. Da gibt es beispielsweise den Verdienstkalkulator. Dann haben wir den Praxisrechner, da kann der Wert einer Praxis eruiert werden. Und es werden auch ein Geomarketing- und Standortanalysetool angeboten.

Wie viele Ärzte nutzen die Landarztbörse?

Ottomann: Jeden Tag besuchen zwischen 5.000 und 10.000 Ärztinnen und Ärzte das Portal. Im Moment haben wir mehr als 2.000 Anzeigen. Wir haben einen totalen Überhang an Praxisangeboten. Auf zehn Praxen, die auf dem Markt sind, kommt ein Arzt, der eine Praxis sucht.

Woran liegt das?

Ottomann: Jungen Ärzten fehlt oft der Unternehmergeist. Man muss sie aber verstehen, weil der Arztberuf kein freier Beruf mehr ist. Man kann noch so tüchtig sein, aber wenn ich eine kassenärztliche Praxis habe, dann bekomme ich ab einer bestimmten Menge die Leistungen nicht mehr voll vergütet. Auch der Bürokratieaufwand schreckt viele junge Ärzte ab, so dass sie sich lieber anstellen lassen. Viele wollen auch in der Stadt leben, mit all den Folgen für ländliche Gebiete.  

Wo ist es besonders schwierig, eine Praxis abzugeben?

Ottomann: In den wirklich ländlichen Regionen haben wir in Deutschland ein großes Problem bei der Suche nach Nachfolgern. Das wird sich in den nächsten Jahren aufgrund der Überalterung der Ärzteschaft erheblich zuspitzen. Eine Praxisabgabe ist kein Problem in Großstädten, attraktiven Unistädten und mittelgroßen Städten, auch nicht in den Speckgürteln der Metropolen.

Die Landarztbörse bietet kosten-, provisions- und courtagefreie Inserate. Die Website ermöglicht einen schnellen Einblick in die Eckdaten der angebotenen Praxis. Anhand von Postleitzahl, Ort, Fachgebiet und Praxistyp kann nach der geeigneten Praxis Ausschau gehalten werden. Auch Teilabgaben und die Suche nach Mitarbeitern und Praxisvertretungen sind möglich.

Was wird bei der Suche nach einem Praxisnachfolger häufig falsch gemacht?

Ottomann: Ärzte denken meist nicht betriebswirtschaftlich, weil die Patienten einfach da sind. Sie stehen ja oft schon um sechs Uhr vor der Tür und rennen die Praxis ein. Viele Mediziner haben sich daher nie um marktwirtschaftliche Belange gekümmert. Es gibt immer noch Arztpraxen, die keine Website haben. Oder die Räume wurden das letzte Mal 1985 renoviert. Da ist kein Grundkonzept, kein roter Faden. Die haben sich einfach auf ihrer Praxis ausgeruht. Das merkt ein potenzieller Praxisnachfolger.

Was raten Sie Ärzten, die ihre Praxis abgeben wollen?

Ottomann: Sie sollten sich darüber fünf Jahre vorher Gedanken machen. Und dann ein bisschen investieren, etwa in eine Website, in Renovierung, in neue Geräte und dergleichen. Junge Ärzte haben ein Feingefühl, welches Potenzial eine Praxis hat. Wenn sie bei null anfangen müssen, weil die Praxis den Charme der 80er-Jahre trägt, dann suchen sie sich eine andere.

Was passiert, wenn ein Arzt partout keinen Nachfolger für seine Praxis findet?  

Ottomann: Dann schließt er ab und macht die Praxis für immer dicht. Einige Ärzte versuchen als Notlösung noch, ihre Praxis zu verschenken oder für einen Euro zu verkaufen, weil ihnen die Patienten am Herzen liegen. Wenn selbst das nicht klappt, dann fällt der Arzt im Ort weg. Viele Kommunen sind echt verzweifelt.

Wie viele Praxen haben durch die Börse schon ihren Besitzer gewechselt?

Ottomann: Es waren viele, aber genau lässt sich das nicht sagen.Wir wollen mit der eigentlichen Praxisabgabe nichts zu tun haben, um nicht in die Haftung zu kommen. Das sollen die Ärzte unter sich regeln.

Was kostet eine Praxis?

Ottomann: Die Spanne reicht von einem Euro bis zu mehreren Millionen. Das hängt von der Lage ab, ob Land oder Großstadt sowie vom Fachgebiet. Wir haben ganz wenige Anzeigen für Radiologiepraxen, weil sie enorm lukrativ sind und nicht inseriert werden müssen. Es sind zu 80 Prozent internistische und allgemeinmedizinische Praxen, also Hausarzt-Praxen, im Angebot. Eine chirurgische Praxis mit Kassensitz hingegen muss nicht inseriert werden, egal wo.

Wie groß ist das Team, das die Landarztbörse betreut?

Ottomann: Wir sind drei bis vier Leute, die sich neben ihren Arztberufen um die Börse kümmern – aus Leidenschaft. Ich kann auch während meiner Schiffstouren von überall auf der Welt das Portal betreuen.

Thorsten Severin führte das Interview. Er ist Redakteur der G+G.
Bildnachweis: privat