Einwurf

Medizin für Frauenherzen

Wir brauchen ein besseres Bewusstsein für die gesundheitlichen Unterschiede von Frauen und Männern, meint Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek. Die Expertin für Gender-Medizin macht das am Beispiel von Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich.

Porträt von Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, Expertin für Gender-Medizin

Ärztinnen und Ärzte

müssen über Frauen besser Bescheid wissen. Das zeigt sich am Beispiel der Herzgesundheit. Vor allem jüngere Frauen haben ein anderes Spektrum an Herzerkrankungen als Männer. Verkrampfungen der Herzkranzgefäße, Längseinrisse oder funktionelle Störungen der kleinen Herzkranzgefäße sind bei Frauen häufiger. Die Symptome entsprechen oft nicht den klassischen Beschwerden der Männer bei Arteriosklerose.

Frauen brauchen für solche Erkrankungen eine maßgeschneiderte Therapie. Arzneimittel müssen deshalb von Anfang an für Männer und Frauen entwickelt und in Studien getestet werden. Doch die tierexperimentelle Entwicklung findet meist in der jungen männlichen Maus statt und an Mausmodellen, die die männlichen Krankheitsbilder imitieren. Substanzen, die nur an weiblichen Tieren oder bei typisch weiblichen Krankheitsbildern wirken würden, haben so gar keine Chance entdeckt zu werden. Die ersten klinischen Prüfungen finden ganz überwiegend an jungen Männern statt. Bei den großen Zulassungsstudien finden sich Geschlechterunterschiede selten im Prüfprotokoll und es werden oft noch überwiegend Männer eingeschlossen. In weniger als zwölf Prozent der Studien werden Wirkungen und Nebenwirkungen spezifisch für Männer und Frauen veröffentlicht, auch wenn sie bekannt sind. Dies muss Pflicht werden für alle Berichte über klinische Studien.

Dass Frauen mehr Arzneimittel-Nebenwirkungen haben als Männer, ist seit Langem bekannt. Erstaunlich, dass man so wenig darüber nachdenkt, ob Frauen nicht vielleicht andere Dosen brauchen würden. Untersuchungen aus der Herz-Kreislauf-Forschung und aus der Onkologie liefern starke Hinweise darauf, aber gezielte Studien liegen kaum vor. Interaktionen von Medikamenten mit Geschlechtshormonen sind unzureichend untersucht. Und zu Arzneimittelwirkungen in der Schwangerschaft, die man in Studien nur schwer untersuchen kann, liegen keine adäquaten Register vor.

An geschlechtsspezifischen Konzepten und Leitlinien fehlt es bisher.

Frauen unterschätzen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Lange genug hat man ihnen erzählt, dass Herzinfarkte und Schlaganfälle Männersachen sind. Frauentypische Symptome beim Herzinfarkt, wie starke Übelkeit, starke Schwäche, Schweißausbruch sind häufig nicht als solche bekannt. Dementsprechend kommen die Frauen immer noch später mit einem akuten Herzinfarkt zur Behandlung.
 
Geschlechtsspezifische Versorgung ist nur mit entsprechenden Konzepten und Leitlinien möglich. An ihnen fehlt es bisher. Leitlinien-Autoren berufen sich darauf, dass es wenige Studien mit klaren Aussagen zu Geschlechterunterschieden gibt. Aber sie rufen auch nicht dazu auf, diese Studien endlich zu beginnen.
 
Frauen schätzen zudem das Risiko anderer Menschen wesentlich besser ein als ihr eigenes. Die potenziellen Patientinnen müssen besser informiert werden. Material zu frauenspezifischen Ausprägungen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zur Prävention und Früherkennung muss Mädchen und Frauen leicht zugänglich gemacht werden.
 
Die Gender-Medizin will die Geschlechter nicht gegeneinander ausspielen. Sie will dafür sorgen, dass spezifische Besonderheiten beider Geschlechter erkannt, untersucht und angemessen behandelt werden. Doch nur an einer von 38 medizinischen Fakultäten in Deutschland wird Gender-Medizin im Pflichtunterricht gelehrt und im Staatsexamen geprüft. Die Ärztekammern lehnen es immer noch ab, geschlechtsspezifisches Wissen in der Facharzt-Anerkennung abzufordern. Die Deutsche Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin arbeitet daran, geschlechtsspezifische Aspekte in die Weiterbildung einzubringen. Forschungsprogramme sind überwiegend nicht darauf ausgerichtet, geschlechtsspezifische Unterschiede zu untersuchen.
 
Wir brauchen ein besseres Bewusstsein für die gesundheitlichen Unterschiede von Männern und Frauen. Ärztinnen und Ärzte, Patientinnen und Forscherinnen, Versorger und Politikerinnen sind gefordert, die Gender-Gaps zu überwinden.

Vera Regitz-Zagrosek ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin.
Bildnachweis: privat