Porträt
Kommentar

Das Corona-Leid in der Pflege

Das Leid von Pflegebedürftigen in der Corona-Pandemie ist groß. Die Verletzlichsten der Gesellschaft müssen ausbaden, was die Politik versäumt hat, kritisiert Bettina Markmeyer.

Wenn alles vorbei ist,

werden Bilder von dieser Pandemie im kollektiven Gedächtnis überdauern: die Särge von Bergamo, die Lazarettzelte im Central Park von New York. Hierzulande sind es Bilder von alten Menschen hinter geschlossenen Glastüren.

Abstand ist die neue Fürsorge? Nein, in diesem Fall nicht. Millionen pflegebedürftige Menschen, ihre Angehörigen und die Pflegekräfte zahlen einen schrecklich hohen Preis für das Versagen der Politik. Es beginnt nicht erst mit einer eiskalten Impfbürokratie, die Hochbetagte an überlasteten Hotlines verzweifeln lässt. Es beginnt damit, dass es keinen Plan für den Schutz der Vulnerabelsten gibt, als die Epidemie beginnt.
 
Während andere mit der Not ein Geschäft machen, werden die Altenheime dichtgemacht. Im Extremfall kümmern sich drinnen infizierte Pflegekräfte um Sterbende. Heimbewohner sind über Monate zur Passivität verdammt. Abfangen müssen das erschöpfte und unterbezahlte Altenpflegerinnen. Selbst um die Auszahlung der vom Bund zugesagten Corona-Prämien für Pflegekräfte wird mit den Ländern und Heimträgern wochenlang gerungen. Ein halbes Jahr später scheitert ein Branchentarif für höhere Mindestentgelte am Veto christlicher Arbeitgeber.

Ein Jahr Corona und in der Pflege nichts Neues.

Eine Forderung des BIVA-Pflegeschutzbundes, Heimbewohnern zehn Prozent ihres Eigenanteils für die unter Corona-Bedingungen notgedrungen reduzierte Pflege zu erstatten, hat bis heute kein Politiker aufgegriffen. Obwohl die Pflegebedürftigen für Leistungen weiterhin zahlten, die sie nicht erhielten und erste Studien die Folgen dokumentieren: fortschreitende Demenz, abnehmende Mobilität, Depressionen, einsames Sterben. Keine andere Gruppe ist derart drastischen Eingriffen in ihre Grundrechte ausgesetzt wie die Verletzlichsten. Geschützt werden sie dadurch nicht. Bis zum Beginn der Impfungen ist jeder zweite Corona-Tote ein Mensch aus einem Pflegeheim, regional zeitweilig bis zu zwei Drittel. Ein Jahr nach dem ersten Lockdown waren immer noch nicht alle Heimbewohner vollständig geimpft.
 
Ungehört verhallt die Aufforderung des Deutschen Ethikrats, immunisierten Heimbewohnern wieder ein normales Leben zu ermöglichen. Kontakt- und Besuchsbeschränkungen blieben vielerorts bestehen.

Ein Jahr Corona und in der Pflege nichts Neues – nur mehr vom alten Leid: Auch die nächste Pflegereform wird daran kaum etwas ändern. Dafür ist sie nicht mutig genug.

Bettina Markmeyer ist Korrespondentin beim Evangelischen Pressedienst (epd).
Bildnachweis: epd