Arbeitsmarkt

Stille Reserve für die Pflege

Viele Pflegekräfte hängen den Job nach wenigen Jahren an den Nagel. Sie wiederzugewinnen gehört zu den Strategien bei der Suche nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für Kliniken und Heime. Bärbel Triller stellt dar, wie sich die Ausgestiegenen zur Rückkehr in den Beruf bewegen lassen.

Jetzt kommt die Mutti um die Ecke: Dass die neuen Kollegen so denken könnten, davor hatte Manuela Brandt durchaus Angst. Doch die examinierte Krankenschwester, die nach zehn Jahren wieder in ihren Beruf zurückkehrte, machte positive Erfahrungen. „Ich habe Glück gehabt und eine tolle Station erwischt. Die Kollegen haben mich mit offenen Armen empfangen und mit viel Geduld während der Einarbeitung unterstützt“, freut sich Brandt. Ihre Ausbildung schloss sie 1998 in einem Akutkrankenhaus ab, anschließend arbeitete sie in der Klinik für Strahlentherapie und Urologie. Sie heiratete, bekam drei Kinder. Weil sich Nachtdienst und Familienphase zeitlich gut arrangieren ließen, arbeitete sie in einem Pflegeheim auf Minijob-Basis. „Ich habe dort ganz andere Facetten der Pflege kennengelernt“, sagt Brandt. Der medizinische Anteil habe ihr trotz allem gefehlt. Über eine Rückkehr in ein Krankenhaus habe sie schon länger nachgedacht. „Ich habe mich nicht getraut. Der Klinikbetrieb ist zu schnelllebig“, sagt die heute 43-Jährige.

Viele Stellen bleiben offen.

So wie Brandt geht es vielen Pflegekräften. Nach Jahren der Familienphase oder Tätigkeiten in anderen Branchen fragen sie sich, ob sie den Anforderungen in der professionellen Pflege noch gewachsen sind. Oder sie werden mit Arbeitsbedingungen konfrontiert, die nicht mehr zu ihrem Lebensentwurf passen. Wie der Drei-Schicht-Betrieb in einem Krankenhaus. Als Mutter von zwei kleinen Kindern versuchte Alexandra Kessler, wieder in ihrem Beruf als Gesundheits- und Krankenpflegerin Fuß zu fassen. Ihre Ausbildung absolvierte sie in der Rheinhessen-Fachklinik Alzey. Hier wollte sie auch wieder arbeiten. „Ich habe die Stationen abgeklappert, aber es gab nichts für mich“, sagt die 27-Jährige. Der Grund: Sie konnte nur arbeiten, wenn ihre Kinder in der Kita waren.
 
Pflegefachkräfte werden seit Jahren von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen händeringend gesucht. Die Bundesagentur für Arbeit meldet in ihrem Bericht „Blickpunkt Arbeitsmarkt – Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich“ von Mai 2020 eine anhaltend hohe, teilweise steigende Nachfrage vor allem nach Fachkräften in der Kranken- und Altenpflege. Im Jahresdurchschnitt 2019 waren 23.500 freie Stellen in der Altenpflege und 16.200 freie Stellen in der Krankenpflege bei der Bundesagentur gemeldet. Die Stellenangebote in der Krankenpflege blieben im Schnitt 174 Tage unbesetzt, in der Altenpflege betrug die Vakanz im Schnitt sogar 205 Tage. Da nicht jeder Arbeitgeber freie Stellen der Bundesagentur für Arbeit anzeigt, lässt sich nicht genau sagen, wie hoch die Zahl der offen bleibenden Stellen in der Pflege tatsächlich ist. Eine amtliche Statistik existiert nicht.

Porträt von Werner Winter vom Fachprojekt „BGF in der Pflege“ im AOK-Bundesverband

„BGF kann den Pflexit verhindern“

Wie Gesundheitsförderung zur Rückkehr in den Pflegeberuf bewegen kann und was dafür nötig ist, beleuchtet Werner Winter vom Fachprojekt „BGF in der Pflege“ im AOK-Bundesverband. Zum G+G-Interview ...

„Das ist ein großes Problem für die Pflegeverbände. Wir fordern schon seit vielen Jahren von der Politik, Statistiken zu führen“, sagt Irene Maier, Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerates. „Es gibt keine verlässliche Datenbasis“, bestätigt Alexandra-Corinna Heeser, Pressesprecherin der Bundespflegekammer. Bislang ließe sich die Zahl der Pflegefachpersonen und die Zahl der Pflegeaussteiger nur schätzen. Eine solide Datenbasis, um auch künftige Entwicklungen im Blick zu haben, werde derzeit in den drei bestehenden Landespflegekammern aufgebaut.

Bedarf wird sich weiter erhöhen.

Im Zuge des demografischen Wandels wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen weiter erhöhen. Im Dezember 2019 lebten in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 4,1 Millionen Pflegebedürftige. Bis zum Jahr 2050, so die Prognose von Experten, könnten es rund 5,9 Millionen Pflegebedürftige sein. Eine Projektion des Wissenschaftlichen Instituts der AOK im Pflege-Report 2019 ergab für das Jahr 2030 im Vergleich zu 2017 einen Mehrbedarf von rund 130.000 Vollzeitstellen in der Langzeitpflege. Diese Hochrechnung basiert auf der aktuellen Pflegesituation, die heute schon als unzureichend kritisiert wird. Und in der Krankenpflege sollen laut der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nach Berechnungen des Gesundheitssystemforschers Michael Simon aktuell bereits mindestens 100.000 zusätzliche Pflegekräfte für eine bedarfsgerechte Versorgung fehlen.

Die heutige Personalnot in der Pflege hat laut Simon eine lange Tradition. Unter dem Druck, wirtschaftlich und gewinn­orientiert arbeiten zu müssen, wurden Personalkosten in den 1990er und 2000er Jahren in den Krankenhäusern zunehmend zu einer wichtigen Stellschraube. Personal wurde abgebaut, Stellen gestrichen. Ab 2007 hat die Zahl der examinierten Pflegekräfte an Allgemeinkrankenhäusern dann wieder langsam zugenommen. Die Zahl der Auszubildenden in der Krankenpflege sank von 65.707 im Jahr 1998 auf 64.512 im Jahr 2018. In der Altenpflege hat die Zahl der Auszubildenden von 1998 bis 2018 zwar zugenommen: von 37.294 auf 69.525. Allerdings brechen rund 28 Prozent des Nachwuchses ihre Ausbildung ab. In der Krankenpflege war die Abbruchquote in diesem Zeitraum mit 31 Prozent sogar noch höher. Diese Zahlen nennt Verdi unter Berufung auf das Statistische Bundesamt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund spricht von einem „hausgemachten“ Fachkräftemangel in der Altenpflege. Unzureichende Erstausbildungen, fehlende Attraktivität des Berufes und auch ungenügende politische Finanzierungsregelungen nennt er als Ursache.

Begrenzte Tätigkeitsdauer im Pflegeberuf.

Und auch viele ausgebildete Fachkräfte hält es nicht lange in ihrem Beruf. Innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Ausbildung verlassen laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit 23 Prozent der Gesundheits- und Krankenpflegekräfte sowie 24 Prozent der Altenpflegekräfte einer Ausbildungskohorte ihren Beruf. Damit gehört der Pflegeberuf zu den Berufen mit „begrenzter Tätigkeitsdauer“.

Die Ursachen für den Ausstieg sind vielfältig. Außer Gründen, die aus den persönlichen Lebensumständen resultieren, zählen vor allem unzureichende Arbeitsbedingungen zu den Motiven. „Die meisten Aussteigerinnen und Aussteiger verlassen nicht den Beruf, sondern schlechte Rahmenbedingungen: zu wenig Personal, unflexible Arbeitszeiten, unsichere Dienstplanung, niedriges Gehalt, wenige Optionen für Fachkarrieren“, sagt Anja Hild, Pressereferentin im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK).

Konzertierte Aktion legt Umsetzungsbericht vor.

Die schlechten Rahmenbedingungen für die Arbeit in der Pflege und die fehlenden Kräfte beschäftigen seit einigen Jahren verstärkt auch die Politik. So riefen 2018 Gesundheits-, Arbeits- und Familienministerium die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) ins Leben. Zudem legte der Gesetzgeber ein Sofortprogramm Pflege auf.

Der Pflegeberuf gehört zu den Berufen mit „begrenzter Tätigkeitsdauer“.

Mit dem Sofortprogramm Pflege, umgesetzt im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG), „sollen spürbare Verbesserungen im Alltag der Pflegekräfte durch eine bessere Personalausstattung und bessere Arbeitsbedingungen in der Kranken- und Altenpflege erreicht werden“. Die an der KAP beteiligten Expertinnen und Experten legten im November 2020 einen ersten Umsetzungsbericht vor. Er bezieht sich auf die im Juni 2019 formulierten Ziele für Weiterbildung, Personalmanagement und Gesundheitsförderung, innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung, Fachkräfteanwerbung aus dem Ausland sowie Entlohnung.

Studie zur Arbeitsplatzsituation gestartet.

Auf der Suche nach personellen Ressourcen, um den Notstand in der Pflege zu mildern, rücken Wiedereinsteiger und ihre Motive zunehmend in den Fokus. Die Partner der KAP-Arbeitsgruppe 2 haben sich unter anderem dem Wiedereinstieg in den Pflegeberuf gewidmet. Da die Rückkehrbereitschaft der Pflegekräfte von bestimmten Voraussetzungen wie flexiblen Arbeitszeiten, weniger Schichtdiensten und einer verlässlichen Dienstplanung abhängt, haben es sich die KAP-Partner zum Ziel gesetzt, „Anreize und Unterstützungsangebote für die Planung des Wiedereinstiegs in den Pflegeberuf“ zu schaffen oder auszubauen. In allen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sollen gute betriebliche Strukturen für die Rückgewinnung und (Wieder-)Einarbeitung von beruflich Pflegenden etabliert werden.

Außerdem hat das Gesundheitsministerium, wie in der KAP vereinbart, die „Studie zur Arbeitsplatzsituation in der Akut- und Langzeitpflege und Ermittlung sowie modellhafte Implementierung von Indikatoren für gute Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege“ in Auftrag gegeben. Beschäftigte in der ambulanten und stationären Pflege sowie in der Akutpflege im Krankenhaus werden dazu befragt, wie sie sich ihren Arbeitsplatz der Zukunft vorstellen, mit welchen Maßnahmen die Attraktivität der Pflege gesteigert, der Verbleib im Pflegeberuf erhöht und beruflich Pflegende für die Pflege zurückgewonnen werden können. Mit ersten Befragungen wurde begonnen, Ergebnisse liegen noch nicht vor. Der Abschluss der Studie ist für das Frühjahr 2022 geplant.

Viele Aussteiger zur Rückkehr bereit.

Bisher liegen nur wenige Daten über die potenzielle Zahl der Wiedereinsteiger und ihre Motivation vor. Die Pflege-Come-Back-Studie (2018, Forschungsinstitut Physma im Auftrag der Hartmann Gruppe) ergab, dass 48 Prozent der ausgestiegenen Pflegekräfte unter bestimmten Voraussetzungen bereit sind, wieder in ihrem Beruf zu arbeiten. Die Arbeitnehmerkammer Bremen und das Forschungszentrum Socium der Universität Bremen haben in der aktuellen Studie „Ich pflege wieder, wenn …“ (siehe Umfrage) ebenfalls untersucht, wie hoch das Potenzial der rückkehrbereiten Fachkräfte in der Pflege ist. Anfang Februar 2021 lagen die Ergebnisse vor. Demnach würden knapp 60 Prozent der ausgestiegenen Pflegekräfte wieder in ihren Beruf zurückkehren, wenn sie passende Arbeitsbedingungen vorfänden.

Umfrage: Anerkennung fördert Berufsrückkehr

Damit Pflegekräfte in den Beruf zurückkehren oder ihre Stundenzahl erhöhen, müssten sich die Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit verbessern. Das zeigt die Befragung „Ich pflege wieder, wenn ...“ von Arbeitnehmerkammer Bremen und SOCIUM der Universität Bremen. Besonders wichtig sind den Befragten demnach das berufliche Selbstverständnis und die Anerkennung sowie Organisation und Führung. Mehr als 80 Prozent bewerteten in der Umfrage diese Bereiche als „ganz wichtig“ oder „wichtig“.

Quelle: Befragung „Ich pflege wieder, wenn ...“, Arbeitnehmerkammer Bremen und Socium-Institut der Universität Bremen, 2021

Wichtig für den Wiedereinstieg sind den Befragten unter anderem Wertschätzung und Respekt für ihre Arbeit, weniger Zeitdruck und mehr Zeit für fachlich hochwertige Pflege, mehr Personal, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und eine bessere Bezahlung. Zu einem ähnlichen Ergebnis in Bezug auf die Motive für die Rückkehr kommt auch die Erhebung „Berufsverbleib und Wiedereinstieg von Pflegefachpersonen in Schleswig-Holstein“ (2020, Hochschule für Gesundheit und Gesellschaft Ludwigshafen im Auftrag der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein) in ihrem Zwischenbericht.

Zahlreiche Arbeitgeber werden aktiv.

Unter dem Druck, qualifiziertes Personal zu finden, haben zahlreiche Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen damit begonnen, Programme für Rückkehrer zu entwickeln. Laut Auskunft des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa) haben sich „Mitglieder in einzelnen Bundesländern, zum Teil zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit, an speziellen Angeboten für Berufsrückkehrer beteiligt, beispielsweise in Form der Bereitstellung von Plätzen für Praktika. Einige Träger bieten insbesondere für Berufsrückkehrer nach längeren Erziehungszeiten spezielle Rückkehrangebote an“.
 
Auch die Pflegefachkräfte Manuela Brandt und Alexandra Kessler haben von der Eigeninitiative ihrer Arbeitgeber profitiert. Brandts Befürchtungen, in der professionellen Pflege nicht mehr mithalten zu können, konnten ihr genommen werden. Sie absolvierte den Kurs „Begleitung beim beruflichen Wiedereinstieg“, angeboten vom St. Franziskus-Hospital in Münster. „Wir haben festgestellt, dass viele Fachkräfte nach der Familienphase nicht wieder zurückgekehrt sind“, sagt Pflegedirektor Leonhard Decker. Darunter seien Pflegefachkräfte mit langer Berufserfahrung, die sich einfach nicht zugetraut hätten, ihre Arbeit auf Station wieder aufzunehmen. „Mit dem Wiedereinstiegskurs wollen wir den Rückkehrern einen geführten Weg in die Pflege bieten und einen geschützten Rahmen eröffnen, in dem sie ihre Kenntnisse auffrischen können“, erklärt Decker. Im theoretischen Teil wird das berufsspezifische Wissen auf den neuesten Stand gebracht. Im Anschluss machen die Teilnehmerinnen ein zweiwöchiges Praktikum im St. Franziskus-Hospital.

„Das Ziel ist ein unbefristeter Arbeitsvertrag“, betont Decker. Bislang haben rund 90 Prozent der Absolventinnen und Absolventen eine Arbeitsstelle im St. Franziskus Hospital gefunden, so wie die Krankenschwester Manuela Brandt. Sie kann den Besuch eines Wiedereinstiegskurses nur empfehlen. „Mir hat der Kurs gut getan. Ich habe mir durch den Wiedereinsteigerkurs zugetraut, in der Klinik wieder Fuß zu fassen“, betont Brandt.

Arbeitszeiten flexibilisieren.

In der Rheinhessen-Fachklinik Alzey, dem Arbeitgeber von Alexandra Kessler, entschied man sich für ein neues Arbeitszeitmodell, um Pflegefachkräfte zu motivieren. „Viele rückkehrbereite Pflegekräfte sind uns durch die Lappen gegangen, weil die klassischen Krankenhausschichten für sie nicht passten“, sagt Pflegedirektor Frank Müller. Im FleXperten-Team (das Konzept stammt aus den Niederlanden) können sich die Pflegekräfte ihre Arbeitszeiten aussuchen. Im Gegenzug weist die Rheinhessen-Fachklinik den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihre Einsatzgebiete zu.

Die Pandemie verringert laut einer Umfrage die Bereitschaft zum Wiedereinstieg in den Pflegeberuf.

„Die Beschäftigten erhalten so ihre Wunscharbeitszeit passend zum Lebensmodell und die Klinik kann ihren Personalbedarf, vor allem bei kurzfristigen Ausfällen, besser abdecken“, erklärt Müller. Der Plan ist, dass etwa zehn Prozent der rund 1.100 Mitarbeiter im FleXperten-Team arbeiten. Noch ist Pflegefachkraft Kessler in der Einarbeitungszeit. Sie wird, je nach Stellenumfang eines FleXperten und nach Dauer der beruflichen Auszeit, individuell gesteuert. Dafür beschäftigt die Rheinhessen-Fachklinik Alzey einen FleXpool-Manager. Für Alexandra Kessler kam das Modell FleXperten-Team in der Rheinhessen-Fachklinik Alzey wie gerufen. „Das war für mich wie eine Eintrittskarte in den Beruf. Ich hatte schon über Umschulung nachgedacht“, sagt sie heute.

Vermittlungsportal gegründet.

Die Corona-Pandemie hat die Personalknappheit in der Pflege weiter verschärft. Für Abhilfe sorgen sollen weitere kurzfristig geschaffene Initiativen und Regelungen. Die Bertelsmann Stiftung hat im März 2020 die Online-Vermittlungsbörse #pflegereserve ins Leben gerufen. Sie bringt Pflegefachpersonen, die nicht aktiv sind oder berufsfremd arbeiten, mit Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen zusammen, die Personalbedarf haben.

Seit dem 1. Januar 2021 wird die Plattform von der Bundespflegekammer im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) betrieben. Laut Auskunft der Bundespflegekammer waren am 28. Januar 2021 rund 2.700 Personen als Reservisten angemeldet, von denen aktuell 1.650 für Vermittlungsanfragen entsprechend ihres Profils zur Verfügung stehen. Im Gegenzug haben sich 1.200 Versorgungseinrichtungen auf #pflegereserve registriert, von denen aktuell 1.150 eine oder sogar mehrere Anfragen auf Unterstützung gestellt haben. Bislang konnten 544 Pflegereservisten vermittelt werden, mit steigender Tendenz. „Gerade jetzt, da die Corona-Testungen sehr viel Zeit und Personal erfordern, sind wir froh über die freiwillige Unterstützung der Pflegefachpersonen, die wir über die Plattform aktivieren konnten und immer noch können“, betont Patricia Drube, Präsidiumsmitglied der Bundespflegekammer und Präsidentin der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein. Die Plattform #pflegereserve wird während der Laufzeit der Förderung durch das BMG evaluiert. Ziel ist unter anderem, die Effekte der Plattform zu prüfen und Erkenntnisse für einen möglichen Einsatz in vergleichbaren Situationen abzuleiten.

Rückkehr aus der Frührente?

Mit den „Sozialschutz-Paketen“ will die Politik die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise für die Bevölkerung mildern. Sie hat den sogenannten Hinzuverdienstdeckel für Frührentner angehoben, ohne dass ihnen die Rente gekürzt wird. Die Regelung ist aktuell gültig für die Jahre 2020 und 2021. Damit soll für frühverrentete Fachkräfte aus systemrelevanten Berufen wie der Pflege ein Anreiz geschaffen werden, wieder in den Beruf einzusteigen.

Die Regiomed-Kliniken im thüringischen Sonneberg und Hildburghausen haben versucht, ehemalige Mitarbeiter zu akquirieren. Sie haben etwa 20 Ruheständler im Alter von 63 bis 70 Jahren kontaktiert. „Die Umsetzung war schwierig, da das angesprochene Pflegepersonal teilweise jahrelang aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war. Außerdem handelt es sich aufgrund des Alters um Covid-Risikogruppen“, sagt Krankenhausdirektor Michael Renziehausen. Die Abwägung zwischen Risiko für die ehemaligen Pflegekräfte und dem Mehrwert für die Patienten sei sehr schwergefallen. Schließlich habe sich die Klinik aber gegen eine Beschäftigung entschieden. Diese Aktion habe, so betont ein Sprecher der Regiomed-Kliniken, unabhängig von der veränderten Hinzuverdienstgrenze stattgefunden.

Das große Rad drehen.

Die Corona-Pandemie hat Politik und Öffentlichkeit gezeigt, wie wichtig qualifizierte Fachkräfte in der Pflege sind. Pflegekräfte gelten als systemrelevant, sie wurden von Balkonen beklatscht und zu Heldinnen und Helden der Krise erklärt. Beschäftigte in der Altenpflege erhalten einen Corona-Bonus und auch Klinik-Mitarbeiter sollen eine Sonderprämie bekommen. Branchenkenner befürchten jedoch, dass eine Prämie nicht ausreichen wird, um die in der Pflege Beschäftigten zufrieden zu stellen.

In der aktuellen Bremer Studie zur Motivation der Wiedereinsteiger wurden die Pflegefachkräfte gefragt, ob die Pandemie ihre Bereitschaft zur Rückkehr verringere. Dies bejahten rund 30 Prozent der Befragten aus der Krankenpflege und 16 Prozent aus der Langzeitpflege. Als Gründe nannten sie die Sorge um die eigene Gesundheit, die erhöhte Arbeitsbelastung und die fehlende Wertschätzung. Die Befragten erwarten zudem, dass sich nach Ende der Pandemie der Fachkräftemangel in der Pflege deutlich verschärfen könnte. „Ich befürchte, dass nach der Pandemie noch mehr Pflegekräfte ihrem Beruf den Rücken kehren, denn die Rahmenbedingungen haben sich nicht wirklich verbessert“, sagt Pflegerats-Vizepräsidentin Irene Maier. Diese Sorge teilt der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus. „Es wird nicht anders gehen, als das große Rad zu drehen und die Maßnahmen der Konzertierten Aktion Pflege konsequent umzusetzen“, betont Westerfellhaus.

Bärbel Triller ist freie Journalistin mit Schwerpunkt auf Pflege und soziale Themen.
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