Interview

„Ältere nutzen gerne Online-Formate“

Die Corona-Pandemie hat auch der Psychotherapie einen Digitalisierungsschub verliehen. Warum Online-Module eine gute Ergänzung zur ambulanten Therapie sein können und für welche Erkrankungen sie sich besonders eignen, erläutert Psychologin Prof. Dr. Johanna Böttcher.

Frau Professorin Böttcher, Online-Therapie versus ambulante Therapie: Was wirkt besser?

Johanna Böttcher: Erst einmal gilt es zu unterscheiden: Es gibt Sitzungen, die als Videosprechstunden stattfinden und daneben Online-Programme zur geleiteten Selbsthilfe. Bei letzteren arbeiten Patienten selbstständig und bekommen online Feedback von einem Therapeuten. Diese geleitete Selbsthilfe ist sehr gut erforscht. Es hat sich in Studien gezeigt, dass sie ähnlich wirksam sein kann wie eine ambulante Psychotherapie. Vorteile sind beispielsweise, dass die Therapie nicht an Raum und Zeit gebunden und kosteneffizienter ist.

Porträt von Johanna Böttcher, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie

Zur Person

Prof. Dr. Johanna Böttcher hat an der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB) eine Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie inne. Die PHB betreibt eine Hochschulambulanz.

Wie wirkt sich die Ergänzung von Online-Therapie-Modulen auf eine ambulante Therapie aus?

Böttcher: Die Verschmelzung von Online- und Face-to-Face-Therapie ist sehr vielversprechend. Im besten Falle werden Onlinemodule in den therapeutischen Prozess verwoben. Situationsanalysen funkionieren zum Beispiel sehr gut online oder auch das Monitoring von Stimmungen. Biografische Arbeit oder der Umgang mit Emotionen lässt sich dagegen besser im direkten Austausch abbilden.

Welche Störungsbilder kommen für Online-Therapien infrage?

Böttcher: Die geleitete Selbsthilfe lässt sich gut bei Angst- und depressiven Störungen anwenden. Auch bei posttraumatischen Belastungsstörungen, Schlafstörungen und Substanzmissbrauch funktioniert sie. Solche Angebote sind nicht als Ersatz für ambulante Psychotherapie zu verstehen, bilden aber eine sinnvolle Ergänzung in der angespannten Versorgungslage psychischer Störungen.

Wie hat sich die Nutzung von Online-Therapien während der Corona-Pandemie verändert?

Böttcher: Online-Therapien haben während der Pandemie extremen Aufwind erhalten. In allen Lebensbereichen hat ja mehr Digitalisierung stattgefunden. Interessant ist, dass gerade Ältere Online-Formate gerne nutzen. Es ist ein Vorurteil, dass sich Online-Therapie nur an junge und wenig belastete Patienten richtet.

Die Verschmelzung von Online- und Face-to-Face-Therapie ist sehr vielversprechend.

Welche Kriterien muss diese Therapieform erfüllen, um von Patienten gut akzeptiert zu werden?

Böttcher: Zunächst einmal muss die Technik gut funktionieren. Die geleiteteten Selbsthilfe-Programme müssen so gestrickt sein, dass die Patienten am Ball bleiben. Das heißt, es darf nicht zu kompliziert sein und die Therapie muss ansprechend und motivierend wirken. Die Patienten müssen das Gefühl haben, dass die Elemente und Tools der Therapie genau auf ihr Problem passen.

Welche Aspekte erforschen Sie?

Böttcher: Wir entwickeln Online-Therapie-Module, die niedergelassene Therapeuten einsetzen können und die klinisch wirksam sind. Eines davon ist PsyTOM, dessen Projektpartner die AOK ist. Insgesamt geht es uns nicht nur um Verhaltenstherapie, sondern auch um systemische und tiefenpsychologische Ansätze.

Wie gut sind andere Länder aufgestellt?

Böttcher: Seit vielen Jahren gehören Online-Therapien in Schweden zur Regelversorgung. Auch Australien und die Niederlande sind weiter als wir. Das liegt an den großen Flächen und der geringen Bevölkerungsdichte, aber auch an innovativen Versorgungsansätzen und einer starken Forschungscommunity, die solche Ansätze puscht.

Tina Stähler führte das Interview. Sie ist Redakteurin der G+G.
Bildnachweis: privat