Gesundheitsämter

Debatte: Mut zum digitalen Wandel

Die Corona-Krise hat die Defizite beim Informationsaustausch im Öffentlichen Gesundheitsdienst offengelegt, meint Dr. Tobias Opialla. Mit dem Wissen, wo Aufholbedarf besteht, ließe sich die Digitalisierung der Ämter nun forcieren.

Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD)

hat ein vielfältiges Aufgabenspektrum. Er ist Mittler, Berater, Unterstützer, Kommunikator und verknüpft Behörden, öffentliche und private Einrichtungen mit der Bevölkerung. Der ÖGD agiert damit in einem Handlungsfeld, das für digitale Lösungsansätze ideal geeignet wäre. Doch die digitale Transformation, die in vielen Lebensbereichen Einzug gehalten hat, kommt im Gesundheitssystem hierzulande nur langsam voran. Zwar funktionierten die Strukturen bisher ausreichend gut, auch im Infektionsschutz. Allerdings sind die oftmals analogen oder nicht-vernetzten Prozesse einem exponentiellen Geschehen nicht gewachsen. Manuelle und nicht-digitalisierte Ansätze stoßen an ihre Grenzen. Die analogen Prozesse kollabieren unter der Last der Krise.

Die vielen ineinandergreifenden Strukturen und Prozesse sind schwerfällig, auch aufgrund des föderalen Systems. Dabei können Föderalismus und Pluralismus gemeinsam für die erforderliche Wendigkeit sorgen, besonders wenn es darum geht, wirkungsvoll auf Krisen wie die Corona-Pandemie zu reagieren. Allerdings verdichten sie die Komplexität und erschweren schlanke, digitale Ansätze. Die sind aber wichtig, denn digitalisierte Abläufe erhöhen Geschwindigkeit, erzeugen einen Informationsfluss und bauen Hürden ab. Ein digitales System reduziert die Redundanz der Arbeitsschritte, erleichtert manuelle Tätigkeiten, vernetzt Strukturen und ist schlichtweg zeitgemäß. Während der Pandemie kommt ein wesentlicher Punkt hinzu: Ein effizientes Gesundheitswesen rettet Leben.

Prozesse neu denken.

In jedem der 378 kommunalen Gesundheitsämter in Deutschland gibt es eigene Abläufe, da Zuständigkeiten individuell geregelt und auf die örtlichen Gegebenheiten abgestimmt sind. Dabei unterscheiden sich die Ämter nicht nur in ihrer Größe, dem Bevölkerungsvolumen und Zuständigkeitsgebieten. Sie unterstehen auch verschiedenen Ordnungen und Regelungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.

Jedes Gesundheitsamt hat eigene Wege gefunden, mit den Herausforderungen der Krise umzugehen. Unter großem Druck wurde vielerorts schnell nach digitalen Lösungen gegriffen und Beeindruckendes geschaffen. Gesundheitsämter, die über eine entsprechende Ausstattung verfügen und sich im richtigen Umfeld bewegen, entwickelten eigene Software, die sehr spezifisch ausgestaltet ist und vor allem auf den Infektionsschutz abzielt. Dabei übernehmen Gesundheitsämter viele weitere Aufgaben für den Gesundheitsschutz der Gesellschaft, auch wenn das oft wenig wahrgenommen wird.

Die Frage ist also, wie wirksam solche Digitalisierungsbemühungen sind, besonders wenn es darum geht, nachhaltige Lösungen zu schaffen und das Gesamtsystem auf den zeitgemäßen Technologiestand zu heben.

Ein digitales System erleichtert manuelle Tätigkeiten und vernetzt Strukturen.

In der öffentlichen Verwaltung gibt es gewaltige Anstrengungen, die Hürden aufzubrechen. Oft fehlen jedoch offene Standards und interoperable digitale Lösungen. Das sind die Grundpfeiler eines gemeinsamen digitalen Handlungsraums, um den Informationsaustausch auf allen Ebenen zu vereinfachen. Der erste Schritt ist hier der schwerste. Dabei hat die Corona-Krise die Defizite gnadenlos offengelegt. Sie hat deutlich gemacht, an welchen Stellen dringender Aufholbedarf besteht. Mit diesem Wissen gilt es, die Digitalisierung im ÖGD zu forcieren. Prozesse und Abläufe müssen neu gedacht werden. Dabei darf nicht jede Struktur warten, bis sich die andere Seite auch digitalisiert hat.

Best-Practice-Beispiele finden.

Im ÖGD ist großes Innovationspotenzial vorhanden. Jedoch erfordert Innovation ein Ausbrechen aus dem eigenen Alltag und einen analytischen Blick von außen. Denn noch sind die Strukturen und Regularien in den Gesundheitsämtern und der Verwaltung nicht auf agilen Wandel ausgelegt. Viele wohlmeinende Menschen müssen umständliche Formulare ausfüllen, um die gewünschte Hilfe leisten zu können. Hier gilt es Best-Practice-Beispiele zu finden und Wege stringenter zu gestalten.

Mit Blick nach vorne und Mut zum Wandel kann es gelingen, eine gesunde Zukunft zu gestalten, mit einem ÖGD, der sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und Krisen trotzt. Denn ein digitaler Gesundheitsdienst ist zwar kein Garant, aber in jedem Fall Voraussetzung, um Krisen gut zu bewältigen. Die digitale Transformation ist nicht aufzuhalten. Die Frage ist, unter welchen Prämissen sie erfolgt und welche Interessen dabei im Zentrum stehen.

Tobias Opialla vertritt den Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit, ein Zusammenschluss von Initiativen, die digitale Lösungen für das Öffentliche Gesundheitswesen entwickeln.
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