Bei der Auswahl einer Arznei müssen Ärzte viele Risikofaktoren beachten.
Patientensicherheit

Software warnt vor Arzneirisiken

Mit intelligenter Technik will die AOK Sachsen-Anhalt Patienten vor Wechselwirkungen von Medikamenten schützen. Deshalb können Ärzte nun kostenfrei ein Modul für eine spezielle Praxissoftware nutzen, das Risiken schon bei der Verordnung anzeigt. Von Thorsten Severin

Studien zufolge

sind fünf bis zehn Prozent aller Krankenhauseinweisungen auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen, von denen wiederum die Hälfte als vermeidbar gilt. Die unbeabsichtigten Effekte verursachen Schätzungen zufolge Kosten von rund 800 Millionen Euro pro Jahr und können gar zum Tod führen. Die AOK Sachsen-Anhalt hat sich daher zum Ziel gesetzt, Medikationsfehler und damit verbundene Risiken zu verringern. „Gerade bei multimorbiden Patienten, die viele Medikamente einnehmen müssen, werden Arzneimittelrisiken schnell unübersichtlich“, erläutert Dr. Katja Knauf, Leiterin der Fachberatung Arzneimittel bei der AOK Sachsen-Anhalt. Die Wahrscheinlichkeit von Unverträglichkeiten und Wechselwirkungen sei dann relativ hoch.

Datenbank ist Voraussetzung.

Versicherte der AOK Sachsen-Anhalt sollen künftig von einer Kooperation der Gesundheitskasse mit dem ifap Service-Institut für Ärzte und Apotheker profitieren – einem Unternehmen der CompuGroup Medical SE & Co. KGaA. Die Kasse bezahlt für alle an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmenden Mediziner in dem Bundesland für zwei Jahre den Einsatz des Software-Moduls „Therafox Pro“. Voraussetzung ist, dass sie bereits die Arzneimittel- und Verordnungsdatenbank praxisCenter nutzen. An diesem Projekt sind inzwischen mehrere hundert Ärzte in Sachsen-Anhalt beteiligt.

Automatische Infos.

Therafox Pro arbeitet im Hintergrund und macht die Mediziner während der Medikamentenverordnung automatisch auf potenzielle Risiken aufmerksam. Berücksichtigt werden dabei die aktuelle Medikation, das Alter des Patienten, frühere und aktuelle Diagnosen sowie bekannte Arzneimittelallergien. Auf einen Blick informiert das System den Arzt über mögliche Interaktionen von Medikamenten, Kontraindikationen, Doppelverordnungen und Allergierisiken. Es zeigt zudem potenzielle Unverträglichkeiten mit Lebensmitteln an und liefert Hinweise zu Besonderheiten der Einnahme bei älteren Patienten. Dazu greift das Programm auf umfassende medizinische Wissensdatenbanken der ifap zurück.

Hilfreich bei Multimedikation.

Die Magdeburger Fachärztin für Allgemeinmedizin, Uta Link, hat mit der Software gute Erfahrungen gemacht und will sie nicht mehr missen. „Das Programm hilft bei der Unzahl an Medikamenten, die man nicht alle bis ins Detail kennen kann“, sagt sie. Vor allem bei Patienten, die zehn oder gar 15 Medikamente einnähmen, werde es sehr unübersichtlich. Therafox helfe hier bei der Risikoabschätzung. Während der Verordnung erscheine ein Button mit einem Fuchskopf, der in den Farben Grau, Gelb, Orange und Rot anzeige, ob Gefahren vorhanden seien und wenn ja, in welcher Ausprägung.

„Es wird etwa angezeigt, wenn jemand einen grünen Star hat und ein Medikament eine Augendruckerhöhung verursacht“, erläutert Link. Auch gebe es Medikamente, wo sich die Wirkspiegel gegenseitig erhöhten. Bei mehreren verordneten Präparaten mit dem gleichen Nebenwirkungspotenzial verstärke sich zudem die Gefahr, dass am Ende eine der Nebenwirkungen auftrete. Des Weiteren dürften manche Medikamente ab einer bestimmten Dosierung nicht mehr kombiniert werden. Auf all das achtet die Software.

Bei Arznei-Ausgaben sparen.

Viele Medikamente können darüber hinaus eine gefährliche QT-Verlängerung am Herzen bewirken. Werde nur ein Medikament mit dieser möglichen Nebenwirkung eingenommen, sei das Risiko dafür geringer, als wenn zwei oder drei solcher Arzneien geschluckt würden, erläutert die Diplom-Medizinerin. „Das hat man im stressigen Alltag, wo doch wenig Zeit ist, nicht immer alles vor Augen.“ Allerdings könne nicht jeder rote „Warn-Fuchs“ beachtet werden, da sich sonst viele Patienten nicht leitliniengerecht versorgen ließen. „Aber es besteht für mich als Ärztin zumindest die Möglichkeit, mich über Interaktionen zu informieren und nochmal die Alternativen abzuwägen“, so Link.
 
Neben einer größeren Sicherheit für die Patienten und weniger Krankenhauseinweisungen können auf diese Weise auch Einsparungen bei den Arzneimittelausgaben erreicht werden. Frühere Untersuchungen der AOK Sachsen-Anhalt haben ergeben, dass bei Einsatz der Software rund 5,4 Prozent weniger Medikamente verschrieben werden.

Thorsten Severin ist Redakteur der G+G.
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